Premiere in der Immobilienwirtschaft: Erstmals sammelt ein Katalog konkrete Maßnahmen, wie der Gebäudebestand schnell dekarbonisiert werden kann. Die Smart Building Innovation Foundation zeigt im Zuge dessen auch auf, welche Maßnahmen wie wirkungsvoll sind und wann sie sich amortisieren.
Erstmals kann die Branche in einem Katalog Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Bestands nachschlagen, die auf ihre Wirksamkeit neutral und wissenschaftlich bewertet wurden. Die Smart Building Innovation Foundation (SBIF) hat diesen Maßnahmenkatalog am Dienstag in Hamburg vorgestellt.
Maßnahmenkatalog zur Dekarbonisierung des Bestandes
Mit dem Maßnahmenkatalog können Bestandshalter anhand objektiv evaluierter Kriterien entscheiden, was sie tun müssen, um den Energieverbrauch oder den CO2-Ausstoß ihrer Immobilien zu reduzieren. Gerade aktuell herrscht bei Bestandshaltern große Ungewissheit, was wie wirksam ist, welcher Aufwand damit verbunden ist und wann sich Maßnahmen amortisieren. Antworten darauf gibt nun die SBIF. Der Katalog ist in Zusammenarbeit zwischen Branchenunternehmen und renommierten Wissenschaftlern entstanden.
„Die Branche braucht Klarheit und Orientierung, was jetzt wie mit welcher Wirkung umgesetzt werden kann“, sagt Andreas Thamm, Vorstandsvorsitzender der SBIF. So nennt der Katalog zum Beispiel zehn Maßnahmen, die nichtinvasiv umgesetzt werden können, also ohne dass der Mieter gestört wird. Diese Maßnahmen führen unmittelbar zu rund zehn Prozent Energieeinsparung und amortisieren sich bereits nach zwei bis drei Jahren.
Was Bestandshalter mit Obstbauern verbindet
„Die Situation für Bestandshalter ist mit der eines Obstbauers vergleichbar, der plötzlich weniger Ertrag je Apfelbaum hat. Fällt er den Baum oder ergreift er Maßnahmen, um den Ertrag wieder zu steigern?“, erklärt Frank Hermanns, Geschäftsführer der Smart Building Innovation gGmbH, die die Ziele der Stiftung praktisch umsetzt.
Bis zu dem Jahr, in dem der Baum keine Äpfel mehr trägt, bleibt kaum Zeit – ähnlich wenig Zeit, um Immobilien davor zu bewahren, als Stranded Asset zu enden. Der Markt bietet unzählbare Angebote, den CO2-Ausstoß zu senken und Energie einzusparen. Dabei reicht die Spanne von minimalinvasiven Software-Anwendungen bis hin zur umfangreichen energetischen Sanierung mit Wärmedämmung. Gleichsam weit liegen Aufwand und Ertrag solcher Maßnahmen auseinander, weiß Frank Hermanns. „Hier setzt die Stiftung an. Wir untersuchen bauliche und betriebliche Maßnahmen, kategorisieren sie und zeigen damit, wie groß die Wirkung bei welcher Maßnahme ist.“
Technik und Hardware im nötigen Maß verwenden
Der Bestandshalter kann auf eine Vielzahl an Instrumenten zurückgreifen. Das erfordert, stets technische Neuerungen im Blick zu haben. Stefan Klepzig, für Schneider Electric Mitglied des Stiftungskuratoriums, führt dazu aus: „Technik und Hardware können beliebig verbaut werden. Das ist allerdings nur bis zu einem bestimmten Maße sinnvoll und effizient.“ Auch das bewertet der Maßnahmenkatalog der SBIF. Bestandshalter erhalten einen Eindruck davon, wie viel Hardware überhaupt nötig ist. „Wenn sie den Bestand ertüchtigen, geht es darum, möglichst schonend vorzugehen, also den Mieter nur minimal zu belasten. Finanziell und auch in der Nutzung der Fläche“, ergänzt Stefan Klepzig.
Evidenzbasierte Entscheidungen treffen
In der aktuellen Situation gehen Bestandshalter zu oft davon aus, dass Energiesparen bedeutet, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung, warnt davor, beides gleichzusetzen: „Klarheit bekommen Bestandshalter dank des SBIF-Maßnahmenkatalogs. Die Bewertung der aufgeführten Maßnahmen wurde wissenschaftlich begleitet. Sie zeigen evidenzbasiert womit welches Ziel erreicht wird und wie relevant der Unterschied zwischen Energiesparen und CO2-Reduktion sein kann.“
Welche Kennziffern sind die Richtigen?
Ungelöst ist häufig die Frage, was reportet werden kann. Dazu gibt der Maßnahmenkatalog der SBIF Orientierung, denn alle Maßnahmen werden aus zwei Blickwinkeln bewertet. Zuerst wird bewertet, wie hoch der Aufwand ist und was an Einsparung möglich sein wird. Dabei wird auch betrachtet, wann sich eine Maßnahme amortisiert. Als zweites wird bewertet, wie nachhaltig eine Maßnahme auf lange Sicht ist. „Wir weisen für die Maßnahmen monetäre und nicht-monetäre Kennziffern aus. Beide Kennziffern sind für Eigentümer, insbesondere vor dem Hintergrund der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) relevant“, erklärt Dr. Katrin Meyer, Vertreterin von Mazars.
SBIF entwickelt den Maßnahmenkatalog zur Dekarbonisierung stetig weiter
„Unser Katalog ist ein dynamisches Werk. Wir ergänzen ihn stetig um neue Maßnahmen und sind darauf angewiesen, Rückmeldung vom Markt zu bekommen. Bei uns dürfen sich Lösungsanbieter gerne melden und ihre Maßnahmen vorschlagen. Der Aufwand, Maßnahmen zu evaluieren, ist erheblich und lohnt sich. So stellen wir für die Branche die nötige Transparenz her“, erklärt Frank Hermanns das Prozedere.
Die nächsten Schritte der Stiftung sind Pilotprojekte. Die untersuchten Maßnahmen werden im Zusammenspiel praktisch getestet. Dazu sucht die SBIF Partner, die in einem strukturierten Prozess im Bestand Maßnahmen testen, Abhängigkeiten erforschen und die Wirkung unabhängig evaluieren lassen wollen.