Aktuelle Objekte wie das Maschinenhaus Schwabing von Ehret + Klein in München und das we house Baakenhafen in der Hamburger HafenCity von Archy Nova widmen sich diesem Thema. Komfort und Aufenthaltsqualität wird bei Low Tech-Wohnimmobilien höher bewertet, der Ansatz eignet sich besonders für Revitalisierung von denkmalgeschütztem Bestand. Interesse für Low Tech-Gewerbeimmobilien zeigen vor allem langfristig orientierte Investoren.
Low Tech – also der minimale Einsatz von Technik und ein möglichst geringer Ressourcenverbrauch über den Lebenszyklus – hat großes Potenzial in Deutschland, wird aber durch einige Herausforderungen gebremst. Die aktuellen Mittel und Standards, die bei der Sanierung und im Neubau von Immobilien angewendet werden, reichen nicht aus, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Um diese Ziele zu verwirklichen, müsste einfacher und zirkulärer und mit weniger Technik gebaut werden. Die Revitalisierung von denkmalgeschützten Bestandsimmobilien zeigt, dass auch mit Low Tech die Standards des deutschen Gebäudeenergiegesetzes erfüllt werden können. Ein weiterer Vorteil: Häufig sind mit diesem Ansatz Flächenzuwächse und damit höhere Erträge für Gewerbeimmobilien möglich. Im Wohnimmobilienbereich können durch Low Tech sogar bis 95 Prozent der grauen Energie und 40 Prozent der CO2-Emmissionen eingespart werden – wenngleich viel zu wenig auf einen geringen Ressourcenverbrauch in Bau und Betrieb abgezielt wird.
Performance Gap bei durchschnittlich 70 Prozent
„Eigentlich ist klar, dass wir den Gebäudesektor in Deutschland dekarbonisieren müssen, und zwar im Bau und Betrieb. Doch mit den Mitteln und Standards, die wir heute bei der Sanierung und im Neubau anwenden, können wir weder die gewünschte Energieeffizienz noch die gewünschten Komfortparameter in Immobilien erreichen“, sagt Prof. Thomas Auer vom Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der TU München. „Die meisten Gebäude funktionieren nicht, wie sie sollen. Die theoretischen Einsparwerte bei Klima und Lüftung werden in der Realität durch den Einsatz maximaler Technik meist nicht erreicht, wie uns unterschiedlichste Studien für Gewerbe- und Wohnimmobilien zeigen.“
So liegt der durchschnittliche Performance Gap – also die Differenz zwischen errechneten und realen Energieverbräuchen – laut einer Studie der TU Braunschweig aus dem Jahr 2007 bei rund 70 Prozent. Die natürlich belüfteten Gewerbeimmobilien waren zudem durchschnittlich 30 Prozent energieeffizienter als die maschinell gelüfteten Gebäude, obwohl das Gegenteil zu erwarten gewesen wäre. Die Universität Arhus untersuchte 130.000 Einfamilienhäuser in Dänemark und kam zu dem Ergebnis, dass auch im Wohnimmobilienbereich die realen Energieverbräuche in den Energieklassen A bis G drastisch von den errechneten Werten abweichen. Laut der Studie „Better spaces for Learning“ des Royal Institute of Britisch Architects funktionierten sogar 95 Prozent der betrachteten knapp 60.000 Schulgebäude in ganz Europa hinsichtlich der intendierten Energieeffizienz nicht wie geplant.
Passive Lüftung und Kühlung für Energieeffizienz
„Dabei zeigen aktuelle Forschungsobjekte der TU München für neue- wie auch ältere Gebäude, dass Komfort und Energieeffizienz durch eine passive Lüftung und Kühlung und einen minimalen Technikeinsatz erzielt werden können. Hier ist der Performance Gap gleich Null“, ergänzt Prof. Thomas Auer. „Wir müssen uns heute viel stärker fragen, welche Standards und Vorschriften Sinn machen, und was wir weglassen können. Um die Klimaschutzziele in Deutschland zu erreichen, sollten wir viel einfacher und zirkulärer bauen, und dabei etwa hochkomplexe Lüftungssysteme und unzugängliche technische Systeme unter Putz oder unter einem Estrich genauso wie zu viele Schichten vermeiden. Die Praxis belegt: Auch mit Low Tech lassen sich die Mindeststandards des deutschen Gebäudeenergiegesetzes bei Gewerbeimmobilien erreichen.“
Mehr Möglichkeiten durch Low Tech für denkmalgeschützte Immobilien
