Wenn Wunder wahr werden: Die Entwicklung des Hauses der Statistik stellt ein verblüffendes Stück Unwahrscheinlichkeit in Berlins Baugeschichte dar. Seit August 2022 befindet es sich endlich im Umbau. Wie es mit diesem Modellprojekt als Ort für Verwaltung, Kultur, Soziales, Bildung und integriertes Wohnen in diesem Jahr weitergeht, hat IMMOBILIEN AKTUELL recherchiert.
Artikel vom 28.10.2019: Die richtigen Worte, auf Transparent gebannt, können Berge versetzen. Denn wie sagte noch gleich der große argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges? „Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn.“ Wenn diese Phrasen aus dem Denkorgan eines anderen sich augenblicklich wie eine richtig gute Idee anfühlen oder – besser noch – wie Wahrheit, dann haben wir es mit einem perfekten Slogan zu tun. Ein solcher vermag selbst die irrwitzigsten Dinge zu zeitigen. Mit dem Haus der Statistik besitzt die Stadt Berlin ihr ganz eigenes Beispiel für diese wundersame Macht der Worte. Eigentlich waren Abriss und Verkauf des seit 2008 leerstehenden Gebäudes bereits beschlossen, ein Neubau mit 94.000 Quadratmetern Bürofläche sollte entstehen. Dann schmückte eine Gruppe von Künstlern 2015 den DDR-Bau mit den Worten: „Hier entstehen für Berlin Räume für Kunst, Kultur und Soziales.“ Und alles wurde anders.
Krisen laden oftmals zum Umdenken ein, und so bot die damalige Flüchtlingskrise den fruchtbaren Boden für die an sich unwahrscheinliche Idee der Künstler von der Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser (AbBA). Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) – ihres Zeichens Eigentümerin der Liegenschaft – rückte von ihren ursprünglichen Verkaufsplänen ab und bot dem Land Berlin im Frühjahr 2015 das Gebäude zur Nutzung als Flüchtlingsunterkunft an, was dieses jedoch ablehnte. Stattdessen schlossen sich allerdings Bezirksbürgermeister Christian Hanke und die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte einem Vorschlag der aus Künstlern, Architekten, Kulturschaffenden und Politikern bestehenden Initiative Haus der Statistik an, aus dem Areal ein Zentrum für Geflüchtete – Soziales – Kunst – Kreative zu machen.
Einzigartige Kooperation am Haus der Statistik
Zwar wurden die Flüchtlingsunterkünfte im alten DDR-Verwaltungskomplex nie eingerichtet. Nichtdestotrotz legte die seit Ende 2016 amtierende rot-rot-grüne Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag fest, dass das Haus in Landeseigentum überführt und „als Ort für Verwaltung sowie Kultur, Bildung, Soziales und Wohnen“ entwickelt werden sollte. 2017 erwarb das Land Berlin schließlich das Objekt.
Um das Haus der Statistik seiner neuen, gemeinwohlorientierten Bestimmung zuzuführen, entstand dann, im Januar 2018, eine deutschlandweit vermutlich einzigartige Kooperation. Unter dem Namen Koop5 arbeiten seither die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, das Bezirksamt Berlin-Mitte, die landeseigenen Gesellschaften WBM Wohnungsgesellschaft Berlin-Mitte mbH und BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH sowie die aus der Initiative Haus der Statistik erwachsene ZUsammenKUNFT Berlin eG (ZKB) an der Entwicklung des Geländes.
Der „große Kuchen“ Haus der Statistik soll sich folgendermaßen auf die fünf Parteien verteilen: Als „großer Bruder“ begleitet die Senatsverwaltung das Projekt und führt den städtebaulichen Planungsprozess durch. Der Bezirk Mitte schafft Planungsrecht und leitet den Gesamtprozess, während er gleichzeitig als Bauherr für das neue, circa 25.000 Quadratmeter große Rathaus Mitte auftritt, das auf dem Areal entstehen soll. Die WBM will in einem geplanten Neubau auf etwa 26.000 Quadratmetern 300 bezahlbare Wohnungen errichten. Auf 80 Prozent der Bestandsflächen wird die BIM GmbH diverse Verwaltungsnutzungen unterbringen, darunter auch das Finanzamt. Die übrigen 20 Prozent entfallen auf die ZKB, die diese sowie 15.000 weitere Quadratmeter im Neubau mit Kunst, Kultur und Sozialem füllen wird.
