Ob Quartier oder Viertel, ob Barrio, Veedel oder Kiez — die kleinste städtebauliche Lebenseinheit bleibt die Referenzgröße für Identität im urbanen Raum. Soziale Realitäten und Wohnungspolitik spielen sich immer zunächst in dieser Parzellengröße ab. Zum aktuellen Stand der Quartiersentwicklung gab ein Kongress des EBZ Bochum Aufschluss, der variantenreich die Facetten für die unterschiedlichen Akteure beleuchtete.
Quartiersentwicklung muss sich zunächst noch die Frage nach der Bedeutung des Quartiers stellen. Denn de facto gehört das Quartier zwar schon seit Beginn zur Stadtplanung und Stadtentwicklung. Hier bildet es mit seiner sozialen Heterogenität und seinem Lebensraum den signifikanten Unterschied zur Siedlung, die nur Wohnraum darstellt. Doch der Wandel der städtebaulichen Anforderungen hat auch ihm zu neuer Bedeutung verholfen.
Quartiere waren in früheren Zeiten eine rein zweckmäßige Form des Bauens gewesen sein – eine möglichst große Zahl von Menschen sollte in den von der Stadtmauer vorgegebenen Grenzen der Kommune Platz zum Wohnen und Arbeiten finden.
Quartiere: zwischen baulichem „Block“ und verwaltungsrechtlichen „Stadtviertel“
Quartiere haben heute jedoch andere Anforderungen zu erfüllen: Für sie gilt es, modernen Anforderungen an öffentliche Räume, diversifizierte Wohnformen je nach Lebenssituation und der Verbindung von Arbeit, Freizeit und Konsum in ökologischer Nahentfernung gerecht zu werden. Bleibt das Quartier demnach definitorisch unscharf, so herrscht Konsens darüber, dass es in jedem Fall zwischen dem baulichen „Block“ und dem verwaltungsrechtlichen „Stadtviertel“ zu verorten ist. Das eigene Wohn-Quartier gibt angesichts seiner Größe einerseits und seiner Intimität andererseits den größten Ausschlag für die Lebens- und Wohnqualität, die in einer Stadt empfunden wird.
Transformationsallianzen zur Aufwertung von Wohngebieten
Ein weiteres Problem: Wissenschaftliche Wahrnehmung und immobilienwirtschaftliche Realität klaffen auseinander. Wird mitunter in der Branche schon ein Gebäudekomplex aufgrund seiner Mischnutzung als Quartier bezeichnet, bietet die wissenschaftliche Perspektive eine deutlich präzisere Herangehensweise. Städtische Räume werden historisch-soziologisch zusammengefasst und unter Beteiligung der Stakeholder weiterentwickelt. Im Fokus stehen hierbei Transformationsallianzen zur Aufwertung von Wohngebieten und bei der Neugestaltung von Quartieren im städtischen Milieu. Nur mit diesen Allianzen aus Wirtschaft, Kommunen, Stadtplanung und Sozialträgern lassen sich attraktive Sozialräume schaffen, die dann auch den Namen „Quartier“ verdienen, wie Prof. Dr. Rolf G. Heinze von der Ruhr-Universität Bochum hervorhob.
Aus einer anderen Richtung näherte sich Prof. Dr. Jörg Bogumil, ebenfalls von der Ruhr-Universität Bochum, dem Thema. Bei ihm stand die Frage der politischen Steuerung im Fokus. Die tatsächlichen Effekte einzelner Fördermaßnahmen im Städtebau sind bis dato immer noch unklar. Sowohl die Unkenntnis über die Höhe der Förderprogramme in den Ministerien als auch mangelnde empirische Studien über die Effekte dieser Programme verhindern eine transparente Analyse.
Kleinstädte auch für Quartiersentwicklungen geeignet
Medial wird häufig suggeriert, dass Quartiere und ihre städtebauliche Entwicklung vor allem Projekte für Großstädte wären. Gerade Klein- und Mittelstädte könnten jedoch von einer nachhaltigen Quartiersentwicklung profitieren, wie Prof. Dr. Rainer Danielzyk von der Universität Hannover/Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz–Gemeinschaft betonte. Seit 2011 verzeichnen die zentral gelegenen Kleinstädte ein signifikantes Bevölkerungswachstum. Attraktive Quartiere eröffnen weiteres Potential. In Klein-, Mittel- und Großstädten gelten Erfolgsrezepte, ohne die es doch nur Wohnungsbau bleibt.
Prof. Dr. Wolfgang Sonne von der TU Dortmund hat hierfür bereits 2020 Kriterien entworfen. Vor allem gilt es zu beachten, dass Quartiere zwar auf dem Reißbrett entworfen werden können, sich aber immer in eine bereits existierende Stadt einfügen müssen. Quartiere sind Stadterweiterungen oder Entwicklungen, keine Sonderzonen. Das Beispiel der Dortmunder Quartiersstudie zur Aufwertung der Innenstadtbereiche darf als Vorbild dienen und zeigt außerdem, dass Innenstädte für die Quartiersentwicklung ebenso reizvoll sind wie Brachflächen, Umnutzungen oder neu erschlossene Randlagen. Zudem bilden Straßen und Plätze das Rückgrat der Quartiere. Hier unterscheiden sie sich nicht von der Stadt im Allgemeinen. Ein Quartier braucht öffentlichen und privaten Raum.
Überregionale Erfolgskriterien
Auch die multifunktionale Nutzung der Höfe innerhalb der Blockbebauung stellt eine gelungene Quartiersentwicklung dar. Sie sind ebenso gewerblich nutzbar wie für Erholung und bilden dabei den deutlichen Kontrast zu von Siedlungen getrennten Gewerbegebieten. Diese Multifunktionalität ist jedoch potentiell und nicht von vornherein geplant. Mischnutzung innerhalb von Gebäuden gehört ebenso dazu wie zwischen den verschiedenen Blöcken. Hier gehört als Ziel alles hinein, was ein Stadtquartier ausmacht und benötigt. Gleiches gilt für die soziale Durchmischung. Diese kann ebenfalls nicht diktiert, sondern muss baulich ermöglicht werden, um eine Stadtatmosphäre zu erzeugen, die diesen Namen auch verdient.
Im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung ist zudem auf eine kleinteilige Bebauung mit einzelnen Hauseinheiten zu achten. Wohnblöcke als Großstrukturen sind prinzipiell nicht wandelbar genug, um Nutzungsänderungen oder Besitzwechsel zu ermöglichen. Ein solcher Anachronismus mag zwar wirtschaftlich rentabel erscheinen; zukunftsweisend ist er nicht. Gleiches gilt für die Inneneinteilung der Bauten. Auch hier ist auf die Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten in den nächsten Jahrzehnten zu achten.
Der Erfolg von Quartiersentwicklungen misst sich nicht in Legislaturen
Entscheidend bei der Frage, ob die Quartiersentwicklung sich dauerhaft in der Stadtplanung etablieren kann, ist ihre Fähigkeit zur Einzigartigkeit. Standardisierte Projekte können hierbei nicht der Maßstab sein, der auf jeden Typus Stadt übertragen werden kann — auch wenn der ökonomische Reiz groß sein mag. Quartiere nach den genannten Kriterien machen diese Entwicklung teurer, aber eben auch reizvoller und damit langfristig nachhaltiger. Erfolg misst sich aus sozialer Sicht in Generationen, nicht in Legislaturen. Nur dann hat ein Quartier auch genügend Zeit für eine eigene Identität und eine dauerhafte Verankerung im Stadtbild.