Am 12. Februar 2023 wurde die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wiederholt. Sollte es zu neuen Mehrheitsverhältnissen im Berliner Parlament kommen, könnte die Bildung eines neuen Senats anstehen. Steht eine Wende in der Berliner Wohnungspolitik bevor?
Artikel vom 25. November 2022: Für die Hauptstadt-SPD sehen die Umfragen zurzeit nicht vielversprechend aus. Lag die Partei bei der Abgeordnetenhaus-Wahl am 26. September 2021 noch deutlich vor Grünen und CDU, rangiert sie aktuell auf Platz zwei hinter der CDU und gleichauf mit den Grünen (INSA-Umfrage, 07. bis 14.11.2022). Sollte die SPD auch nach der Wahlwiederholung am 12. Februar 2023 nicht mehr stärkste Partei sein, dürften die Amtstage der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und des Bausenators Andreas Geisel – beide SPD – gezählt sein. Denn ein mit anderen Mehrheiten zusammengesetztes Abgeordnetenhaus (Landesparlament) könnte dem Senat (Landesregierung) das Misstrauen aussprechen und eine neue Regierung ins Amt heben.
Grund für die Wahlwiederholung ist, dass der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin die von Pannen geprägte Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wegen „schwerer systemischer Mängel“ für ungültig erklärt hat und die vollständige Wiederholung der Wahl gemäß den verfassungsrechtlichen Anforderungen verlangte. Da es sich um eine Wahlwiederholung handelt und nicht um eine Neuwahl, dürfen keine neuen Kandidaten aufgestellt werden. Die Parteien müssen am 12. Februar 2023 mit den gleichen Personen auf den Stimmzetteln antreten wie am 26. September 2021.
CDU und Grüne bringen sich in Stellung
Unmittelbar nach der Gerichtsentscheidung schalteten die Parteien in den Wahlkampfmodus. Die CDU Berlin kündigte einen „Klartext-Wahlkampf“ an. Ziel sei es, stärkste Partei zu werden, um einen Politikwechsel jenseits von Rot-Rot-Grün zu erreichen. Der Landespartei- und Fraktionsvorsitzende Kai Wegner soll laut Präsidiumsvorschlag die Christdemokraten als Spitzenkandidat in den Wahlkampf führen.
Die Berliner Grünen wählten Bettina Jarasch, die amtierende Verkehrs- und Umweltsenatorin, zu ihrer Spitzenkandidatin. Sie kündigte an, sie wolle die Koalition mit der SPD und den Linken fortsetzen, aber unter ihrer Führung als Regierende Bürgermeisterin. Sie werde beim Kampf um bezahlbares Wohnen mehr Tempo machen und den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ umsetzen.
Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ nicht vom Tisch
Nach Angaben der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ bleibt der Volksentscheid von der Wahlwiederholung unberührt. Da es keine Klage gegen das Bürgerbegehren gab, musste das Gericht auch nicht über dessen Wiederholung entschieden. „Alle Parteien stehen neu zur Wahl, aber der Volksentscheid ist sicher“, erklärte Gisèle Beckouche, Sprecherin der Initiative.
Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ war im September 2021 gleichzeitig mit der Abgeordnetenhaus-Wahl durchgeführt worden. Fast 58 Prozent der Berliner hatten für die Enteignung großer Wohnungskonzerne gestimmt.
Was die Immobilienwirtschaft in Berlin von wem erwarten kann
Im Berliner Abgeordnetenhaus sind derzeit SPD, Grüne, Linke, CDU, FDP und AfD vertreten. In ihren Wahlprogrammen vom September 2021 setzten die Parteien folgende Schwerpunkte in der Wohnungs- und Baupolitik:
SPD:
- Mieten wirksam regulieren
- 200.000 neue Wohnungen bis 2030 bauen
- Milieuschutzgebiete ausweisen
- eine Sozialbauquote von 30 Prozent durchsetzen
Bündnis 90 / Die Grünen:
- Wohnraum der Spekulation entziehen
- mindestens 50 Prozent aller Berliner Wohnungen in gemeinwohlorientierte Hand bringen
- jährlich 20.000 überwiegend sozialverträgliche Wohnungen bauen
- Mieten nach sozialen Kriterien gestalten (nicht mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens)
Daniel Wesener (Grüne) über Mietsteigerungen bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen.
