Infrastruktur: „Es kommt immer auf eine realistische Betrachtung an“

Infrastruktur: „Es kommt immer auf eine realistische Betrachtung an“

Infrastruktur: „Es kommt immer auf eine realistische Betrachtung an“
Infrastruktur ist eines der großen Themen, von denen die Wirtschaftsentwicklung Deutschlands abhängt. Quelle: StockSnap/Pixabay / Quelle Porträt: Drees & Sommer

Dirk Fischer, Senior Teamleiter bei Drees & Sommer in Nordrhein-Westfalen, spricht im Interview über große Infrastrukturprojekte und warum die meist nicht funktionieren. Er plädiert für Leitplanken und dafür, auch mal einen Trend vorbei gehen zu lassen. Zudem geht es um die aktuellen Herausforderungen bei der sozialen Infrastruktur.

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IMMOBILIEN AKTUELL (IA): Fortschritt möchte man es bei Stuttgart21 ja gar nicht mehr nennen, wieder wurde die Eröffnung verschoben. Dieses Mal um ein Jahr. Das Drama um den BER haben alle noch im Kopf. Sind solche Projekte einfach zu überdimensioniert, um sie pünktlich abzuschließen?

Dirk Fischer (DF): Jedes große Projekt, das politisch und öffentlich entschieden werden muss, beginnt sehr oft mit einer überidealisierten Darstellung. Das kann unterschiedliche Gründe haben, beispielsweise sehr hohe Ambitionen, aber auch Angst vor der Nicht-Perfektion. Bei allem kommt es immer auf eine realistische Einschätzung an und darauf zu erkennen, was Fußangeln sein könnten. Der BER und auch Stuttgart sind zum einen architektonisch sehr anspruchsvolle Projekte, zum anderen ist beispielsweise der Tunnel in Stuttgart nicht ohne Risiken, die man in ihrer Gesamtheit so nicht vorhersehen kann.

IA: Warum funktionieren gerade so große Infrastruktur-Projekte immer wieder nicht?

DF: Wenn Projekte extrem lange laufen, haben sich oft die Bedarfe überholt. Also wird immer wieder umgeplant, das konnte man sehr gut beim BER beobachten, unter anderem an dem Ja und Nein beispielsweise zu den eingesteuerten Veränderungen für den A380.

IA: Eine geänderte Planung bedeutet wiederum, dass es länger dauert und mehr kostet. Wie ist das zu vermeiden?

DF: Ich habe ein Projekt konzeptioniert für einen Purpose, den sollte man immer im Blick behalten. Es ist aus meiner Sicht besser skaliert zu denken und die Erkenntnisse aus dem ersten Projekt in das nächste oder ein Folgeprojekt mitzunehmen. Vielleicht lässt man aber auch einfach mal einen Trend vorbeilaufen. Wer sagt denn, dass immer auf alles reagiert werden muss.

"Leitplanken der Nutzung als Orientierung"

IA: Können Sie das etwas bildlicher machen?

DF: Nehmen wir beispielsweise ein Konzerthaus, in dem Opern, Tanz und Musicals aufgeführt werden. Plötzlich soll es auch noch die richtige Location für Rockkonzerte sein. Bedeutet: Rockkonzerte haben tiefere Frequenzen, die erzeugen andere Schwingungen und wirken damit anders auf die Konstruktion. Also muss die Statik geändert werden. Ein Automobilhersteller macht sich doch auch keine Gedanken, wie er eine Jeans zusammennäht, weil es einfach nicht sein Business ist. Die Leitplanken der Nutzung helfen hier für eine Orientierung.

IA: Deutschland hat ein Problem mit seiner Infrastruktur, immer wieder werden neue Schuldige auserkoren. Woran liegt der Sanierungsstau aus Ihrer Sicht?

