Für ein Bürgerbegehren werden in Dresden aktuell Unterschriften gesammelt. Im Mittelpunkt steht eine umstrittene Entscheidung des Landesamtes für Denkmalpflege, welche 2021 Teile des Neustädter Marktes unter Denkmalschutz stellte. Damit einher gehen hohe Hürden für eine Neugestaltung des im Zweiten Weltkrieg zerstörten und mit kulturhistorisch fragwürdiger Nachkriegsbebauung "wiederhergestellten" Platzes.
Am 12. Juni 2022 wird in Dresden ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Torsten Kulke, Vorstand der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden (GHND) möchte gern, dass die Dresdner dann auch über die künftige Gestaltung des Neustädter Marktes abstimmen. Die GHND sammelt bis zum 13. April Unterschriften für ein entsprechendes Bürgerbegehren mit der Fragestellung: „Sind Sie dafür, dass vom Königsufer/Elbseite ausgehend die 2019 unter breiter Bürgerbeteiligung entstandenen Wettbewerbsergebnisse (Stadtratsbeschluss V3266/19) verwirklicht werden, die sich am schönen städtebaulichen Zustand vor der Zerstörung orientieren?“ Soll das Bürgerbegehren Erfolg haben, müssen sich mindestens 27.000 Menschen daran beteiligen.
Dresden arbeitet am Entwurf des Bebauungsplanes für den Neustädter Markt
Zum Hintergrund: Zur Gestaltung des Neustädter Markts und des Königsufers gab es immer mal wieder Pläne, aber bis heute sind die Wunden des Zweiten Weltkrieges an dieser Stelle nicht getilgt. Mit einem neuen Wettbewerb für dieses Areal hatte die Landeshauptstadt 2019 deutschlandweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Stadtverwaltung bezog damals auch die Bürger ein. Am Ende wurden die Berliner Architekten Bernd Albers und Günther Vogt als Sieger bekannt gegeben.
Sie setzen auf eine dichte, kleinteilige Bebauung. Der Stadtrat legte den ersten Wettbewerbssieger, ergänzt um Kleinigkeiten des Zweitplatzierten, zur Umsetzung fest. Eine zunächst vorgesehene Platzbebauung am Neustädter Markt wurde dabei zurückgestellt. Die Südseite des Platzes mit dem Königsufer soll zuerst bebaut werden und dabei auch Lösungen für den Verkehr auf der bisher vierspurigen Bundesstraße dazwischen untersucht werden. Seither arbeitet die Stadt an einem Entwurf für den Bebauungsplan.
Fragwürdige Entscheidungen...
„Wir bedauern, dass es bisher nicht zu einem Wiederaufbau des Narrenhäusels gekommen ist und die Stadt immer wieder die Klärung entsprechender Fragen vorschiebt“, sagt GHND-Vorstand Torsten Kulke. Das macht ihn misstrauisch – mehr aber noch, dass das Landesamt für Denkmalpflege im vergangenen Jahr den Neustädter Markt zum Denkmal der DDR-Architektur inklusive der Plattenbauten, Hochbeete, Pflanzkübel und Brunnen sowie der Straßenanlage unter Schutz gestellt hat. Landeskonservator Alf Furkert betonte nach der Entscheidung, dass der Platz weiterhin verändert werden könne, aber die Pläne mit seiner Behörde abgestimmt werden müssen.
Nach Ansicht der GHND betreffe es aber nicht nur den Platz um den Goldenen Reiter. Die Unterschutzstellung habe zur Folge, dass die im Wettbewerb vorgeschlagenen Gebäude am Königsufer, also am südlichen Rand des Neustädter Marktes, um mindestens zwei Meter nach hinten versetzt werden. „Da aber die Bebauungskante zum Elbufer festgelegt ist, würden die geplanten grünen Innenhöfe wegfallen und Lebensqualität verloren gehen“, argumentiert Torsten Kulke. Zudem würde an der überbreiten Straße festgehalten, selbst wenn sie zusätzliche Radwege erhalte. Auch die Unterschutzstellung des Hotels Bilderberg Bellevue bringe Probleme. Denn damit müsse ein Abstand gewahrt bleiben und es kann nicht wie vorgesehen direkt am Hotel angebaut werden.
Ziel des Bürgerbegehrens: Denkmalschutz für Neustädter Markt aufheben
Da Vertreter des Denkmalschutzes in den Wettbewerb einbezogen waren, fordert nun die GHND in einem Flyer für den Bürgerentscheid: „In der Zwischenzeit getroffene behördliche Entscheidungen, die eine Umsetzung verhindern würde, müssen zurückgenommen werden.“ Sprich, der Denkmalschutz sollte wieder aufgehoben werden.
