In Berlin standen bei der Tagung RICS-Focus 2024 Themen wie Künstliche Intelligenz, ESG, Bauvorschriften, Insolvenzen und vor allem der Wirtschaftsstandort Deutschland im Mittelpunkt. Vielfältige Herausforderungen liegen klar auf der Hand, die Lösungsrezepte fehlen aber irgendwie noch.
Der Beginn ist wenig optimistisch: „Alles, was am Markt passiert, hat einen Effekt. Wer glaubt, dass wir hier noch vorn sind, der irrt. Es schauen mittlerweile viele sehr kritisch auf Deutschland“, sagte Jens Böhnlein, Vorstandsvorsitzender der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) in Deutschland, zu Beginn von RICS-Focus 2024. Um gleich dem Optimismus Anschub zu geben: „Alles ist miteinander vernetzt, Produkte und Prozesse werden immer komplexer und schwieriger. Das sollten wir aber als etwas Positives nehmen und den Fokus von Problem auf Lösung ändern.“
Künstliche Intelligenz: „Der Geist ist aus der Flasche“
Ein Teil der Lösung wird Künstliche Intelligenz sein. „Der Geist ist aus der Flasche“, beschrieb es Jens Böhnlein. Immerhin sei eine Effizienzsteigerung von etwa 30 Prozent möglich. Sascha Lobo, Autor, Publizist, Journalist, Blogger, Hörbuchsprecher und Werbetexter, wollte zuerst nur eines: Angst nehmen. „Der Untergang der Welt: Das ist ein Job, den der Mensch besser bewältigen kann als die KI.“ Aber was bedeutet das für die Immobilienwirtschaft? „Am stärksten wird der Druck von den Investoren wachsen“, so Sascha Lobo. „KI wird essenziell für die Bewertung von Immobilien werden.“ In Deutschland gebe es keine große Begeisterung für digitale Betriebsformen, hier werde eher versucht an der gängigen Industrie festzuhalten. „Somit besteht die Gefahr, dass man Transformation verpasst.“
Fehllabels in den grünen Fonds?
Die Ausführungen von Stephan Kippe, Head of ESG Research bei der Commerzbank, machten schnell klar, dass die Immobilienwirtschaft nicht nur in einer Krise ist, sondern zugleich eine Großbaustelle. Die Transformation hinke nach, es gebe Fehlallokationen. Das Thema ESG sei omnipräsent, aber bis heute eher undurchsichtig. „Wir haben keine explizit vorgegebenen Mindeststandards, dazu politische Scheu vor Vorgaben. Also soll der Kapitalmarkt veröffentlichen und dann wird irgendwie alles gut. Das funktioniert nicht“, so Stephan Kippe. Bei Artikel 8- und 9-Fonds seien Fehllabels zu erkennen, „da befinden sich vor allem Lippenbekenntnisse darin“. Seine Forderungen sind klar und eindeutig: Mindeststandards, Dekarbonisierungspfade, der Fokus auf Pragmatismus. Trotzdem oder vielleicht deshalb: „Das Paris-Ziel werden wir meiner Meinung nach nicht schaffen, aber das sollte nicht entmutigen. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe.“
Jürgen Utz von der LIST AG nutzte deutlichere Worte: „Net Zero können wir in der Pfeife rauchen.“ Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Das System blockiert sich selbst, noch immer werde die Realität nicht anerkannt. Bei der Taxonomie herrsche ein „Kuddelmuddel“. Und: „Wir reden uns die Wetterlage schön.“ Jan Schellhoff, Director und Architekt bei UN Studio, hätte es gern so wie in den Niederlanden: Durch das Streichen von Vorschriften wurde Bauen 20 Prozent günstiger im Wohnungssegment. Ganz neu sei bei den Nachbarn eine Online-Plattform, in der man alles zu dem Grundstück – Regeln, Altlasten, Historie beispielsweise – ansehen und ein Gebäudemodell hochladen kann. Die Baugenehmigung soll es nach acht Wochen geben. „Ob das wirklich funktioniert, wissen wir noch nicht. Dafür gibt es zu wenig Erfahrung.“
