Berlin: Reaktionen auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zum Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten

Berlin: Reaktionen auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zum Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten

Berlin: Reaktionen auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zum Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten
Das Bundesverwaltungsgericht hat Teile der Berliner Vorkaufspraxis gekippt. Copyright: moerschy auf pixabay.

Nach dem Mietendeckel ist ein weiteres Instrument zum Eingriff in den Berliner Wohnungsmarkt als unrechtmäßig abgeurteilt worden. IMMOBILIEN AKTUELL fasst die Reaktionen zusammen.

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Kurz nach Bekanntwerden des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes mit dem Aktenzeichen BVerwG 4 C 1.20 vom 9. November veröffentlichte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Reaktion des noch amtierenden Senators Sebastian Scheel (Linke). Er erklärte: „Die Entscheidung des  Bundesverwaltungsgerichts lässt mich fassungslos zurück. Das Gericht nimmt den Kommunen so fast gänzlich die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten auszuüben.“ Und dann folgte als offizielles Statement der Senatsverwaltung seine persönliche Meinung zu einem Urteil, mit dem Recht gesprochen worden ist: „Das ist eine Katastrophe, nicht nur für die Mieterinnen und Mieter in Berlin, sondern bundesweit.“

Der Fall: Kauf eines Hauses im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg

Was ist passiert? Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass eine Gemeinde das Vorkaufsrecht in einem Milieuschutzgebiet nicht einfach ausüben darf, weil sie dem Käufer unterstellt, dass er in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde.

Der Hintergrund: Eine Immobiliengesellschaft wollte in einem Milieuschutzgebiet im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein typisches Gründerzeithaus im Bergmannkiez, Baujahr 1889, mit 20 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten erwerben. Der Bezirk, dessen Baustadtrat Florian Schmidt das Vorkaufsrecht als Mittel zur sogenannten „Communalisierung“ von Altbaubeständen in großem Stil nutzen möchte, hatte das Vorkaufsrecht 2017 zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft ausgeübt.

Die Begründung wie üblich: Es müsse verhindert werden, dass durch Mieterhöhungen oder spätere Aufteilung der Immobilie in Eigentumswohnungen ein Teil der Bewohner verdrängt werde. Doch in diesem Fall war klar, dass Mieterhöhungen nicht möglich sind, weil aufgrund von Fördermitteln für das Objekt eine Mietpreisbindung noch bis 2026 gilt. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte eine flächendeckende Ausübung des Vorkaufsrechtes jetzt als rechtswidrig und hob die zuvor gefallenen Entscheidungen des Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichts auf.

Enttäuschung bei Baustadtrat und Mieterverein

Der Baustadtrat Florian Schmidt reagierte sofort nach Bekanntwerden des Urteils auf Twitter. Es sei ein herber Schlag im Kampf gegen die Spekulation mit Wohnraum und gegen die Verdrängung. Er schob seine politische Forderung nach. „Damit das Vorkaufsrecht auch zukünftig genutzt werden kann, muss der Bundesgesetzgeber schnell eine rechtliche Klarstellung vornehmen und das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten stärken.“

Ebenso enttäuscht äußerte sich Rainer Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietvereins, in einer Pressemitteilung: „Die heutige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts torpediert die Versuche Berlins und anderer Städte, in den Milieuschutzgebieten durch das Vorkaufsrecht die stadtentwicklungspolitischen Ziele der sozialen Erhaltungsgebiete auszuüben und die Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung zu schützen.“

Franziska Giffey, Landesvorsitzende der SPD und Anwärterin auf das Bürgermeisteramt, erklärte im RBB: „Natürlich ist ein Gerichtsurteil erst einmal zu respektieren. Wir müssen uns ansehen, was das für Auswirkungen auf Berlin hat.“

