Die alte Sternburg-Brauerei im Leipziger Nordwesten ist eine der letzten großen Industrieruinen der Messestadt. Nach Bierproduktion, Stilllegung und Verfall beginnt nun ein neues Kapitel auf dem etwa 51.000 Quadratmeter großen Gelände – allerdings ohne den goldenen Gerstensaft.
Etwa auf halber Strecke zwischen Leipziger City und dem Airport Leipzig-Halle recken sich die Ruinen eines einst so wichtigen Traditionsbetriebes empor: Über anderthalb Jahrhunderte lang wurde in der Sternburg-Brauerei im Herzen des heutigen Ortsteiles Lützschena-Stahmeln Hopfen und Malz zu kühlem Bier verarbeitet. Zu DDR-Zeiten zählte der Standort, der ab 1968 Teil des VEB Getränkekombinates Leipzig war, hunderte Mitarbeiter. Die produzierten im Jahr 1989 noch rund 500.000 Hektoliter. Doch mit der politischen Wende kam auch das Ende für Sternburg in Lützschena.
Die Firma Brau und Brunnen aus Dortmund, damals Deutschlands größter Getränkekonzern, erwarb 1991 die einst stolze Brauerei und verlegte die Produktion in den Leipziger Osten nach Reudnitz. Dort hat das Unternehmen noch heute seinen Sitz, mittlerweile als Teil der Radeberger-Gruppe. Das Gelände in Lützschena indes wurde nach dem Wegfall der Exportmöglichkeiten und sinkendem Absatz stillgelegt und dem langsamen Verfall preisgegeben. Immer wieder wechselten die Besitzer, liefen Ideen zur Umnutzung ins Leere – so auch der 2004 vorgestellte Plan einer Einkaufsmeile, kombiniert mit Sport- und Wellnessbereichen, Tiefgaragen und Hotel. In der Folge schien der Status als „Lost Place“, als verlorener Ort der Stadt, perpetuiert.
Quartier mit 350 Wohnungen am Standort der alten Sternburg-Brauerei geplant
Einer neuen Entwicklung den Weg bereitet hat erst die Übernahme des historischen Geländes durch die Hildebrand & Partner GmbH im Jahr 2017. Das Leipziger Unternehmen ist an der Revitalisierung des rund 51.000 Quadratmeter großen Terrains interessiert und treibt diese über eine Tochtergesellschaft und in enger Abstimmung mit der Stadt mit Nachdruck voran. Angestrebt wird demnach ein urbanes Quartier mit etwa 350 Wohnungen unterschiedlicher Typologien, darunter miet- und belegungsrechtliche Wohnungen. Auch eine Kindertagesstätte, ein Lebensmittelmarkt sowie kleineres Gewerbe sind beabsichtigt, heißt es.
Dafür hat der Eigentümer gemeinsam mit der Stadt einen Architekturwettbewerb ausgelobt. Vorgaben waren unter anderem, dass die denkmalgeschützten Gebäude der früheren Brauerei behutsam und wertschätzend in der Planung Berücksichtigung finden und sinnhafte Neubauten ergänzend errichtet werden. Zu den markanten industriellen Altbauten auf dem Gelände gehören das 1928 im Stil des Art déco fertiggestellte rund 25 Meter hohe Sudhaus sowie das expressionistische Werkstattgebäude mit seinem 24 Meter hohen Uhrenturm aus dem Jahr 1927. Noch heute prägen beide Objekte die Silhouette der fast vergessenen Industrieruine, die ein wesentlicher Bestandteil der Identität des Ortes und seiner Umgebung waren und sind. Einige spätbarocke Arbeiterhäuser aus der bewegten Zeit um 1800 befinden sich darüber hinaus auf dem Areal.
Bestandsgebäude der alten Sternburg-Brauerei werden erweitert
Der mit 13.000 Euro dotierte Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbes stammt von der Arbeitsgemeinschaft Schulz und Schulz Architekten, Leipzig, Bayer Uhrig Architekten, Kaiserslautern, und Franz Reschke Landschaftsarchitektur, Berlin. Das Konzept überzeugte in besonderem Maße mit der Inszenierung der Bestandsgebäude. Demnach sollen zum Beispiel das alte Haupthaus mit dem Uhrenturm baulich erweitert und die eingeschossigen ehemaligen Abfüllhallen in Teilen aufgestockt werden. Und noch eine Besonderheit ist vorgesehen: Viele kleine Innenhöfe mit hohem Grünanteil sowie eine bei allen Neubauten vorgesehene Vorgartenzone sollen zu einem nachbarschaftlichen Wohnflair beitragen.
Leipzigs Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau lobte am Siegerentwurf die „ausgesprochen gelungene Verbindung“ zwischen historischer Bausubstanz und moderner Ergänzungsbebauung sowie „die Sicherung von Anteilen sozialen Wohnungsbaus“ und das „überzeugende Grünkonzept“. Die Kommunalpolitikerin ist überzeugt, dass damit „ein attraktives und den Ortsteil belebendes Wohnquartier“ geschaffen werde.
Veränderungen in der Leipziger Bürgerschaft
Im Ganzen verhilft das gemischte Viertel Leipzig zu 36.000 Quadratmetern neuem Wohnraum. Der wird in der rasant wachsenden Messemetropole dringend benötigt. In Lützschena-Stahmeln dürfte die Flächenzunahme allerdings zu spürbaren Veränderungen in der Bürgerschaft führen. Bislang blieb die Leipziger Peripherie vom Bevölkerungsanstieg weitgehend verschont. Die Einwohnerzahl in dem nordwestlichen Ortsteil hat sich seit der Eingemeindung vor 20 Jahren bei etwa 4.000 Personen gehalten, das Durchschnittsalter nahm von 42,5 auf aktuell rund 48 Jahre zu.
Wie viel Abwechslung Lützschena-Stahmeln verträgt, wird sich mit der Fertigstellung des neuen Quartiers zeigen. Bis dahin verstreicht jedoch noch viel Zeit. Hildebrand & Partner hofft auf einen Baubeginn im Jahr 2020, bis 2024 soll alles abgeschlossen sein. Dann könnte die Geschichte des traditionsreichen Areals endlich eine zukunftsgewandte Fortsetzung finden.