„Low Tech eignet sich im Gewerbeimmobilienbereich insbesondere für die Revitalisierung und Konversion von Bestandsobjekten und denkmalgeschützten Immobilien. Gerade der Denkmalschutz gibt diesem Ansatz viel mehr Möglichkeiten, von den umfangreichen geltenden Vorgaben in Deutschland abzuweichen“, erklärt Konstantin von Abercron, Geschäftsführer des Immobilienunternehmens ehret+klein. „Nach unserer Erfahrung stehen Investoren und Nutzer Low Tech zunächst wohlwollend gegenüber, haben im zweiten Schritt aber oft Bedenken. Weil weniger Technik und geringere Wartungskosten nicht adäquat in den Marktwert eingepreist werden können, entscheiden sich viele Gewerbeimmobilieneigentümer dann häufig gegen diesen Ansatz. Langfristiger und nachhaltiger ausgerichtete Investorengruppen wie etwa Family Offices dagegen finden Low Tech-Immobilien häufig sehr attraktiv.“
Die Vorteile von Low Tech lägen auf der Hand: niedrigere Betriebs- und Wartungskosten, eine geringere Schadensanfälligkeit, deutlich weniger TGA-Kosten und ein viel kleinerer CO2-Fußabruck. „Je kleiner der Technikeinsatz, desto kleiner die sogenannte ‚zweite Miete‘. Ein häufig unterschätzter Aspekt ist der mit Low Tech verbundene Flächenzuwachs und damit höhere Ertrag bei Gewerbeimmobilien. So haben wir beispielsweise in der Schwanthaler Straße 69 in München ein komplettes Dachgeschoss und pro Fassadenseite 40 Zentimeter durch Low Tech gewonnen, was in Summe rund 15 Prozent mehr Mietfläche ausmacht“, führt Konstantin von Abercron weiter aus. Nach dem Low Tech-Ansatz revitalisiert ehret+klein auch weitere Gewerbeimmobilien, wie zum Beispiel das K32 in Worms, ein Bürohaus in Athen und das Maschinenhaus Schwabing. „Die größten Herausforderungen für Low Tech sehen wir in den aktuellen Bauvorschriften, der eingeschränkten Automatisierung und Individualisierung sowie der Akzeptanz der Mieter. Deshalb ist es wichtig, mit späteren Nutzern oder Mietern von Low Tech-Immobilien frühzeitig in den Dialog zu gehen.“
Größerer Komfort, kleinerer CO2-Fußabdruck
„Wir müssen heute und nicht erst übermorgen Ressourcen und CO2 sparen. Das Einsparpotenzial von Low Tech ist dramatisch: bis zu 95 Prozent graue Energie, 40 Prozent weniger CO2-Emissionen und viel weniger Bauzeit. Im Vergleich zum konventionellen Bauen fallen 60 Prozent der Aufwendungen für TGA und Elektrik weg“, erläutert Gerd Hansen, Gründer und Geschäftsführer des Projektentwicklers und Bauträgers Archy Nova. „Auch im späteren Betrieb sind die Kosten für Betrieb, Instandhaltung und Reparaturen bei Low Tech-Wohnimmobilien bis zu 75 Prozent geringer. Und dass, ohne dass der Komfort oder die Aufenthaltsqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner von Low Tech-Wohnimmobilien geringer sind. Im Gegenteil, das Wohnen wird als viel angenehmer und natürlicher wahrgenommen.“
Der Bauträger und Projektentwickler Archy Nova verfolgt seit der Gründung 1984 einen konsequent ökologisch-sozialen Ansatz und hat seitdem zahlreiche Wohnprojekte bundesweit entwickelt. Frühere Bauprojekte sind die sogenannten Erdhügelhäuser in Passivhausqualität oder auch das Silberado und Friedel Areal für gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten in Stuttgart. Ein aktuelles Bauprojekt von Archy Nova ist das we house Baakenhafen in der Hamburger HafenCity mit 80 Wohneinheiten, bei dem der Baustart bald erfolgen soll. „Wir versuchen alles, was nicht notwendig ist, wegzulassen: Technik, Leitungen, Kabel, Zähler und zum Beispiel auch Wasserleitungen im Boden. Was dagegen nach unserer Erfahrung für Low Tech notwendig ist, sind eine starke Gebäudehülle, eine wassersparende Ausstattung und Warmwasserkollektoren, Decken aus CO2-reduzierten Beton und eine minimale Haustechnik. Statt auf Fußbodenheizungen und Wärmepumpen setzen wir Photovoltaik und effiziente Direktstromheizungen“, so Gerd Hansen weiter.
Geringer Ressourcenverbrauch ist aus dem Blick geraten
Die Hindernisse für ressourcenschonenden Wohnbau seien in Deutschland größer denn je: aus dem Ruder gelaufene Standards, ein fehlendes Knowhow der Genehmigungsbehörden und eine starke Orientierung an technischen Maximalstandards. Hansen erklärt: „Die GEG-Schraube wurde überdreht, und die ist viel zu wenig auf einen möglichst geringen Ressourcenverbrauch und einen möglichst kleinen CO2-Fußabdruck ausgerichtet. Wenn wir mehr Wohnraum – und zwar schneller und mit weniger CO2 – bauen wollen, müssen wir dringend das GEG, zahlreiche Förderrichtlinien und Vorschiften Förderkulisse reformieren. Die Politik und Bauwirtschaft in Deutschland müssen ganzheitlicher denken.“