Die Linke:
- private Immobilienkonzerne vergesellschaften
- Mieten bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen deckeln
- öffentliche Wohnungsbestände durch Neubau und Kauf massiv ausweiten
- Milieuschutzgebiete ausweisen
Ausführlicher geht Niklas Schenker (Die LINKE) auf die wohnpolitischen Ziele seiner Partei ein.
CDU:
- Nein zur Enteignung von Wohnungsgesellschaften
- mindestens 300.000 neue Wohnungen bis 2035 bauen
- Wohnungsbauförderung auf 1,25 Milliarden Euro erhöhen
- Vorschriften entschlacken für schnelleres Planen und Bauen
Kai Wegner (CDU) unterstreicht sein klares Nein zu Enteignungen.
FDP:
- Mietpreisbremse, Milieuschutzgebiete und Zweckentfremdungsverbot abschaffen
- 200.000 zusätzliche Wohnungen bis 2030 bauen
- Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigen, unter anderem durch Digitalisierung
- Hochhausbau ermöglichen, Mietkaufmodell einführen, Nachverdichten
Sebastian Czaja (FDP) setzt auf Wohnungsgenossenschaften.
AfD:
- Grundsteuer abschaffen, Milieuschutz begrenzen, Genossenschaften fördern
- private Wohnungswirtschaft wieder stärker in den Bau neuer Wohnungen einbinden
- mehr Mietwohnungen schaffen und mehr Berlinern zu Wohneigentum verhelfen
- Baugenehmigungsverfahren durch Bürokratieabbau beschleunigen
Welche Koalitionen nach der Wahlwiederholung in der Hauptstadt möglich sind
Basierend auf Umfragen des Instituts Wahlkreisprognose und des INSA Instituts für neue soziale Antworten haben die Wahltrendforscher von DAWUM (Darstellung und Auswertung von Wahlumfragen) die aktuell möglichen Regierungskoalitionen ermittelt (Stand: November 2022).
Demnach bekäme das regierende Bündnis aus SPD, Grünen und Linken aktuell 75 der 130 Abgeordnetenhaus-Sitze. Ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen hätte dagegen 85 Sitze - keine andere Konstellation kann das überbieten. Für die Mehrheit im Parlament werden mindestens 66 Sitze benötigt.
Mit deutlich weniger Mandaten, aber immer noch mit einer knappen Mehrheit, sind auch Jamaika-, Deutschland- und Ampel-Koalitionen möglich. Schwarz-Grün-Gelb (Jamaika) und Schwarz-Rot-Gelb (Deutschland) würden zurzeit auf je 67 Sitze kommen. Rot-Gelb-Grün (Ampel) hätte derzeit immerhin noch die nötige Mindestanzahl von 66 Sitzen.
Die Legislaturperiode des Berliner Abgeordnetenhauses beträgt fünf Jahre. Dies gilt auch bei Wahlwiederholungen. Die nächsten Berliner Wahlen finden somit turnusmäßig 2026 statt, nicht 2027.
Bundeskanzler Olaf Scholz schaltet sich in Berliner Wahlkampf ein
Update vom 29.01.2023: Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich in den Wahlkampf für die Berliner Wiederholungswahlen eingeschaltet. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte er unter anderem:
„Durch Enteignungen entstehen keine neuen Wohnungen.“
Zudem sei es unverantwortlich, dass vor allem Linke und Grüne in Berlin die Illusion erweckten, man könne ohne neuen Wohnungsbau die hohe Nachfrage einer stetig wachsenden Bevölkerung decken.
