Im 2020 in Kraft getretenen „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ war unter anderem die Gründung eines Großforschungszentrums im Mitteldeutschen Revier verankert worden. Ein vom Potsdamer Max-Planck-Institut unter Federführung von Prof. Dr. Peter H. Seeberger initiiertes Konzept setzte sich im Bund-Länder-Wettbewerb um 1,25 Milliarden Euro Förderung durch und wird als „Center for the Transformation of Chemistry“ in Delitzsch realisiert. Hier soll die chemische Industrie in eine Kreislaufwirtschaft überführt werden. Aktuell verständigten sich Bund und Länder (Sachsen und Sachsen-Anhalt) über die Finanzierung des CTC.
Artikel vom 21. Oktober 2022: Die chemische Industrie ist einer der wichtigsten Industriezweige Deutschlands und grundlegend für die Wertschöpfungsketten zahlreicher weiterer Wirtschaftszweige. Kurzum: Chemie steckt in 97 Prozent aller Produkte. Die hohe Abhängigkeit der Chemie von fossilen Quellen einerseits als Energielieferant für Herstellungsprozesse und andererseits als Rohstoffbasis für chemische Stoffe und Produkte macht das bestehende System anfällig für Krisen aus Preisanstiegen und Unsicherheiten in den Zulieferketten.
Wichtige Zielstellung: Transformation der Chemie in eine Kreislaufwirtschaft
„Um die Versorgung und das Funktionieren der gesamten Wirtschaft am Standort Deutschland zu sichern, ist es dringend notwendig, Ausgangsstoffe, Prozesse und Produkte neu zu denken und die bisher linear geprägte chemische Industrie, die zudem große Mengen Kohlenstoffdioxid sowie giftige Abfälle und Abwässer produziert, langfristig als widerstandsfähige Kreislaufwirtschaft zu etablieren“, erklärt Peter H. Seeberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung. Er fügt hinzu: „Kostengünstige und nachhaltige Produktionsprozesse hauptsächlich aus nachwachsenden Rohstoffen oder recycelten Materialien unter Einhaltung höchster Arbeitsschutz- und Umweltstandards und drastisch verkürzter Transportwege müssen sichergestellt werden.“
Ohne eine solche Transformation der Chemie könnten europäische Klimaziele nicht erreicht, der wirtschaftliche Wohlstand nicht erhalten und zukunftssichere Beschäftigungschancen nicht realisiert werden. Das gleichzeitige Erreichen von Klima-, Wirtschafts- und Beschäftigungszielen und der Erhalt eines nachhaltigen Industriestandorts gelinge nicht durch ein Kurieren von Symptomen, sondern nur durch eine strukturierte langfristig ausgelegte Transformation. „Es gibt weltweit Ansätze in der Industrie und der Wissenschaft in diese Richtung, aber kein vergleichbares Forschungszentrum“, sagt Peter H. Seeberger.
Großforschungszentrum am Standort Delitzsch im Mitteldeutschen Chemiedreieck
Das angesprochene Forschungszentrum, das all diese Ziele erreichen soll, trägt den Namen „Center for the Transformation of Chemistry” (CTC), wird im sächsischen Delitzsch realisiert und knüpft an die lange Tradition im Chemiedreieck Halle/Merseburg/Bitterfeld an. Auf dem Gelände einer ehemaligen Zuckerfabrik wird in den nächsten Jahren das CTC als bisher erste Forschungseinrichtung im Landkreis Nordsachsen etabliert.
Der Campus mit dem Neubau des Großforschungszentrums, angrenzenden Wohnquartieren und einem eigenen S-Bahn-Anschluss mit Verbindungen nach Leipzig und Halle lässt einen neuen Stadtteil in Delitzsch wachsen. Unterstützt werden Aufbau und Entwicklung des CTC von bereits jetzt mehr als 100 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft vor Ort, im Mitteldeutschen Revier, in Deutschland und weltweit. In enger, interdisziplinärer Zusammenarbeit wird die Transformation der Chemie in Forschung und Industrie vorangetrieben, aber auch zum Beispiel neue Studien-, Aus- und Weiterbildungsangebote entwickelt werden.
Gestaltung des Strukturwandels nach dem Kohleausstieg
Das CTC wird im Rahmen des gemeinsamen Ideenwettbewerbs „Wissen schafft Perspektiven für die Region!“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, dem Freistaat Sachsen und dem Land Sachsen-Anhalt aufgebaut. „Die Stadt wird damit zum Wissenschaftsstandort werden, die ganze Region wird aufgewertet und von dieser international bedeutsamen Einrichtung profitieren. Letztendlich ist es ein versöhnlicher Abschluss mit der jahrzehntelangen Bergbaugeschichte, die im Revier ihre tiefen Spuren hinterlassen hat,“ erklärte der Delitzscher Oberbürgermeister Dr. Manfred Wilde zu dem Vorhaben.
Im 2020 in Kraft getretenen „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ war die Gründung je eines Großforschungszentrums im Lausitzer Revier (hier ist ein Zentrum für Astrophysik in Görlitz und Ralbitz-Rosenthal vorgesehen) und im Mitteldeutschen Revier verankert worden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hatte im Rahmen eines 2020 begonnenen Wettbewerbs nach umsetzungsreifen und nachhaltigen Konzepten für die vom Strukturwandel stark betroffenen Regionen gesucht. Mit dem CTC am Standort Delitzsch hat sich der Projekt-Initiator Prof. Dr. Peter H. Seeberger vom Potsdamer Max-Planck-Institut im Mitteldeutschen Revier gegen zwei Mitbewerber aus der Region Leipzig durchgesetzt.
Eckpunkte zur Finanzierung des Großforschungszentrums CTC abgesegnet
Update vom 02. November 2023: Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff haben im Landratsamt Nordsachsen Eckpunkte zur Finanzierung des künftigen Großforschungszentrums „Center for the Transformation of Chemistry“ (CTC) unterzeichnet. Das Zentrum soll seinen Sitz in Delitzsch haben. Ein weiterer Standort entsteht in Sachsen-Anhalt. Folgende Kostenverteilung ist für die Förderung des CTC vorgesehen:
- Der Freistaat Sachsen und das Land Sachsen-Anhalt übernehmen am jeweiligen Standort die Kosten für Grundstückskauf, Erschließung, Beseitigung von Altlasten sowie unter anderem etwaige Kosten wegen Denkmalsanierung.
- Der Bund trägt die Bau- und Ausstattungskosten für die zu errichtenden Gebäude jeweils zu 90 Prozent, die Länder beteiligen sich am jeweiligen Standort mit zehn Prozent. Für etwaige Mehrkosten wurde eine gesonderte Vereinbarung getroffen.
- Die frühe Aufbauphase des CTC, in der unter anderem das künftige Forschungsprogramm, das Personal- und Betriebskonzept sowie die Infrastrukturplanung erarbeitet werden sollen, wird im Rahmen einer Projektförderung mit rund 40 Millionen Euro zunächst vom Bund finanziert.
- Ab dem Übergang in die institutionelle Förderung wird die Grundfinanzierung für den Betrieb und für laufende Investitionen der jeweiligen Standorte im Verhältnis 90 Prozent (Bund) zu zehn Prozent (Land) getragen.
Bis 2038 stehen für das neue Großforschungszentrum 1,1 Milliarden Euro aus Strukturwandelmitteln des Bundes zur Verfügung. Damit können rund 1.000 Arbeitsplätze für Forscher, Laboranten, Verwaltungsangestellte und Dienstleister geschaffen werden, davon rund 700 im Freistaat Sachsen und 300 im Land Sachsen-Anhalt.