Für die GHND ist das Bürgerbegehren zugleich ein Stimmungstest: Wie groß ist die Unterstützung der Dresdner Bürgerschaft für das Engagement der GHND bei Fragen des Städtebaus und des Wiederaufbaus Dresden?
Unterstützung bekam die Neumarkt-Gesellschaft vom Stadtbild Deutschland e.V. In einem offenen Brief an den Oberbürgermeister und an die Stadträte beklagen die Unterzeichner, dass die Verwaltungsentscheidung der Denkmalbehörde nicht hinnehmbar sei. Es gehe keineswegs nur um die Zukunft des Neustädter Marktes/Königsufer, sondern um grundsätzliche Fragen, die das Funktionieren der Demokratie betreffen.
„Setzt man hier kein klares Signal demokratischer Beteiligung, besteht auch in Zukunft jederzeit die Gefahr, dass die untere Denkmalbehörde sich durch die Hintertür von Partikularinteressen einspannen lassen wird. Das wäre kontraproduktiv für unsere demokratische Gesellschaft, die von Transparenz und Bürgerbeteiligung lebt“, heißt es in dem Brief. Stadtbild Deutschland und weitere Vereine wie Altstadtfreunde Nürnberg, Pro Altstadt Frankfurt und Mitteschön aus Potsdam, bitten die Stadträte, sich für eine Volksabstimmung starkzumachen.
Weitere Pro-Stimmen für das Bürgerbegehren
„Ich unterstütze das Begehren, weil ich mir davon verspreche, dass das Stadtbaukunstwerk Neustädter Marktplatz zur Elbe hin komplettiert werden kann.“ Dr. Matthias Lerm (Autor des Buches: Abschied vom alten Dresden, Stadtarchitekt in Magdeburg, SPD)
„Ich habe das Begehren unterschrieben, weil ich das Anliegen im Grundsatz teile und der Meinung bin, dass der Neustädter Markt im Sinne des Wettbewerbes weiterentwickelt werden soll.“ Gunter Thiele (baupolitischer Sprecher a. D. der CDU im Dresdner Stadtrat, Jurymitglied des Wettbewerbes Neustädter Markt/Königsufer)
„Ich unterstütze das Bürgerbegehren zum Neustädter Markt, da ich der Meinung bin, dass das großartige Vermächtnis Augusts des Starken, die Neue Königsstadt, nicht als Plattenbauviertel mit Autobahnanschluss oder als Großstadt-Park enden darf, sondern soweit wie möglich wiederhergestellt werden sollte. Mit der Verwirklichung der hervorragenden Wettbewerbsergebnisse von 2018/19 wäre hierzu der erste Schritt in die richtige Richtung gemacht.“ Dr. phil. Stefan Hertzig (Freier Architektur- und Kunsthistoriker)
Das anvisierte Bürgerbegehren zum Neustädter Markt erntet auch Kritik
Aber es gibt auch andere Stimmen. So kritisiert die Initiative Neustädter Freiheit das geplante Bürgerbegehren und warnt davor, den Platz um den Goldenen Reiter weiter zu verdichten. Der Neustädter Markt biete Platz für überschaubare Veranstaltungen genauso wie für Gastronomie im Freien und erholsamen Aufenthalt am Brunnen im Grünen, heißt es in einer Erklärung der Bürgerinitiative. Sie würdigt die historisch bedeutende Platzanlage aus den 1970er Jahren.
Der Denkmalschutz für die Platzanlage verhindere auch nicht, dass die Verkehrssituation im Bereich des Neustädter Marktes verbessert werde. Die Bürgerinitiative verweist auf entsprechende Prüfbeschlüsse im Stadtratsbeschluss zur „wünschenswerten Reduzierung“ des Straßenraumes für den Autoverkehr. Grundsätzlich, so die Initiative Neustädter Freiheit, sei zu überprüfen, ob wirklich die „dichtere Bebauung der Vorkriegszeit“ im gesamten Areal erstrebenswert sei. „Bauliche Verdichtung ist verfehlt, wo es ganz im Gegenteil um die Stärkung von Freiraumqualitäten gehen muss. Sowohl zugunsten optimaler Aufenthaltsqualität als auch wegen der schon heute feststellbaren Überhitzung der Inneren Neustadt ist die vom Stadtrat 2020 beschlossene 'freiraumplanerische Qualifizierung' des Neustädter Marktes geboten“, stellt die Initiative fest.