Die jüngsten Insolvenzen von Pflegeheimbetreibern zeichnen ein falsches Bild. Nach Ansicht von Experten bilden Pflege- und Gesundheitsimmobilien eine widerstandsfähige Assetklasse. Es besteht eine erhebliche Versorgungslücke bei Seniorenimmobilien. Aufgrund des Trends zur ambulanten Versorgung werden auch mehr Ärztehäuser und Medizinzentren gebraucht.
Die Zinsentwicklung hat den enormen Boom bei Immobilien gebremst. Auch im Segment der Pflege- und Gesundheitsimmobilien ist die Zahl der Neuentwicklungen gesunken. Dabei konnten in diesem Segment im ersten Quartal 2023 immer noch 3,8 bis 4,75 Prozent Rendite erzielt werden – der Investitionsbedarf in diesem Bereich ist weiterhin sehr hoch.
Darin sind sich Michael Eisenmann, Geschäftsführer der Real Blue KVG, Sawas Koutsidis, Geschäftsführer MEDZENTRUM Netzwerk GmbH (MEDZENTRUM), sowie Jochen Zeeh, Geschäftsführer IMMOTISS, einig. Die drei Experten stellten bei einer Pressekonferenz zum Thema „Pflegeheime, Ärztehäuser, medizinische Zentren: Wie entwickelt sich der Markt für Pflege- und Gesundheitsimmobilien?“ die derzeitige Lage dar.
Wohnraum für Senioren: „Versorgungslücke wird weiter wachsen“
Laut aktueller Zahlen gibt es in Deutschland derzeit rund 18,5 Millionen Menschen im Alter über 65 Jahren, Tendenz steigend. Analysten gehen davon aus, dass für zehn Prozent der Senioren spezielle Wohnformen gebraucht werden, also 1,85 Millionen Einheiten. Derzeit liegt der Bestand bei 915.000 Pflegeplätzen und 550.000 Einheiten im Betreuten Wohnen. Es klafft eine Lücke von rund 385.000 Einheiten. Und das sei nur konservativ geschätzt, betonte Jochen Zeeh, Geschäftsführer der Firma IMMOTISS, die Investoren und Betreiber von Medizin- und Pflegeeinrichtungen berät.
„Diese Versorgungslücke wird durch die demografische Entwicklung noch weiter wachsen.“ Ein Treiber des Bedarfs seien zudem die zunehmenden Single-Haushalte. „Das Pflegepersonal aus der Familie ist nicht mehr vorhanden“, erklärte er. Demgegenüber stehe ein stagnierendes Angebot aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Investoren warten auch in diesem Bereich ab, wie sich die Kosten und Zinsen weiter entwickeln. Hinzu kommen Vorbehalte wegen der jüngsten Betreiber-Insolvenzen. Jochen Zeeh betonte dennoch, dass den Risiken erhebliche Chancen durch den nachhaltig gesicherten Bedarf aufgrund der demografischen Entwicklung sowie der bestehenden signifikanten Unterversorgung gegenüberstünden. „Organisch wachsende Betreiber mit einem stimmigen konzeptionellen Mix werden langfristig von diesem Wachstumsmarkt profitieren“, betonte er. Das was benötigt würde, sei bei weitem nicht vorhanden.
Versorgungszentren und Ärztehäuser vor allem in ländlichen Gebieten
Ähnlich sieht es bei Gesundheitsimmobilien wie Ärztehäusern und Gesundheitszentren aus. Viele kleinere Krankenhäuser werden geschlossen, der Trend geht zur ambulanten Versorgung. Treiber der Entwicklung ist die Notwendigkeit effizienter Versorgungsstrukturen. Das Motto lautet: ambulant vor stationär. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Gab es 2004 nur zehn Medizinische Versorgungszentren in Deutschland waren es 2021 insgesamt 4.179. Die Zahl der Ärztehäuser liegt derzeit bei rund 10.500.
Medizinische Versorgungszentren und Ärztehäuser sollen insbesondere im ländlichen Raum die Gesundheitsversorgung sichern. Sawas Koutsidis, Geschäftsführer der zur IWG-Gruppe gehörenden MEDZENTRUM Netzwerk GmbH, erklärte: „Der Trend zu Kooperationen und Spezialisierung beim medizinischen und therapeutischen Angebot bietet viele Vorteile. So können Kosten für die technische Ausstattung besser aufgeteilt und auch den Anforderungen von Medizinern im Hinblick auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance und weniger Risikobereitschaft durch das Führen einer eigenen Praxis begegnet werden.“
Ärzte fänden in Medizinischen Versorgungszenten im Angestelltenverhältnis eine Basis, die besser mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und den individuellen Bedürfnissen einhergingen. Auch ein wichtiger Aspekt: Gesundheitsimmobilien haben sich während der Corona-Pandemie resilient gezeigt, im Gegensatz zu vielen anderen Gewerbeimmobilien.
Pflegeheime: Investitionsbedarf bis 2040 bei rund 109 Milliarden Euro
Die Real Blue KVG setzt weiter auf die Assetklasse und plant derzeit einen offenen Spezial-AIF als Artikel-8-Fonds, der in verschiedene Formen des Seniorenwohnens investiert – mit einem Schwerpunkt bei Nachhaltigkeit. Im Gefüge der Immobiliennutzungsarten gebe es aktuell Gewinner und Verlierer. Michael Eisenmann, Geschäftsführer von Real Blue, ließ keinen Zweifel, dass aus seiner Sicht Pflege- und Gesundheitsimmobilien zu den Gewinnern gehören.
Mit Blick auf den zukünftigen Bedarf erklärte er: „In 95 Prozent der deutschen Kommunen wird es zu einer Unterversorgung kommen. Der Gesetzgeber fokussiert daher zunehmend auf ambulante und innovative Unterbringungs-, Betreuungs- und Pflegeformen, da die flächendeckende Versorgung allein mit stationären Einrichtungen nicht mehr leistbar ist.“ Bei Pflegeheimen liege der geschätzte Investitionsbedarf bis 2040 bei rund 109 Milliarden Euro, im Bereich des Betreuten Wohnens bei 154 Milliarden Euro.
Real Blue plant 30 Millionen Euro in Einzelobjekte zu investieren, weitere 50 Millionen sollen in Portfolien fließen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Neubauprojekten. Aber auch in Bestandsimmobilien in suburbanen und innerstädtischen Lagen an struktur- und wirtschaftsstarken Standorten wird investiert, wenn sie Potenzial zur energetischen und ökologischen Optimierung aufweisen.
Der derzeitige Rückgang bei den Transaktionen und Neuentwicklungen läuft dem Bedarf entgegen. Für Jochen Zeeh steht deshalb fest, dass sich etwas im Marktumfeld ändern muss. „Wir müssen es schaffen, den Umsatz anzukurbeln.“ Er sieht hier auch die Politik in der Verantwortung. „Wir brauchen Unterstützung, damit wir die vorhandene Lücke in den nächsten Jahren schließen können und die Versorgung für alle gewährleistet wird.“