Wärmewende in der Immobilienwirtschaft: Gemeinden realisieren erste Nahwärme-Experimente

Wärmewende in der Immobilienwirtschaft: Gemeinden realisieren erste Nahwärme-Experimente

Wärmewende in der Immobilienwirtschaft: Gemeinden realisieren erste Nahwärme-Experimente
Rottenburg am Neckar in Baden-Württemberg will weg von Gas und Öl hin zu einem Nahwärmenetz. Copyright: Stadtverwaltung Rottenburg am Neckar

Die Gemeinde Rottenburg am Neckar in Baden-Württemberg will weg von Gas und Öl. Sie lässt analysieren, wie ein Nahwärmenetz funktionieren könnte und ist damit nicht allein. Anderswo macht man sich über den Regen Gedanken.

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Artikel vom 19. Juli 2023: Die Gemeinde Rottenburg am Neckar wagt ihre eigene Energiewende. Konkret soll diese im Ortsteil Oberndorf realisiert werden. Mit einem Nahwärmenetz für 1.500 Einwohner. Doch zuerst bedarf es dafür einer Studie, die derzeit von Drees & Sommer erarbeitet wird und im Herbst 2023 Klarheit bringen soll, wie das Projekt umgesetzt werden kann. „Was das Heizen betrifft, sind wir im Raum Rottenburg noch stark von Öl und Erdgas abhängig. Das wollen wir ändern und prüfen beginnend mit Oberndorf verstärkt die Möglichkeiten für eine klimaneutrale Wärmeversorgung in unseren Stadtteilen. Lokale Wärmenetze stehen dabei besonders im Fokus“, sagt Jörg Weber, Klimaschutzbeauftragter der Stadt Rottenburg. Damit bekommt die Bürgerinitiative Oberndorfer Nahwärme, die sich seit rund zwei Jahren aktiv für den Ausbau eines Nahwärmenetzes im ländlichen Oberndorf einsetzt, Rückenwind seitens der Stadt.

Nahwärme bezeichnet die Wärmeversorgung eines kleineren Gebiets durch eine Heizzentrale, die sich in der Nähe des zu versorgenden Gebietes befindet. Mit Hilfe eines oder mehrerer Wärmeerzeugers wird Wasser erwärmt und über ein verzweigtes Rohrleitungsnetz – das Nahwärmenetz – zu den Abnehmern transportiert. Die Vorteile dieses Systems werden immer wieder von Experten hervorgehoben: Wegfall der Kosten für die Anschaffung und Wartung der Heizungstechnik in einzelnen Gebäuden; die Investition in die zentrale Heizanlage verteilt sich zudem auf alle angeschlossenen Haushalte.

Nahwärme auch in anderen Gemeinden: Tragfähige Konzepte nur durch Daten möglich

Auch in anderen Gemeinden ist Nahwärme ein Thema. In Immenstadt im Allgäu beispielsweise kümmert sich eine private Initiative darum. Ein Heizungsbauer und ein Bauunternehmer nehmen das hier in die Hand. Sie kümmern sich ebenfalls zuerst um einen Stadtteil. Gebaut werden soll ab 2024. In die Häuser fließt dann die Wärme ab Frühjahr 2025.

Das Neckarspinnerei Quartier in Wendlingen bei Stuttgart bekommt ein smartes Wärmenetz. Copyright: g---kx mediaHOUSE
Das Neckarspinnerei Quartier in Wendlingen bei Stuttgart bekommt ein smartes Wärmenetz. Copyright: g---kx mediaHOUSE

Im bayerischen Jetzendorf haben Bürger die Energiegenossenschaft Eck gegründet - Eck ist ein Ortsteil. Die Genossenschaft will in Eigenregie ein Nahwärmenetz bauen und betreiben. Bisher dafür kalkulierte Kosten: 1,3 Millionen Euro.

Die Voraussetzungen sind in jeder Stadt andere. „Um ein Nahwärmenetz zu planen, braucht es viele Daten – selbst in einem Dorf. Viele alte oder gar historische Gebäude und die Infrastruktur machen es zu einer besonderen Herausforderung. In der Gemeinde Rottenburg am Neckar kommt zum Beispiel Geothermie wegen des gipshaltigen Untergrundes nicht infrage. Es gilt also zu prüfen, welche alternativen Wärmequellen technisch und wirtschaftlich möglich sind“, sagt Anika Zwiener, Energiemanagerin bei Drees & Sommer.