Leona Lynen sieht in der Koop5 als Synergie von zivilgesellschaftlicher Selbstverwaltung und kommunaler Daseinsvorsorge einen Hebel, um die Gemeinwohlorientierung langfristig zu sichern. „Durch die Kooperation wird zivilgesellschaftliches Wissen, Engagement und die Diversität der zukünftigen Nutzer:innen mit der Expertise und den Handlungsspielräumen der kommunalen Akteure gekoppelt“, sagt die Botschafterin der WERKSTATT Haus der Statistik. „Es ist ein lernender Prozess, in dessen Verlauf gemeinsam Instrumente und Maßnahmen des Gemeinschaffens entwickelt werden.“
Offenes Werkstattverfahren zur Ausarbeitung eines Bebauungsplans
Dass so ein lernender Prozess wunderbar funktionieren kann, zeigte das von September 2018 bis Februar 2019 ausgerichtete integrierte Werkstattverfahren zur Ausarbeitung eines neuen Bebauungsplans für das Areal. Neben diversen Fachexperten konnten sich hier auch die Berliner Bürger an der Ideenfindung beteiligen. Von den drei Bürogemeinschaften, die aus diesen Ideen jeweils einen städtebaulichen Entwurf erarbeiteten, setzte sich am Ende das Team von TELEINTERNETCAFÈ und Treibhaus Landschaftsarchitekten durch. Dessen besonders nutzerorientierter Plan sieht 66.000 Quadratmeter Neubau als Ergänzung der 46.000 Quadratmeter Bestand vor, dazu drei Höfe zur gemeinschaftlichen Verwendung.
Die neuen Gebäude umfassen eine Wohnbebauung entlang der Berolinastraße mit einem 15- und einem zwölf-geschossigen Wohnhaus sowie einen 16-geschossigen Büroturm an der Otto-Braun-Straße für das neue Rathaus. Drei „Experimentierhäuser“ sind für wechselnde Nutzung vorgesehen. Dachgärten und Gemeinschaftsterrassen sollen die dichte Bebauung zusätzlich begrünen. Die Umsetzung dieses Bebauungsplanes erfordert zudem den Abriss der beiden Flachbauten im Norden und Osten des Komplexes. Der Teilrückbau des Bestandes war allerdings im Vorfeld bereits beschlossen worden.
Alles anders oder was?
Ab 2021 sollen die Pläne in die Tat umgesetzt werden. Bis dahin stehen die alten Gebäude jedoch noch ganz im Zeichen der sogenannten Pioniernutzungen. Nina Peters von der ZUsammenKUNFT Berlin eG und federführend bei diesen Interimslösungen erklärt: „Pioniernutzungen erproben prozesshaft, was später im Quartier entstehen soll – ein gemeinschaftliches Quartier, das durch Nutzungssynergien, eine kooperative Entwicklung und ein gemeinwohlorientiertes Leitbild geprägt ist. Sie sind eine Reaktion auf akute Raumbedarfe und sollen die Bestandsgebäude aktivieren und revitalisieren.“ Eines dieser Raumexperimente ist das noch bis Dezember 2019 laufende künstlerische Projekt STATISTA. Hier wird unter dem Titel „Allesandersplatz“ untersucht, wie Stadtentwicklung gemeinnützig, nachhaltig und kooperativ umgesetzt werden kann. Womöglich ist dabei schon die nächste Idee im Anmarsch, deren Umsetzung heute noch niemand für möglich hält. Aber wer weiß.