Auch zu dem nicht eingelösten Wahlversprechen, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, bezog er gegenüber dem Tagesspiegel Stellung: „Natürlich machen die aktuellen Preissteigerungen nach allem, was in der Welt passiert ist, die Sache nicht leichter. Deshalb geben wir unser Ziel aber nicht auf. Ich will es schaffen, bald in einem Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen, und das soll dann so bleiben.“ Zudem sei das Geld für mehr sozialen Wohnungsbau vorhanden.
Des Weiteren forderte der Bundeskanzler einen Sinneswandel der Baubranche. Diese solle sich darauf einstellen, mehr Wohnungen zu planen, die nicht für 18 Euro pro Quadratmeter vermietet oder 10.000 Euro pro Quadratmeter verkauft werden, sondern sich an die Mehrheit der Bürger richten. Hier sei in Deutschland etwas über Jahrzehnte schiefgelaufen.
Da Wahlkampf aber nie nur in eine Richtung geht und sich die SPD höchstselbst auf ihrem Landesparteitag 2022 FÜR ein Gesetz zur Umsetzung des Volksentscheids ausgesprochen hatte, ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. Mario Czaja von der CDU etwa warf Scholz Scheinheiligkeit und leere Versprechungen im Bezug auf Enteignungen vor.
Dietmar Bartsch von den Linken kritiserte den Umgang der SPD mit dem Ergebnis des Volksentscheides zur Enteignung und warf der Ampelregierung Versagen hinsichtlich der nicht erreichten Wohnungsbau-Wahlversprechen vor. In diese Kerbe schlug auch Bettina Jarasch von den Grünen: „Im Wahlkampf hat Olaf Scholz uns auf großen Plakaten bezahlbares Wohnen versprochen, aber beim Neubau bisher nicht geliefert.“
Klaus Lederer von den Linken unterstrich noch einmal die eigentlichen Ziele der Vergesellschaftung: Bei der ginge es um die Ausweitung des öffentlichen Wohnungsbestandes und damit um die Sicherung bezahlbarer Mieten im Bestand. Der weiterhin vorgesehene Neubau sei davon unberührt. Derweil bekräftigte Berlins aktuelle Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey - ebenfalls im Interview mit dem Tagesspiegel - ihre ablehnende Haltung gegenüber der Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen. Die Säbel - sie rasseln.
Berlin hat erneut gewählt
Update vom 15.02.2023: Am 12. Februar 2023 wurde die Wahl in Berlin planmäßig wiederholt. Dabei ging die CDU als eigentlicher Wahlsieger hervor, trifft aber mit ihrem Begehr, eine Regierung bilden zu wollen (Koalitionen entweder mit den Grünen oder der SPD brächten die erforderlichen Mehrheiten), auf den laut Medienberichten vorhandenen Widerstand der bisherigen rot-rot-grünen Regierung, die eine ausreichende Mehrheit für ein mögliches Weiterregieren auf sich vereinen konnte. Man darf also gespannt sein, was die Sondierungsgespräche bringen werden.
Grafik: Vorläufiges Endergebnis der Wahlwiederholung in Berlin
BFW Landesverband hofft auf schnelle Bildung einer Regierung
Die Mitglieder des BFW Landesverbandes Berlin/Brandenburg hoffen auf eine schnelle Aufnahme von Sondierungsgesprächen. Das unbedingte Ziel müsse dabei sein, die schwierige Situation bei der Schaffung von Wohnraum in der Hauptstadt zu verbessern. Damit verbunden sind die Fortsetzung und der weitere Ausbau des Bündnisses für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen.
„Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus fand unter denkbar schwierigen Vorzeichen statt. Und das sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Jetzt brauchen wir eine schnelle Regierungsbildung. Wir müssen endlich Rahmenbedingungen schaffen, damit jeder in der Stadt ein Dach über dem Kopf bekommt, der eine Wohnung sucht, die zu seinem Einkommen passt. Höchste Zeit, die Ärmel hochzukrempeln. Die Mitglieder des BFW waren und sind bereit, ihren Teil beizutragen, so viel ist sicher“, sagt Susanne Klabe, Geschäftsführerin des BFW Landesverbandes Berlin/Brandenburg.