Kombination aus Wasserkraft und Photovoltaik

Der Projektentwickler HOS-Gruppe hat ein smartes Wärmenetz für sein Projekt Neckarspinnerei Quartier in Wendlingen bei Stuttgart ausgerufen. Bis 2027 entsteht auf dem Areal der alten Baumwollspinnerei der OTTO Textil GmbH, die bis 2020 noch produzierte, aus saniertem, denkmalgeschütztem Gebäudebestand sowie Neubauten ein neues Mischquartier. Hier ist ein Laufwasserkraftwerk installiert, das seit der Fabrikeröffnung das am Neckar gelegene Areal mit Energie versorgt. Klimafreundlichen Strom liefern zudem Photovoltaikanlagen auf den Dächern.

Rund zwei Drittel der erzeugten Energie, davon etwa 62 Prozent aus Wasserkraft und 38 Prozent aus Photovoltaik, werden mithilfe eines Stromspeichersystems vom Quartier selbst verbraucht, der Rest in das Netz eingespeist. Ihre regenerative Wärme bezieht das Neckarspinnerei Quartier künftig über Wärmepumpen aus dem Oberflächenwasser des Neckars und einem großen Eisspeicher. Auch die Abwasserwärme bleibt nicht ungenutzt.

Die Nutzung von Wasser insgesamt etabliert sich immer mehr. Das zeigt eine Studie der Mall GmbH. Darin geben 77 Prozent der befragten Architekten, Ingenieure und Behördenvertreter an, dass eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung positiv sei. Deshalb erwarten insgesamt 99 Prozent eine steigende oder zumindest gleichbleibende Nachfrage bei Maßnahmen der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung.

Die Umfrageergebnisse im Einzelnen. Copyright: Mall GmbH
Die Umfrageergebnisse im Einzelnen. Copyright: Mall GmbH

Nahwärme für Oberndorf: Potentiale für kleines Wärmenetz im Ortskern

Update vom 20. Februar 2024: Mitte Januar 2024 stellten die Experten von Drees & Sommer auf einer öffentlichen Abschlussveranstaltung sowie im Bauausschuss der Stadt Rottenburg am Neckar die Ergebnisse des eingangs erwähnten energetischen Quartierskonzepts für den Ortsteil Oberndorf vor. Das Planungs- und Beratungsunternehmens hat im Rahmen der Studie unter anderem geprüft, ob und wie ein klimafreundliches Nahwärmenetz in Oberndorf möglich ist. Das zentrale Ergebnis: Ein Wärmenetz für alle 1.500 Einwohner und rund 480 Gebäude ist in einem wirtschaftlichen Rahmen nicht umsetzbar – ein kleines Netz für den Ortskern ist jedoch denkbar. Daher soll eine BEW-Studie, die zu 50 Prozent vom Bund gefördert wird, die Realisierung eines kleineren Netzes im Ortskern von Oberndorf spezifizieren und planen.

10,6 Kilometer lang müsste ein Wärmenetz sein, das ganz Oberndorf versorgen kann. Erzeugt würde die Wärme entweder mit einem Biomassekraftwerk oder mittels Großwärmepumpen. Doch finanziell tragbar, also konkurrenzfähig zu anderen Wärmelösungen, wäre ein solches Netz aufgrund der Kosten nicht. „Selbst wenn sich 70 Prozent für einen Anschluss entscheiden würden, wären die Kosten zu groß. Die Häuser stehen zu weit voneinander entfernt“, berichtete Natalie Schmid, Projektleiterin bei Drees & Sommer. Im Rahmen des energetischen Quartierskonzepts wurden neben der Wärme- und Stromwende noch Handlungsfelder wie Klimaanpassung, Mobilität sowie Kommunikation und Beteiligung berücksichtigt.

So zeigte die Untersuchung zudem, dass Biogas, grüner Wasserstoff, Geothermie, Flusswärme und Abwasser-Abwärme aus verschiedenen Gründen ebenfalls keine Möglichkeiten für eine klimafreundliche Wärmeversorgung von Oberndorf darstellen. Für einige Einwohner bleiben damit nur individuelle Lösungen wie Wärmepumpen oder Pelletheizungen. Ein großer Teil des Wärmebedarfs kann jedoch durch ein kleineres, rund fünf Kilometer langes Wärmenetz, abgedeckt werden. „Unsere Untersuchung zeigt, dass ein kleineres Wärmenetz deutlich wirtschaftlicher wäre als das große Netz. Diese kleinere Lösung würde sich auf den Ortskern und ein angrenzendes Areal beschränken. Wenn sich dort 70 Prozent der Eigentümer für einen Anschluss entscheiden – was bis zu 180 Gebäuden entspricht – kann sich das Wärmenetz rechnen“, sagt Moritz Hummel, Senior Consultant bei Drees & Sommer. Gewissheit über ein gemeinsames, wenn auch kleineres Wärmenetz soll die neue Machbarkeitsstudie, die bis 2025 fertiggestellt werden soll, bringen. Sie ist eine wichtige Grundlage für die spätere Genehmigung eines Wärmenetzes sowie für mögliche Förderungen.

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