Am 18. August 2023 hatte das Statistische Bundesamt (Destatis) die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen im ersten Halbjahr 2023 veröffentlicht. Die Zahlen alarmierten die Branche. ZIA und IVD sahen sich zu klaren Statements genötigt und forderten einen zwingenden Neustart der Wohnungsbaupolitik.
Artikel vom 19. August2023: Im 1. Halbjahr 2023 wurde in Deutschland der Bau von 135.200 Wohnungen genehmigt. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren das 27,2 Prozent oder 50.600 Baugenehmigungen weniger als im 1. Halbjahr 2022. Im Juni 2023 ist die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen gegenüber dem Vorjahresmonat um 28,5 Prozent gesunken. Dies entspricht einem Rückgang um 8.700 Wohnungen auf 21.800 Wohnungen. In den Ergebnissen sind sowohl die Baugenehmigungen für Wohnungen in neuen Gebäuden als auch für neue Wohnungen in bestehenden Gebäuden enthalten.
Rückgänge der Baugenehmigungen bei allen Gebäudearten
- In neu zu errichtenden Wohngebäuden wurden von Januar bis Juni 2023 insgesamt 111.500 Wohnungen genehmigt. Das waren 30,8 Prozent oder 49.600 Wohnungen weniger als im Vorjahreszeitraum.
- Dabei ging die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser um gut ein Drittel (-35,4 Prozent beziehungsweise -14.800 Wohnungen) auf 27.000 Wohneinheiten zurück.
- Bei den Zweifamilienhäusern sank die Zahl genehmigter Wohnungen sogar um mehr als die Hälfte (-53,4 Prozent beziehungsweise -8.900 Wohnungen) auf 7.700 Wohneinheiten.
- Bei den Mehrfamilienhäusern verringerte sich die Zahl der genehmigten Wohnungen ebenfalls deutlich, und zwar um mehr als ein Viertel (-27,0 Prozent beziehungsweise -26.700 Wohnungen) auf 72.400 Wohnungen.
Verfehlt die Wohnbauförderung für klimafreundlichen Neubau ihre Wirkung?
Seit März 2023 gibt es die Wohnbauförderung für klimafreundlichen Neubau der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Diese Förderung kann unter anderem von Privatpersonen zur Eigennutzung oder Vermietung sowie von Unternehmen beantragt werden. Noch ist kein eindeutiger Effekt dieser Maßnahmen auf die Genehmigungszahlen erkennbar: Die Zahl der Baugenehmigungen im Zeitraum März bis Juni 2023 ging im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar etwas stärker zurück (Einfamilienhäuser -38,6 Prozent beziehungsweise -11.100 Wohnungen, Zweifamilienhäuser -53,9 Prozent beziehungsweise -6.000 Wohneinheiten und Mehrfamilienhäuser -28,7 Prozent beziehungsweise -19 600 Wohnungen) als im gesamten ersten Halbjahr 2023.
ZIA: Die nächsten Wochen bringen den Showdown
Die Immobilienwirtschaft bewertet die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts zu den Baugenehmigungen als Beleg für „eine dramatische Zuspitzung der Wohnungsnot, der sich die Politik endlich zwingend mit der nötigen Entschlossenheit entgegenstellen“ müsse. „Es reicht nicht, die Zahlen aus Wiesbaden Monat für Monat mit Bedauern zur Kenntnis zu nehmen. Jetzt ist nicht die Zeit für Trauerarbeit, sondern für ungebremsten Tatendrang“, kommentiert ZIA-Präsident Dr. Andreas Mattner die aktuelle Statistik. Angesichts der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg Ende August und des Wohnungsgipfels Ende September im Kanzleramt fügt er hinzu: „Die nächsten Wochen bringen den Showdown – es braucht zwingend einen Neustart der Wohnungsbaupolitik.“ Die Bundesbauministerin brauche dabei die „Unterstützung des gesamten Kabinetts – und natürlich auch des Bundeskanzlers“.
„So schlecht die Zahlen sind, sie zeigen noch immer nicht die ganze Wahrheit, die auf uns zukommt“, betont Mattner. Projektentwickler schlössen oft ihre aufwändige Vorarbeit mit einer Baugenehmigung ab, gebaut werde „dann aber nur, wenn es kein Minusgeschäft ist“. Und das drohe aktuell oftmals. „Leider führt die Summe aller Faktoren und insbesondere die explosionsartig gestiegenen Kreditkosten zum Ruhen dieser Projekte“, erklärt Mattner. Es gehe jetzt darum, Bauen möglich zu machen. „Der Staat muss auf einen Teil der von ihm am Gut Wohnen verursachten Kosten von etwa 37 Prozent teilweise verzichten – zum Beispiel durch Aussetzen der Grunderwerbsteuer, rigiden Verzicht auf Gewinnabschöpfungsmodelle und neue steuerliche Möglichkeiten, wie sie die Bundesministerin mit der degressiven AfA vorschlägt. Politikerinnen und Politiker im Bund, in den Ländern und den Kommunen müssen diesen Abwärtstrend stoppen. Oder wollen wir ernsthaft diese finstere Lage für Mieterinnen und Mieter zementieren?“
Die wichtigsten ZIA-Forderungen:
- Ein großvolumiges „KfW-Kreditprogramm Wohnen“ mit einem Zinssatz von zwei Prozent für Neubauten ab Standard EH 55.
- Ein temporäres Aussetzen der Grunderwerbsteuer auch für Investorinnen und Investoren.
