"Baustelle ist ein Schauplatz des gesellschaftlichen Lebens"

"Baustelle ist ein Schauplatz des gesellschaftlichen Lebens"

"Baustelle ist ein Schauplatz des gesellschaftlichen Lebens"
Quelle: Wolfgang Sohn

Wolfgang Sohn ist einer der Macher der kreativen Szene in Düsseldorf, setzt Kunst-Events um, ist ein gefragter Fotograf sowie Ausrichter der renommierten Kunst-Messe Photo Popup Fair. In dem Interview spricht er über Kunst am Bau und deren Relevanz in Deutschland.

IMMOBILIEN AKTUELL (IA): Kunst am Bau hat in Deutschland eine lange Tradition, die bis in die 1920-Jahre zurückreicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte sie zur Kulturpolitik beider deutscher Staaten dazu. Täuscht es oder sehen spielt das Thema heute weniger eine Rolle?

Wolfgang Sohn (WS): Ja, ich glaube es spielt weniger eine Rolle und wenn, dann initiativ und nicht auf Grund von gesetzlichen Regelungen. Wobei ich gar nicht genau weiss, ob die Regelungen für Bauherren noch gelten?! Ich meine diese Vorgaben sind auch auf Länderebene geregelt. Aber wie die zeitgenössische Kunst selber, so hat sich auch das Verständnis und die Einstellung dazu stark verändert. Hier stellt sich auch die Frage, in wie weit beispielsweise StreetArt schon als ´Kunst am Bau´ zu sehen ist. Jedenfalls gibt es einige Bauherren / Immobilienbesitzer, die diese Kunstrichtung für Ihre Bauten in Auftrag geben. Ich glaube, wir in Deutschland hinken da dem internationale Markt eher hinterher.

IA: Kunst am Bau kann ein wesentlicher Baustein für die Identifikation der Stadtgesellschaft mit einem Projekt, einem Stadtteil sein, auch wenn das in vielen Fällen eher unbewusst passiert. Was sind für Dich die wesentlichen Argumente für Kunst am Bau?

WS: Kunst am Bau sollte eine harmonische Verbindung zwischen der Architektur und Kunst schaffen, das Gebäude emotionalisieren und ihm eine Identität geben. Hier ist im Besonderen eine Zusammenarbeit von Künstler und Architekten, bereits im Vorfeld wichtig, um auch eine nachhaltige Lösung zu finden. Aus meiner Sicht ist es ebenfalls auch wichtig, vor allem lokale Künstler mit einzubeziehen. Ein weitere Aspekt ist die Zugänglichkeit von Kunst für ein breites Publikum. Auch die Menschen werden angesprochen, die nicht vorrangig Galerien und Museen besuchen. Durch die Integration von Kunst in den öffentlichen Raum und durch Kunst am Bau, wird die Wertschätzung von Kunst gestärkt und die Menschen interagieren mit der Kunst und somit letztlich auch mit den Gebäuden.

IA: „Jede Baustelle ist ein Kunstwerk“ hast Du in unserem gemeinsamen Podcast gesagt. Sollte man das nicht viel mehr thematisieren und zeigen?

WS: Es gibt einige Künstler, wie zum Beispiel den Düsseldorfer Ulrich Hensel. Er zählt formal zur Düsseldorfer Schule und hat in den frühen Jahren mit Andreas Gursky zusammen gewohnt. Seit mehreren Jahrzehnten hat sich Ulrich Hensel obsessiv auf ein einziges Thema konzentriert: Baustellen. Die Bilder selbst wirken oft abstrakt und minimalistisch – Gitter, Punkte, Eisenstäbe durchkreuzen die Arbeiten in rigoroser Anordnung, begrenzt durch die Objekte, die sie zeigen. Er ist nur ein Beispiel von vielen Künstlerinnen und Künstlern, die sich diesem Thema annehmen. Ja, die Baustelle ist ein Schauplatz des gesellschaftlichen Lebens. Hier ist viel Potential!

IA: Eine andere Möglichkeit sind kulturelle Zwischennutzungen. Das kann von der Bereitstellung von ‚alten‘ Fassaden für Graffiti-Künstler über Räume zur Nutzung als Ateliers oder für temporäre Ausstellungen gehen. Wie schätzt Du diese Aktivitäten in Deutschland ein?

