In der Gropiusstadt in Berlin-Neukölln ist das TLW-Hochhaus nach Entwürfen von Eike Becker_Architekten für den Beamten-Wohnungsverein zu Berlin errichtet worden. Aus Anlass der Fertigstellung sprach IMMOBILIEN AKTUELL mit dem Architekten Eike Becker über das Leuchtturmprojekt in einem sozialen Brennpunkt und die Herausforderung für moderne Architektur, besseren Städtebau und mehr Nachbarschaft.
Gerade ist das TLW-Hochhaus in der Gropiusstadt fertig geworden. Das TLW im Namen stellt einen Bezug zum Standort her – der Ecke Theodor-Loos-Weg und Wutzkyallee. Das Umfeld ist geprägt von Wohnblöcken und Hochhäusern aus den 1970er Jahren. Das Stadtviertel, das einst als visionäres Quartier von Walter Gropius geplant wurde, geriet später zum sozialen Brennpunkt. Was hat Sie an diesem Projekt gereizt?
Eike Becker: Wir sind 2016 vom Beamten-Wohnungsverein zu Berlin zum Wettbewerb eingeladen worden, aus dem unser Entwurf als Sieger hervorgegangen ist. Die legendäre Vergangenheit hat uns gereizt, die Arbeit für eine Genossenschaft und natürlich die Aufgabe, das Thema Hochhaus, das dort ja mehrfach realisiert worden ist, in die heutige Zeit zu übersetzen. Für den Beamten-Wohnungsverein war dieses Bauvorhaben mit Baukosten von rund 43 Millionen Euro das größte seit rund 30 Jahren. Es hat sich gezeigt, dass die Arbeit für eine Genossenschaft etwas anderes ist. Ziel war nicht maximaler Gewinn, sondern ein nachhaltiger Neubau mit 116 Wohnungen, der auch die Lebensverhältnisse im Umfeld verbessert.
"Wie ein kleines Dorf": Das TLW-Hochhaus in der Gropiusstadt
Wie sind Sie an das Projekt herangegangen und welche Idee steht dahinter?
Eike Becker: Wir haben uns intensiv mit der Gropiusstadt und deren Problematik befasst – und wollten nicht nur ein hohes Haus an einer Stelle bauen, wo vorher eine Hochgarage für die Anwohner stand. Wenn Sie ein Objekt bauen, in dem später 200 bis 300 Menschen wohnen, dann ist das wie ein kleines Dorf. So haben wir das auch betrachtet. Die Menschen wollen sich nicht nur zufällig im Fahrstuhl treffen, sondern zusammenkommen. Ein kleiner Eingang vom Straßenraum reicht da nicht. Die Frage war, wie können sich die Menschen begegnen? Das TLW-Hochhaus besteht deshalb aus drei Teilen. Das zweite kleinere Gebäude neben dem Turm korrespondiert mit den Dimensionen der Nachbargebäude und bindet das Objekt in den städtebaulichen Kontext ein. Der dritte Gebäudeteil ist der verglaste Pavillon mit Gemeinschaftsräumen: einem Fahrradraum und einem Saal mit Küche. Alle drei Baukörper sind über ein gemeinsames Erdgeschoss verbunden. Es hat eine zentrale Verteilerfunktion für die Bewohner. Die Lounge im Foyer verknüpft die ebenfalls vorhandenen Gastronomie- und Gemeinschaftsflächen.
Welche Rolle spielen die Freiflächen?
Eike Becker: Oft hört Bauen da auf, wo Nachbarschaft und Zusammenleben anfängt. Als wir das Projekt übernommen haben, gab es zwar einen Spielplatz, aber der war in einem jämmerlichen Zustand. Wir haben die Freiflächen neugestaltet, so dass nicht nur Kinder- und Jugendliche hier eine Spiel- und Bewegungslandschaft finden, sondern sich auch Eltern und Ältere gut aufhalten können. Es gibt mit Absicht keine Hecken. Die Anwohner können sich ein Kissen auf die Fensterbank legen und beobachten, was draußen auf dem Spielplatz so alles passiert. Das bietet nicht zuletzt ein bisschen soziale Kontrolle. Außerdem haben wir uns Gedanken über das Wegenetz rund um das Gebäude gemacht und einen Durchgang für die Anwohner im Umfeld geschaffen. Denn das Ziel war, etwas nachhaltig Gutes zu schaffen, auch für die Nachbarschaft.
Gestaltung von Stadtvierteln: Menschen müssen ungeplant zusammenkommen
Die Fassade ist mit Aluminium verkleidet und steht mit seiner dunklen Farbe in deutlichem Kontrast zu den umliegenden Gebäuden, die meist weiß oder pastellig gestrichen sind. War das gewollt?