DF: Wir reden dabei über einen irrsinnigen Geldbetrag, jenseits unserer Vorstellungskraft. Wir hatten einen Standortvorteil, nun müssen wir aufholen. Einen einzelnen Grund gibt es für das Dilemma nicht. Wenn in einem Automobilwerk, um bei Bildern zu bleiben, nur eine Stunde nicht produziert wird, dann entsteht ein Realverlust. Es wurde viele Stunden nicht produziert, deshalb ist der große Schaden entstanden. Das kann zum einen an der Übertragung von der öffentlichen Hand in eine privatwirtschaftliche Struktur gelegen haben, aber auch an Personalmangel, der Angst vor der Verantwortung von Investments oder anderen Faktoren. Nun ist das Problem, dass viele Dinge auf einmal sein müssen. Nur niemand würde beispielsweise vier Brücken über den Rhein gleichzeitig sperren. Der Bedarf wäre da, auch wenn es nicht populär ist. Es braucht eine Masterplanung für die technische Infrastruktur.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit von Kommunen wichtig

IA: Ihr Fachgebiet ist vor allem die soziale Infrastruktur. Ist das einfacher?

DF: Ja, das würde ich schon sagen. Zum einen sind es meist kleinere Projekte in einem lokalen oder regionalen Umfeld. Also organisiert in Ländern und Kommunen. Viele Städte beispielsweise haben einen Masterplan für die Sanierung der Schulen oder einen für Mobilität oder für Wärmeversorgung oder Digitalisierung. Anhand derer werden einzelne Schritte geplant und die aktiv und im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten vorangetrieben. Das geht auch hier nicht ohne Herausforderungen. Die Kommunen sollten mehr zusammenarbeiten, interdisziplinär ist ebenfalls noch Luft nach oben. Zudem behandeln wir jedes Projekt immer einzeln, es gibt keine ‚Sammelbearbeitungen‘. ‘. Das dürfte im komplexen Europäischen Vergaberecht mit einen Grund haben.

IA: Haben Sie aus Ihrer Praxis vielleicht ein oder zwei Projekte der öffentlichen Hand, an denen Sie exemplarisch die Herausforderungen mit den Stakeholdern beschreiben können?

DF: Wir haben an einem Messegelände mitgearbeitet, bei dem im laufenden Betrieb mehrere Messehallen saniert, neue erbaut sowie eine Kongresshalle ergänzt wurde. Das Projekt wurde schneller fertig, kostete weniger, funktionierte mit allen Stakeholdern hervorragend. Während der Pandemie haben wir gesehen, wie schnell dank Modulen die Kapazitäten in Krankenhäusern hochgefahren wurden. Auch bei dem Konjunkturpaket 2 sahen wir, dass öffentliche Gelder die Wirtschaft gestützt haben, in kurzer Zeit verschiedene Projekte – wenn auch kleinere – direkt realisiert wurden.

IA: Sie sind Experte für Bestand: Kitas, Schulen beispielsweise erfahren immer mehr ‚Offensiven‘, um sie auf den aktuellen Stand zu bringen. Welche Objekte sind bei Ihnen außerdem noch gefragt?

DF: Wir stecken mitten in der Welle der Schulbauprojekte oder genauer in der Bildungsinfrastruktur. Also nicht nur Schulen, sondern auch Universitäten beispielsweise. Ich gehe davon aus, dass die Öffentliche Sicherheit mehr Bedarf haben wird. Gerade hier in Nordrhein-Westfalen stellt sich die Polizei neu auf, mietet sich in neuen Gebäuden ein, die Ausbildung wird umgestellt. Wir werden uns mehr mit Gefahrenabwehrzentren beschäftigen, also der Kombination aus Leitstelle, Ausbildung, Feuerwehr und Rettungswache. Das ist das Ergebnis aus den Unwetter-Ereignissen im Ahrtal oder in Euskirchen.

IA: Mit welcher Strategie ist Drees & Sommer unterstützend für die Verwaltungen tätig?

DF: Wir sind für sehr unterschiedliche Stakeholder aktiv, haben von der Bundesbehörde bis zur kleinen kommunalen Verwaltung eine große Spannbreite an Auftraggebern, beteiligen uns an vielen Ausschreibungen. Wir übernehmen Beratung, Planung, Steuerung, Baumanagement. Beratung möchte ich hier aber nicht als Sammelbegriff verstanden wissen. Im Laufe der vergangenen Jahre haben wir das konkret spezialisiert, beispielsweise in Themen wie Mobilität, Energie, Resilienz oder Quartiersentwicklung. Wichtig in unseren Projekten ist: Machen und nicht Verwalten.