WS: Zwischennutzung ist ein sehr aktuelles Thema und wird immer wichtiger. Sie biett Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit, temporäre Räume zu bespielen, die sonst ungenutzt bleiben. Kreative Prozesse werden gefördert und ermöglichen innovative Kunstprojekte. Kunstveranstaltungen in zwischengenutzten Räumen tragen zur Belebung der Räume bei, ziehen Besucher an und stärken das Umfeld. Darüber hinaus steht die Idee der Zwischennutzung auch im Einklang mit nachhaltigen Praktiken, indem sie bestehende Strukturen nutzt und somit Ressourcen schont. Kunstveranstaltungen in zwischen genutzten Räumen können so auch ein Bewusstsein für nachhaltige Stadtentwicklung schaffen.

IA: Du lebst in Deutschland, aber auch auf Mallorca. Außerdem kennst Du Dich in New York bestens aus, hast gerade zu letzterem auch Bücher veröffentlicht mit Porträts der Einwohner. Wie schneidet Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern beim Thema Kunst am Bau ab?

WS: … das habe ich weiter oben schon einmal erwähnt, ich glaube nicht gut, wobei ich es sicher nicht allumfassend beantworten und beurteilen kann. Subjektiv habe ich das Gefu?hl, die benachbarten Länder, wie Frankreich, Belgien und auch Frankreich haben generell ein grösseres Verständnis für Kunst im öffentlichen Raum. Hier spielt natürlich das Thema öffentliche Mittel und Förderung eine entscheidende Rolle. Entscheidend ist auch die Akzeptanz in der Bevölkerung. Grundsätzlich glaube ich, hier liegt in Deutschland auch ein großes Problem. Dinge werden oft zu kritisch betrachtet und negativ beurteilt. Das ist allerdings ebenfalls eine subjektive Einschätzung. Im Netz findet man ein anderes Urteil zu diesem Thema; eher dass Deutschland eine aktive und innovative Szene für Kunst im öffentlichen Raum hat, die sowohl national als auch international geschätzt wird. Die Kombination aus staatlicher Förderung, kulturellem Engagement und einer offenen Haltung gegenüber neuen künstlerischen Ausdrucksformen trägt dazu bei, dass Deutschland eine führende Rolle in diesem Bereich einnimmt. Allerdings fallen hier auch Musikfestivals und ähnliches unter Kunst im öffentlichen Raum! Mein ganz persönlicher Eindruck deckt sich damit nicht, vielleicht schaut man aber auch beim Auslandsaufenthalt anders auf dieses Thema und ist aufmerksamer als im eigenen Land.

IA: In einem Interview hast Du gesagt: „Für mich ist Kunst Kommunikation, wir wollen über die Fotokunst mit der Öffentlichkeit kommunizieren, den Künstlern eine Plattform bieten, um mitten in der Stadt sichtbar zu werden.“ Du hast in Düsseldorf ein pop up-Festival ins Leben gerufen, Du hast eine Ausstellung von internationalen Fotokünstlern kuratiert, die ihre Werke für eine Bauzaun-Gestaltung, also eine Fotoschau an einem Bauzaun, zur Verfügung gestellt haben. Was kann Kunst am Bau in der Mikroebene, also innerhalb eines Stadtgefüges?

WS: Wir haben mit der OpenSpaceGallery die grösste Fotoausstellung der Welt auf 150 laufenden Metern an einem Bauzaun geschaffen und konnten mit dem Ergebnis den renommierten ICONIC Award im Bereich B2B Communication gewinnen. In der Vorbereitung für die Ausstellung war eine der essenziellen Fragen, welche Motive im öffentlichen Stadtraum präsentiert werden können, welche Bildmotive funktionieren und wie stark sie polarisieren dürfen. Auf zwei mal zwei Meter großen AluDibond-Platten wurden die 63 Fotografien großformatig und aufwendig auf insgesamt 150 Meter Länge präsentiert. Von besonderer Bedeutung war für die Open Space Gallery der lokale Aspekt, gerade auch die Verbindung zur Düsseldorfer Kunstakademie. Junge Talente, wie auch etablierte Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und der ganzen Welt wurden präsentiert. Die damit verbundene positive Aufladung der Baustelle und das Emotionalisieren des urbanen Raumes rund um das Bauvorhaben wirkten nachhaltig auf alle Besucher und Passanten. Führungen wurde durch die Stadt Düsseldorf angeboten und medial war die Wirkung sehr umfangreich und nachhaltig. Die oft negative Gestaltung des urbanen Raumes durch eine Baustelle mit all den Begleiterscheinungen wie Dreck, Beeinträchtigung des Strassenverkehrs oder sonstige Unannehmlichkeiten, wurde somit emotionalisiert und positiv aufgeladen. Es wurde ein Bereich geschaffen, an dem Menschen zusammen kamen, wodurch auch ein Gefühl der Identität und Zugehörigkeit geschaffen wurde.