Wider mangelnde Entscheidungskompetenz und starre Fixierung: Projektberater als neuer Tätigkeitsbereich

Wider mangelnde Entscheidungskompetenz und starre Fixierung: Projektberater als neuer Tätigkeitsbereich

Wider mangelnde Entscheidungskompetenz und starre Fixierung: Projektberater als neuer Tätigkeitsbereich
(im Uhrzeigersinn) Projektberater (Copyright: bertholdbrodersen auf Pixabay) wie Harro Grimmer (Copyright: ProjektPuls) und Steffen Kühn (Copyright: Best4Project) verpassen Bauprojekten den richtigen Drall.

Projektsteuerer, Baumanager, Mediator: Die Zahl der Koordinatoren bei Bauprojekten wächst. War früher der Architekt Planer und Sachwalter des Bauherren in einer Person, hat die zunehmende Komplexität im Bauwesen neue Rollen geschaffen. Die Defizite am Bau bleiben jedoch virulent. Lange in der Bau- und Immobilienbranche tätige Experten machen sich diesen Umstand zunutze und bieten ihre Leistungen als übergeordnete, haftende Projektberater an.

Agentur

Der jährlich stattfindende Baugerichtstag, das bundesweit führende Gremium von Baurechtlern und Bausachverständigen, kam im Jahr 2019 in der Arbeitsgruppe „Innovative Vertragsmodelle“ zu deutlichen Thesen bezüglich der Ineffizienz im deutschen Bauwesen. Nahezu einstimmig wurde der These zugestimmt: „Die aktuelle Kultur bilateraler Verträge ist Teil der Ursache für den derzeit unbefriedigenden Ist-Zustand bei der Abwicklung von insbesondere komplexen Bauprojekten.“ Und vollkommene Bestätigung innerhalb des Gremiums fand diese These: „Aufgrund der in Deutschland vorherrschenden Praxis der oftmals unkoordinierten, verspäteten Einbindung der Projektbeteiligten fehlt die notwendige frühzeitige Integration ihrer Fachkompetenz.“

Eine starke Breitseite gegen die vorherrschende Baukultur im Bundesgebiet, die allerdings bis heute im Gesetz und im Alltag grosso modo unverändert geblieben ist. Den Referenzrahmen hierfür bilden weiterhin die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) sowie der Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung (AHO).

Vier Jahre zuvor, im Jahr 2015, hatte die Hertie School of Governance in einem Vergleich von 170 Großprojekten seit 1960 festgestellt, dass die durchschnittlichen Mehrkosten über alle Projekte hinweg 73 Prozent gegenüber der Erstkalkulation betrugen. Komplexere Immobilien waren laut der Studie sogar teilweise um 400 Prozent teurer als ursprünglich veranschlagt.

Architekten verlieren ihre Sachwalter-Position

Die Gründe für die Ineffizienz am Bau sind vielfältig, übergeordnete Projektparteien konnten bislang keine Abhilfe schaffen. Angefangen bei den Architekten: „Die Ausbildung und Fokussierung der Architekten hierzulande hat sich seit Einführung des Bachelor-Master-Systems eindimensional auf die Planung hin reduziert“, stellt Harro Grimmer fest. Der Architekt war über Jahrzehnte lang Geschäftsführender Gesellschafter beim Hamburger Architekturbüro MPP, ehe er sich im Januar 2023 mit der Projektberatung ProjektPuls selbständig machte.

„Studierende der Architektur lernen heute weder etwas über Statik noch über Haustechnik. Auch Ausschreibung und Vergabe kommen nicht in den Seminaren vor. Und erst recht gehen sie nicht auf Baustellen.“ Der ehemals ehrwürdige Diplom-Studiengang habe sich durch die europäische Hochschulreform, so Harro Grimmer, von einer allumfassenden Ausbildung zum Sachwalter des Bauherrn hin zum reinen Planungskurs ähnlich wie in Großbritannien gewandelt.

Führungskompetenz im Projektalltag trotz fehlender Weisungsbefugnis

Und die Projektsteuerer? Bereits 1977 war der Begriff erstmalig in der HOAI erwähnt worden. Über Jahrzehnte lang herrschte ein offener Konflikt mit den Architekten über eine feste Kompetenzabgrenzung. Mittlerweile sind die Leistungskriterien für Projektsteuerer im zuletzt 2020 bearbeiteten Heft 9 des AHO einigermaßen klar definiert.

Aber: „Die mangelnde Entscheidungskompetenz und die starre Fixierung auf abrechenbare Leistungen nach dem AHO-Heft sind klare Nachteile für die Projektsteuerer“, urteilt Harro Grimmer. Mangelnde Durchgriffsrechte räumt der zuständige Berufsverband DVP ein: Im verbandseigenen Lehrgang „Führungskompetenz im Projektalltag“ wird der Frage nachgegangen, „wie trotz der fehlenden Weisungsbefugnis“ und „ohne dass Durchgriffsrechte bestehen“ dennoch Einfluss auf einen effektiven Baufortschritt genommen werden kann.