Tatsächlich hatten die Mitglieder des BFW bereits in der Vergangenheit klar bekundet, dass sie bereit sind, das mit dem vergangenen Senat geschlossene Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen mit Leben zu füllen. Doch aufgrund der politischen Lage verzögerte sich die Umsetzung vonseiten des Senats. Angesichts der gerade veröffentlichten Studie von bulwiengesa im Auftrag des BFW wird aber einmal mehr deutlich, wie wichtig ein Miteinander von Politik und Wirtschaft ist, wenn es im Wohnungsbau vorangehen soll. Die Untersuchung hatte gezeigt, dass die Bearbeitungszeiten von Bebauungsplänen in der Hauptstadt im Durchschnitt bei zehn Jahren liegen, teilweise sogar weit darüber. Ein Umstand, der den Neubau ausgesprochen unattraktiv macht – werden durch die langen Zeiten doch hohe Kapitalbeträge über Jahre gebunden, ohne Erträge zu erzielen. Die Unternehmen tragen während dieser Zeit das volle wirtschaftliche Risiko.
Gleichzeitig lassen die Mitglieder des BFW Landesverbandes Berlin/ Brandenburg keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie zum Bündnis stehen. „Wir sind uns unserer Verantwortung der Stadt gegenüber bewusst“, erklärt auch Christopher Weiß, Vorsitzender des Landesverbandes, und erklärt weiter: „Unter normalen Umständen werden gut 50 Prozent aller in Berlin pro Jahr fertiggestellten Wohnungen von Unternehmen gebaut, die Mitglied im BFW sind. Darüber hinaus verwalten sie rund 210.000 Wohnungen. Wir sind eng mit dieser Stadt verbunden und freuen uns darauf, hier Dinge gemeinsam mit dem neuen Senat in Bewegung zu bringen. Aufgrund der aktuell sehr schwierigen Rahmenbedingungen ist dafür aber ein intensiver Austausch und ambitioniertes, lösungsorientiertes Handeln der Politik notwendig.“
Neuer Koalitionsvertrag sieht schnelleres Bauen und mehr Mieterschutz in Berlin vor
Update vom 04. April 2023: Die künftige schwarz-rote Koalition in Berlin hat sich in ihrem kürzlich vorgestellten Koalitionsvertrag auf den Neubau von bis zu 20.000 Wohnungen pro Jahr geeinigt, darunter bis zu 5.000 Sozialwohnungen. Als weitere wichtige Säule des Wohnungsbaus wird die Nachverdichtung gesehen. Darum sollen Aufstockungen, Dachgeschossausbauten und Überbauungen von Supermärkten, Gewerbebauten und Parkplätzen rechtlich erleichtert werden.
Zugleich wollen CDU und SPD den Wohnungsbau durch ein Schneller-Bauen-Gesetz beschleunigen. Geplant sind verkürzte Fristen, schnellere Verfahren und die Nutzung von Baugenehmigungen nach § 34 BauGB. Auch die Einführung von Genehmigungsfiktionen soll geprüft werden. Des Weiteren will der künftige Senat die Bauordnung überarbeiten, um Widerspruchsverfahren zu verkürzen oder ganz zu vermeiden.
Auch der Mieterschutz soll verbessert werden – durch Erstellung eines neuen qualifizierten Mietspiegels, eine Prüfstelle zur Einhaltung der Mietpreisbremse, ein digitales Mieten- und Wohnungskataster und die Ausweisung neuer Erhaltungsgebiete (Milieuschutz).
Außerdem plant die Koalition in spe, über eine Bundesratsinitiative einen Gewerbemietspiegel prüfen zu lassen. Weitere Ziele sind der schrittweise Rückbau der A 104, die Überbauung von Abschnitten der A 100 und die Randbebauung des Tempelhofer Felds. Vor der Umsetzung des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ will der künftige Senat die Empfehlung einer Expertenkommission abwarten. Stimmen CDU- und SPD-Basis dem Koalitionsvertrag zu, kann CDU-Landeschef Kai Wegner am 27. April 2023 im Abgeordnetenhaus zum Regierenden Bürgermeister gewählt werden.