- Eine deutschlandweite Pflicht, 30 Prozent des erforderlichen Zubaus einer Stadt für serielles und modulares Bauen auszuweisen.
IVD: Regierung blockiert sich wider jede Vernunft selbst
Deutliche Kritik am Krisen-Management der Bundesregierung übt Dirk Wohltorf, Präsident des Immobilienverband Deutschland (IVD): „Der Wohnungsbau kennt schon länger nur noch eine Richtung: Abwärts! In der Krise blockiert sich die Bundesregierung wider jede Vernunft selbst. Ausgerechnet die Familienministerin verhindert diese Woche im Kabinett wichtige Wachstumsimpulse für Unternehmen und Arbeitsplätze. Sie fällt damit dem Kanzler und Ministerkollegen in den Rücken und macht vor, wie man sich in einer Familie eben nicht verhalten sollte.
Jetzt ist der Bundeskanzler gefragt, wieder das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung herzustellen. Damit der nötige Befreiungsschlag für den Wohnungsbau gelingt, braucht Bauministerin Klara Geywitz den Rückhalt des gesamten Kabinetts. Wir erwarten, dass jetzt Impulse für den Wohnungsbau gegeben werden. Zu den Sofortmaßnahmen gehören
- die degressive Abschreibung für Investitionen,
- die steuerliche Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen für Selbstnutzer und
- eigenkapitalersetzende Bürgschaften.
Der seit dem vergangenen Jahr anhaltende Einbruch bei den Baugenehmigungen schlägt sich schon sehr bald in rückläufigen Baufertigstellungen nieder. Wenn immer weniger neu gebaut und auch im Bestand modernisiert wird, wird aus der Krise im Wohnungsbau in absehbarer Zeit eine Krise bei der Wohnraumversorgung unserer Bevölkerung. Schon heute trifft an den Wohnungsmärkten eine wachsende Nachfrage auf ein begrenztes Angebot. Diese krisenhafte Entwicklung reißt dauerhaft Gräben in unserer Gesellschaft und schadet dem sozialen Frieden.“
Sonderabschreibung für Wohngebäude kommt im Oktober
Update vom 30. August 2023: Bei ihrer Klausurtagung in Meseberg konnte sich die Ampelregierung auf das Wachstumschancengesetz, das zuletzt von Lisa Paus blockiert wurden war, einigen. Teil des Gesetzes, das am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll, ist die von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) angestoßene und von IVD und ZIA begrüßte Sonderabschreibung für Wohnungsneubauten (degressive Afa).
Klara Geywitz zu dem Erreichten: „Ich freue mich, dass mein Vorschlag zur Stärkung des Wohnungsbaus Teil des Wachstumschancengesetzes der Bundesregierung wird. Die degressive AfA für den Wohnungsbau kommt! Sechs Jahre lang, sechs Prozent der Investitionskosten abschreiben, ohne Baukostenobergrenzen, ab einem Effizienzstandard 55 und für alle Bauprojekte ab 1. Oktober dieses Jahres sofort zum Baubeginn – das ist unser Angebot an die Bau- und Immobilienbranche, um den Wohnungsbau in Deutschland wieder in Schwung zu bringen. Damit geben wir der Baubranche den so dringend benötigten Impuls, um in Zeiten von akutem Wohnraummangel mehr Wohnungen zu bauen. Zusammen mit weiteren Maßnahmen, wie der Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Rekordhöhe und der Unterstützungsleistungen beim klimafreundlichen Neubau in Milliardenhöhe, können Bauvorhaben nun zügig umgesetzt werden.“
BFW: Degressive AfA ist Schritt in richtige Richtung
Update vom 30. August 2023: Der BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen begrüßt den aktualisierten Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Wachstumschancengesetz. Dieser enthält nun auch eine degressive AfA für den Wohnungsneubau. „Alles, was das Bauen in Deutschland günstiger macht, ist richtig und wird dringend benötigt. Die Abschreibungsmöglichkeiten für Neubauten können aber nur ein kleiner Teil der Lösung sein. Die Lage beim Wohnungsbau verlangt weitere Maßnahmen, um den Abwärtstrend zu stoppen“, erklärt BFW-Präsident Dirk Salewski in Berlin.
„Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es ist allerdings noch ein weiter Weg, um beim Wohnungsbau eine echte Trendwende zu erreichen. Viele weitere Schritte sind nötig. Wir benötigen dringend hunderttausende Wohnungen, die bezahlbar sind. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Bauen und Wohnen noch nie so teuer waren. Deswegen müssen wir grundsätzlich die Kosten senken, indem wir Bau-Standards nicht immer weiter erhöhen. Nur mit Vernunft und Augenmaß meistern wir die zwei größten Herausforderungen: bezahlbarem Wohnraum zu schaffen und unsere Verantwortung beim Klimaschutz zu erfüllen“, so der BFW-Präsident. „Wir brauchen jetzt dringend pragmatische Lösungen: Die Erwerbsnebenkosten müssen runter, es braucht verlässliche Rahmenbedingungen, klare Finanzierungs- und Förderbedingungen, realistische Standards, damit der dringend benötigte Wohnungsneubau auch realisiert werden kann. Planungs- und Genehmigungsverfahren brauchen einen Turbo. Wir geraten sonst weiter in einen Abwärtstrend mit Konsequenzen, wie einem Verlust an Fachkräften und sozialen Verwerfungen“, fordert Dirk Salewski.