Neuer Tätigkeitsbereich Projektberater

Was können angesichts dieser Defizite von Architekten und Projektsteuerern nun Projektberater leisten? „Ich bin nicht an Projekt- oder Leistungsphasen gebunden, sondern kann in jeder beliebigen Phase einsteigen“, sagt Steffen Kühn, Geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Best4Project. Die Leistungsbilder des in Berlin ansässigen Unternehmens beginnen mit Machbarkeitsstudien und Baurechtschaffung. Sie enden bei der schlüsselfertigen Übergabe und decken für alle Projektzyklen die Bauherrenvertretung ab – inklusive Entscheidungskompetenz und Haftungsverantwortung.

Steffen Kühn betont: „Mit meinen Leistungen möchte ich nicht eine zusätzliche Partei sein. Das wäre ja wieder Salz in die Wunde der Streitkultur der deutschen Baubranche. Unser Unternehmen unterstützt Kunden, welche bei der Projektentwicklung und -abwicklung volle Verantwortung übernehmen, im Sinne eines Producers beim Film oder eines Product Owners“

Harro Grimmer ergänzt: „Die Projektleitung und Projektberatung auf technischer Seite samt Entscheidungskompetenz kann in der Regel weder der Architekt noch der Projektsteuerer einbringen. Als Projektberater oder Producer bin ich Koordinator mit Vollmachten, lebe also das Ownership des Projektes – ein großer Bonus gerade bei einer Vielzahl von Gewerken.“

Aufgrund der erforderlichen Expertise im Berufsfeld empfiehlt Harro Grimmer eine Berufserfahrung von mindestens 15 Jahren – idealerweise in allen Leistungsphasen und verschiedenen Rollen in der Branche. Dann wäre man bei einem Mindestalter von rund 45 Jahren. „Die meiste Kompetenz ergibt sich durch die Vielzahl realisierter Projekte in diversen Nutzungsarten.“

Deutschland fehlt partnerschaftliche Projektvorbereitung zwischen Bauherren, Planern und Bauunternehmen

Projektberater oder Producer profitieren, so die Überzeugung von Harro Grimmer und Steffen Kühn, auch weiterhin vom Bedarf nach ganzheitlicher Expertise auf Bauherrenseite und einer immer noch vorhandenen Streitkultur zwischen Planenden und Ausführenden. „Anders als in Großbritannien haben wir hierzulande noch keine etablierte und abrechnungsfähige Leistungsphase 0“, erklärt Steffen Kühn. Eine partnerschaftlich gestaltete Projektvorbereitung zwischen Bauherren, Planern und Bauunternehmen sei jedoch der Schlüssel zu einer transparenten Kommunikation und gemeinsamer Zielsetzung – zum Wohle des Projektes. „Komplexität reduziert sich durch Vertrauen“, zitiert Steffen Kühn Worte des Soziologen Niklas Luhmann.

Kommunikations- und Managementkompetenzen – zwei Säulen für eine gelungene Projektabwicklung auch nach den Worten einer im November 2022 erschienenen Studie des Verbandes Beratender Ingenieure (VBI) zur partnerschaftlichen Integrierten Projektabwicklung (IPA): „Architekten und Ingenieure, die als Vertragspartner in IPA-Projekten mitwirken wollen, müssen in bestimmten Situationen als Manager denken und handeln. Zugleich stehen sie als Mitentscheider und Mitunternehmer nicht nur dem Projekt, sondern auch dem eigenen Unternehmen gegenüber in besonderer Verantwortung.“

Ob Projektberater nun flächendeckend zum Einsatz kommen werden, bleibt abzuwarten. Harro Grimmer ist überzeugt: „In fünf Jahren bereits werden wir eine drastisch reduzierte Zahl an klassischen Architekturbüros sehen.“ Beim DVP, dem Verband der Projektsteuerer, bleibt man gelassen: „Wir haben das Berufsbild des ‚Projektberaters‘ und sicherlich heutzutage auch der ‚Projektberaterin‘ bisher nicht wahrgenommen und sehen es daher auch nicht als Konkurrenz oder Wettbewerb“, sagt der DVP-Vorsitzende Remus Grolle-Hueging.

Dem widerspricht Steffen Kühn: „Im bisherigen Erfolgszyklus der Immobilienwirtschaft hat der Markt jedem Projektentwickler selbst schwerwiegende Managementfehler verziehen. Das ändert sich nun.“ Mangelnde Baukompetenz auf Entwicklerseite wird also zwangsläufig in einem schwierigeren Marktumfeld steigender Zinsen mehr Beratung einfordern müssen.

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