Fahrplan 2023 für das Haus der Statistik steht
Update vom 31. Januar 2023: An dem Bürokomplex aus DDR-Zeiten laufen seit 2022 Bauarbeiten. Unter anderem wurde die Bühnenstätte ALEXIS abgerissen. Sie musste vorerst für einen Energiering der Stadtwerke weichen, der unter die Gehwege Karl-Marx-Allee und Otto-Braunstraße kommt. Das Vorhaben gehört zum Energiekonzept für das zukünftige Quartier, bei dem Wärme aus Abwasser zurückgewonnen werden soll. Bereits bis Ende 2024 sollen im dann sanierten und umgebauten Haus der Statistik moderne Büroflächen zur Verfügung stehen.
Im sanierten und umgebauten Haus der Statistik mieten dann die Berliner Immobilienmanagement GmbH und das Finanzamt Mitte etwa 80 Prozent der Fläche. Die restlichen 20 Prozent sind für soziale und kulturelle Projekte vorgesehen. Die landeseigene WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH hat in diesem Jahr vor, die Hochbauplanung für die drei Baufelder an der Berolinastraße zu beginnen: Rund 290 bezahlbare Wohnungen sollen im Zentrum der Hauptstadt entstehen.
Werkstattverfahren endet im Mai
Auch konzeptuell tut sich einiges: In Kürze beginnt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen das Werkstattverfahren zur temporären Gestaltung der Freiräume am Haus der Statistik und am Haus des Reisens. Das Zwischenkolloquium ist für den 16. März 2023 geplant, am 23. März können sich alle Interessierten in einer öffentlichen Werkstatt über den aktuellen Stand der Entwürfe informieren und Hinweise geben.
Beim Abschlusskolloquium am 17. Mai werden die drei geladenen Teams aus Landschaftsarchitekten, Architekten, Stadtplanern und gegebenenfalls Künstlern der Jury ihre Entwürfe vorstellen. Der dann ausgewählte Entwurf wird ab 2023 für drei bis fünf Jahre umgesetzt. Manfred Kühne, Leiter der Abteilung II – Städtebau und Projekte, sagt: „Das Werkstattverfahren soll zeitnah erahnen lassen, welche gemeinwohlorientierten Qualitäten der öffentliche Raum an dieser wichtigen Stelle im unmittelbaren Umfeld des Alexanderplatzes gewinnen kann.“
Direktvergabe einzelner Grundstücke im Quartier am Haus der Statistik
Die Initiative ZUsammenKUNFT Berlin eG (ZKB) vertritt die Interessen der Nutzer vor Ort. Sie wird in diesem Jahr Körperschaften des gemeinsam ausgearbeiteten Trägermodells gründen sowie zukünftige Räume ausschreiben und vergeben. Die neuen Nutzer sollen gemeinsam mit den dort bereits Aktiven die kooperative Quartiersentwicklung verantworten.
Die größte Herausforderung werde, laut Vorstand, die vertragliche Sicherung bezahlbarer Räume sein. „Eine Direktvergabe der Grundstücke für die Experimentierhäuser an den gemeinnützigen Bauträger des Trägermodells ist hierbei von besonderer Bedeutung", heißt es. Die ZKB und der landeseigene Immobiliendienstleister BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH haben einen Erbbaurechtsvertrag, da die Initiative als Treuhänderin für das Trägermodell die sogenannten Experimentierhäuser übernehmen will, die später Raum für gemischte Wohnformen und öffentliche Nutzungen bieten sollen.
Auf dem Aufgabenzettel des Bezirksamtes Mitte steht die Weiterführung des B-Planverfahren. Es soll bis zum Frühjahr ein Mobilitäts- und Erschließungskonzept für das neue Stadtquartier am Haus der Statistik erarbeitet werden. Das Ziel lautet: Freiräume schaffen und kein zusätzlicher Verkehr im Berolina-Kiez. Für das sogenannte Rathaus der Zukunft, den neuen Sitz des Bezirksamtes Mitte, wird derzeit das Raum- und Funktionsprogramm abgestimmt und ein Architekturwettbewerb vorbereitet. Vorangegangen war – während der Pandemie – ein digitales Verfahren, in dem Bürger mitteilen konnten, wie sie sich ein modernes Rathaus wünschen. Das neue Rathaus soll bis 2031 fertig sein.