„Transformation von Wohnen zu Office haben wir nicht gelernt“
Tim Sassen von der Greyfield Group – und einer von Deutschlands Pionieren beim Thema Bestand – entgegnete: „Wir müssen Ausnahmen finden. Wenn wir warten, dass sich die Regularien ändern, sind ein paar Jahre ins Land gegangen und gar nichts passiert.“ Viel zu oft mache es sich die Branche zu schwer: „Wir fangen von der falschen Seite an.“ Es gelte, zuerst das Bestehende wertzuschätzen. Auch beim Thema Konversion brachte er eine klare Meinung vor: „Die Transformation von Office zu Wohnen haben wir nicht richtig gelernt. In den vergangenen Jahren hieß es meist Abriss und Neubau.“
„Stabilisierung der Konjunktur, aber kein Boom“
Gespannte Aufmerksamkeit herrschte beim Thema Economics, das Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt bei der Bayern LB, mit einem Vortrag eröffnete. Als passionierter Jazzmusiker und Ökonom angekündigt, waren die Inhalte eher düsteres Moll als schöne Melodie. Der Titel „Werden Krisen und Unsicherheiten zum Dauerzustand?“ deutete die Richtung bereits an. Unsere Welt werde nicht mehr von Einzelereignissen bestimmt, sondern von einer unbestimmten Vielzahl. Bedeutet: Die Krisen häufen sich und es bedürfe Richtlinien bei Unwägbarkeiten.
Aus seiner Sicht gehe es um demographischen Wandel, Deglobalisierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung. „Momentan sehen wir eine allmähliche Stabilisierung der Konjunktur, allerdings keinen großen Boom. Wir müssen uns auf ein raues Umfeld einstellen.“ Wie alle Vorredner und Diskussionsteilnehmer zielte er auf einen wichtigen Punkt ab, der sich wie ein roter Faden durch die Gespräche zog: „Die Immobilie ist in Deutschland, sie kann hier nicht weg. Wir müssen den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken.“
„Viele Insolvenzen hätten verhindert werden können“
Mit etwas Sarkasmus begegnete Johannes Conradi von Blacklake Partners den Ausführungen: „Es gibt einen Aufwind für Krisenberater und Strukturierer. Wenn es für Insolvenzverwalter Aktien gibt, kann man nur empfehlen: kaufen!“ Um dann sehr ernsthaft auf die derzeitige Lage einzugehen. Viele Restrukturierungen und Insolvenzen innerhalb der Immobilienbranche hätten verhindert werden können, wenn man sich früher den Problemen gestellt hätte. „Es greift oft ein Zweckoptimismus um sich, die Glückstaler fallen trotzdem nicht vom Himmel.“ Geduld miteinander und Vertrauen ineinander brauche es. „Wir sehen derzeit ein hohes Interesse ausländischer Investoren. Die warten auf günstige Preise.“ Um seinen Einwurf sarkastisch zu beenden: „Wenn eine Immobilie nur preiswert genug ist, dann lohnt sie sich immer.“
Von einem Verdauungsprozess sprach Sascha Klaus von der Berlin Hyp. „Es gibt für niemanden eine Wundertüte. Mezzanine-Kapital und alternative Finanzierer sind teuer geworden.“ Um direkt seinem Vorredner zuzustimmen: „Ein offener und vor allem früherer Dialog hat mehr Potenzial für Lösungen, auch unter verschiedenen regulatorischen Bedingungen.“ Sorgen mache er sich darüber, dass es Assetklassen gebe, die keiner mehr will: „Wir werden neue Bürobauten sehen. Die Frage ist nur: Was machen wir mit den alten Kisten?“ Potenzial sieht er in Infrastruktur-Investments. Und er hat – zumindest für sich – Gewinner erkannt. Für Sascha Klaus sind das die Projektentwickler, die nicht nur bauen, sondern Assets under Management haben.