Bestandssanierung: "Nicht in Einzelmaßnahmen verlieren"

Bestandssanierung: "Nicht in Einzelmaßnahmen verlieren"

Bestandssanierung: "Nicht in Einzelmaßnahmen verlieren"
Neubauprojekte wie die Klimaschutzsiedlung Ewige Teufe werden immer mehr zur Seltenheit. Quellen: Jonas Diener & Spar- und Bauverein eG

Franz-Bernd Große-Wilde, Vorstandsvorsitzender der Spar- und Bauverein eG, eine der größten Wohnungsbaugenossenschaften Nordrhein-Westfalens, mit einem Bestand von rund 12.000 Wohnungen, spricht mit IMMOBILIEN AKTUELL über notwendige Maßnahmen und deren Reihenfolge sowie den finanziellen Aufwand.

 

Agentur

IMMOBILIEN AKTUELL (IA): Wie groß ist derzeit die Zwickmühle zwischen bezahlbarem Wohnen und der Klimaneutralität?

Franz-Bernd Große-Wilde (GW): Die Bundesregierung hat im Klimaschutzgesetz das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verankert. Bereits bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 sinken. Diese Ziele sind ehrgeizig, aber auch dringend notwendig, wenn wir eine klimaneutrale Wärmeversorgung erreichen wollen. Allerdings erhöht sich dadurch der Handlungsdruck für Gebäudeeigentümer wie unsere Genossenschaft enorm, in kurzer Zeit noch mehr in unseren Wohnungsbestand zu investieren.

IA: Das Portfolio der Sparbau umfasst fast 1.700 Gebäude. Davon sind einige um 1.900 gebaut und andere erst ein paar wenige Jahre alt. Wie gehen Sie und Ihr Team mit dieser Diversifikation um?

GW: Am Anfang steht eine gründliche Datenerhebung mit allen Informationen zu jedem Gebäude, um die aktuellen Energie- und Emissionswerte im gesamten Bestand zu verstehen. Erst auf dieser Basis kann ein zielgerichteter Fahrplan entwickelt werden, der Klimaneutralität und Wirtschaftlichkeit gleichermaßen berücksichtigt. Um für jedes Gebäude die wirtschaftlich optimale Entscheidung treffen zu können, muss der Ist-Zustand genau betrachtet werden. Gebäude mit hohem Sanierungsbedarf werden zeitlich vorgezogen. Wichtig ist auch, dass wir Modernisierungen immer im Quartierszusammenhang betrachten und uns nicht in Einzelmaßnahmen verlieren. So erreichen wir die bestmögliche Steigerung der Energieeffizienzklassen und kommen der Klimaneutralität einen großen Schritt näher.

IA: Welche Kosten werden Sie mittelfristig, also in den kommenden fünf Jahren, aufbringen müssen?

GW: Wichtiger ist der Blick bis 2045. Die Kosten bis dahin belaufen sich nach heutiger Schätzung auf 878 Millionen Euro. Davon entfällt ein Großteil auf die Umsetzung energetischer Maßnahmen. In den nächsten fünf Jahren belaufen sich die Kosten auf etwa 190 Millionen Euro.

IA: Auch wenn ESG aus drei Buchstaben besteht, geht es doch meist um die Energie. Wie ist bei Ihnen das Verhältnis zwischen erneuerbarer und fossiler Energie und Fernwärme?

GW: Derzeit liegt der Anteil fossiler Energieträger in unserem Bestand noch bei 78 Prozent, gefolgt von 18 Prozent CO?-armer Fernwärme, zwei Prozent Wärmepumpen und zwei Prozent Pelletheizungen. Daraus ergibt sich ein Fußabdruck von 25,6 kg CO?/m²a pro Jahr, was 20.659 Tonnen entspricht – auf Basis der Werte für das Jahr 2022.

IA: Wie unterscheiden sich die Energiekosten innerhalb der Sparbau?

GW: Unsere Gebäude sind über alle Energieeffizienzklassen verteilt. Hochmoderne A+ Gebäude verbrauchen natürlich weniger Energie als unsere Altbestände in den niedrigeren Energieklassen. Wir versuchen daher, den Energieverbrauch und damit die warmen Betriebskosten durch verschiedene Maßnahmen zu optimieren. Neben Großmodernisierungen mit Verbesserungen sowohl an der Gebäudehülle als auch an der TGA ganzer Quartiere konnten wir durch geringinvestive Maßnahmen im Bereich der Heizungsoptimierung und Energieeffizienzsteigerung sehr gute Erfolge erzielen. Teilweise konnten wir so in einzelnen Beständen bis zu 30 Prozent Energie einsparen, ohne die Gebäudehülle angefasst zu haben. Auch auf diese Weise schaffen wir Energie- und CO2-Einsparungen für unsere Mitglieder.

IA: Sanierung und Restrukturierung drängen den Neubau in den Hintergrund. Ist das Ihrer Sicht die richtige Entscheidung?

GW: Wir können jeden Euro nur einmal ausgeben und wägen daher in unserer strategischen Wirtschaftsplanung stets ab, welchen Anteil wir in Neubaumaßnahmen investieren. Für die angespannten Wohnungsmärkte, die derzeit durch einen Nachfrageüberhang gekennzeichnet sind, bedeutet dies in den nächsten Jahren keine Entspannung. Um beide Ziele zu erreichen, bedarf es einer gezielten Förderung durch Bund, Länder und Kommunen: Die Dekarbonisierung des Gebäudebestandes und die Schaffung von neuem und bezahlbarem Wohnraum.

Das Dortmunder Unternehmen arbeitet auch mit Dachaufstockungen im Bestand, wie hier am Goldschmiedingweg. Foto Jonas Diener

IA: Neben der Energie gibt es auch noch andere Herausforderungen. Welche sind das aus Ihrer Sicht?

GW: Als Genossenschaft stehen wir vor der Herausforderung, einen Weg zur Klimaneutralität zu finden, der den Vorgaben der Bundesregierung entspricht und gleichzeitig für unsere Mieter bezahlbar bleibt. Seit Verschärfung der Klimaschutzgesetzgebung vor einigen Jahren sind Themen wie demografischer Wandel, altersgerechtes Wohnen und soziales Miteinander in der Diskussion in den Hintergrund getreten. Die Probleme sind aber nicht verschwunden, sondern bestehen fort. Auch hier bedarf es gezielter Lösungsansätze, um alle Facetten der Nachhaltigkeit ausgewogen abzudecken.

IA: Als Vorsitzender des Vereins Wohnen in Genossenschaften thematisieren Sie und Ihre Kollegen immer wieder die Zukunftsfähigkeit von Genossenschaften. Was braucht es dazu aus Ihrer Sicht?

GW: Die Herausforderungen bringen viele Veränderungen für den Alltag unserer Mitglieder mit sich. Zuerst die Coronapandemie 2020, die unseren Alltag grundlegend beeinflusst, eingeschränkt und nachhaltig verändert hat. Dann der Angriffskrieg auf die Ukraine, der nach fast 10 Jahren Niedrigzinsphase zu einer enormen Teuerung im Alltag geführt hat. All diese Themen verändern auch Kooperationsprozesse und -ansätze. Wie ein solcher Wandel gelingen kann und wie wir dabei die Stärken unserer Rechtsform nutzen können, diskutieren wir auf unserer nächsten Veranstaltung am 31.10.2024 in Dortmund.