Drohkulisse und Erpressung: das Vorkaufsrecht in der Kritik

Kritiker der Vorkaufspraxis wenden dagegen ein, dass das Instrument in Berlin ideologisch missbraucht wird, um Bestandsmieten zu sichern und einer bestimmten politischen Klientel eine Ewigkeitsgarantie auf billiges Wohnen zu geben.  Der Berliner Rechtsanwalt Philip Karrenstein kommentierte kurz: „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist ein herber Schlag gegen exekutives Recht.“

In diesem Jahr übte allein der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg fünf Mal das Vorkaufsrecht aus, 13 Mal wurde das Vorkaufsrecht abgewendet. Ein Vorkaufsrat wurde im Bezirk gegründet, der den Austausch zwischen betroffenen Hausgemeinschaften, Unterstützern und dem Baustadtrat schaffen soll. Das Vorkaufsrecht dient immer wieder als Drohkulisse für Immobilienkäufer, die damit gezwungen werden, Abwendungsvereinbarungen zu unterschreiben, deren Regeln noch über die Vorschriften des Milieuschutzes hinausgehen. Ronald Slabke, Vorstandsvorsitzender des Immobilienkreditvermittlers Hyperport AG, betonte mit Blick auf diese Praxis: „Der Missbrauch von Vorkaufsrechten in Milieuschutzgebieten durch die Grünen ist Geschichte. Das Bundesverwaltungsgericht beendet die Erpressung der Immobilienkäufer.“ 

Dabei hat sich am Beispiel der umstrittenen Genossenschaft Diese eG gezeigt, dass mit dem Vorkauf nicht nur hohe Kosten für die Bezirke verbunden, sondern billige Mieten nicht per se garantiert sind. Die Mieter stimmten freiwillig einer höheren Miete zu. Wer Mitglied in der Genossenschaft werden will, muss zudem einen hohen Genossenschaftsanteil zahlen. Für eine im Dachrohling neu zu bauende Zwei-Zimmer-Wohnung von rund 58 Quadratmetern im Milieuschutzgebiet, also ohne Fahrstuhl, müssen Interessenten 72.000 Euro Eigenanteil mitbringen und trotzdem später eine Nettokaltmiete von zehn Euro bezahlen.

Weitere Antworten müssen folgen

Mit dem Urteil stellen sich wie beim Mietendeckel weitere Fragen: Müssen Vorkäufe jetzt rückabgewickelt werden, wenn Rechtsmittel eingelegt wurden? Ist die ausufernde Ausweisung von Milieuschutzgebieten überhaupt gerechtfertigt und wie lange dürfen sie immer wieder verlängert werden? Werden durch die Regeln für Milieuschutzgebiete bestimmte Bevölkerungsgruppen verdrängt, zum Beispiel Senioren, da der Anbau von Fahrstühlen nicht gestattet ist?

Der Verein Neue Wege für Berlin, der sich für mehr Wohnungsbau in der Hauptstadt einsetzt, kommentierte via Twitter: „Die nächste Klatsche für den Senat. Nach Kippen des Mietendeckels, räumt nun das Bundesverwaltungsgericht beim Vorkaufsrecht auf. Bleibt zu hoffen, dass der neue Senat in Wohnungs- und Mietenpolitik nüchterner handelt und fairer mit allen Akteuren umgeht. Die Stadt und ihre Bewohner hätten es verdient.“

Maren Kern, Vorständin im BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V., gab bekannt: „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist kein Urteil gegen das wichtige Instrument des Vorkaufsrechts. Es zeigt aber einmal mehr auf, wie hoch die Hürden für Eingriffe in Eigentumsrechte sind.“ Insofern mache das Urteil auch deutlich: Vorkaufsrechte seien zwar Teil, aber kein Ersatz für eine Strategie zur sozialen Stadtentwicklung und zum Wachstum des gemeinwohlorientierten Wohnungsbestandes. „Die rechtssichere Ausübung von Vorkaufsrechten muss hierbei Hand in Hand gehen mit der Stärkung gemeinwohlorientierter Vermieter und ihres Neubaus. Außerdem muss bestehendes Mietrecht besser durchgesetzt werden“, so Maren Kern weiter.

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