Eike Becker: Ja. Es war eine elegante Konstruktion aus Vertikalen und Horizontalen beabsichtigt und aus einem nachhaltigen Material, Aluminium. Die Farbigkeit des Umfeldes musste nicht aufgenommen werden. Es ist natureloxiert und reflektiert das Licht. Bei einem bestimmten Sonnenstand, zum Beispiel am späten Nachmittag oder bei Sonnenuntergang, leuchtet das Gebäude in warmen Farbtönen.
Die Gropiusstadt hat nicht den besten Ruf. Kann man mit Gebäuden wie dem TLW-Hochhaus einen städtebaulich missglückten Entwurf reparieren?
Eike Becker: Der Entwurf war seinerzeit visionär, aber er entspricht nicht mehr dem heutigen Wissensstand darüber, wie Gesellschaft und Nachbarschaft funktioniert. Wir müssen Stadtviertel so bauen, dass Menschen auf natürliche Weise ungeplant und häufiger zusammenkommen. Die öffentlichen Räume müssen ein stückweit angefüllt sein, um Begegnungen zu ermöglichen. Im Erdgeschoss müssen auch kleinere Läden, Restaurants und Dienstleistungen möglich sein, die dann überleben können. Ein Bäcker überlebt nicht in einem reinen Wohngebiet, wo es nichts anderes gibt. Es ist ein Problem, wenn die Häuser zu weit auseinanderstehen und der Strom der Leute abreißt.
Die Stadt der kurzen Wege
Die gezielte Nachverdichtung ist also eine Lösung für mehr Lebensqualität in Großsiedlungen?
Eike Becker: Es wird aktuell viel über Konzepte einer 15-Minuten-Stadt diskutiert. Also die Stadt der kurzen Wege, in der Wohnen, Arbeiten und Freizeit im Umfeld von 15 Minuten erreichbar sind. Schauen wir uns die Siedlungen des 19. Jahrhunderts mit ihren Gründerzeithäusern an. Die Hinterhöfe waren zu dicht, als sie gebaut wurden. Nach dem Krieg, der Vergrößerung der Höfe, aber auch der Verbesserung der hygienischen Verhältnisse durch den Einbau von Bädern wurde über Jahrzehnte eine Wohnumgebung geschaffen, die heute als extrem qualitätsvoll angesehen wird. Da sind die Erdgeschosse besiedelt, da ist Leben drin. Das braucht die Stadt ehrlicherweise. Ein Grund, warum Menschen in die Stadt ziehen, ist das Bedürfnis, andere Leute kennenzulernen. Dieses Interesse an anderen gehört zum Menschsein. Wir als Architekten wollen Menschen zusammenbringen. Unsere Aufgabe als Planer ist es, die Möglichkeit für Begegnung zu schaffen. Wir wissen heute eben viel mehr über Stadt, als es Walter Gropius und sein Team gewusst haben. Deshalb können wir diese Ansätze im TLW-Hochhaus realisieren.
Wenn Sie etwas bauen dürften, ganz ohne Vorgaben, ohne Kostenrahmen, was wäre das?
Eike Becker: In meinem Berufsleben hat sich meine Sicht auf Architektur gewandelt. Wenn ich als junger Architekt vom schönsten Gebäude gesprochen habe, spreche ich heute auch über soziale Verantwortung. Es ist schon alles gebaut und geplant. Es muss ständig verbessert werden, um die Lebensverhältnisse zu verbessern. Wir sind von einem Pfad abgekommen, auf den wir zurück müssen. Wir müssen gute Umgebungen für Menschen schaffen, nicht für kleine Maschinen, für Autos. Wenn ich also freie Hand hätte, würde ich ein Quartier bauen, das nachhaltig ist und das Menschen zusammenbringt, das ein Museum hat, Restaurants, Cafés, eine Kneipe, öffentliche Räume – ein Quartier, das auf der Grundlage unserer heutigen Erkenntnisse gebaut wird und eine gute Nachbarschaft ermöglicht.
Nun werden derzeit in Berlin viele Stadtquartiere gebaut und trotzdem überzeugt nicht jeder Entwurf.
Eike Becker: Die Stadtplanung ist heute sehr viel besser als in den 1970er Jahren. Aber Bauen ist eine hochkomplexe Aufgabe mit vielen Hemmnissen und Vorschriften. Manche Abstandsregeln stehen einer Nachverdichtung entgegen. Es gibt extrem viele Anforderungen von unterschiedlichen Seiten und all diese Zwänge führen mitunter vom Weg ab. Häuser auf der grünen Wiese mit Straße links und rechts sind kein gutes Modell. Aber um das noch zu sagen: In Bezug auf die Gropiusstadt bin ich zuversichtlich. Das Stadtviertel hat noch viel Nachverdichtungspotential und kann sich hervorragend entwickeln. Vielleicht wird es eines der schönsten Quartiere in Berlin – auch wenn es noch ein- oder zwei Jahrzehnte dauert.