Das Berliner Baukollegium hat sich in einer ganztägigen Sitzung mit Entwürfen für das geplante Projekt der BAUWERT AG mit 1.800 Wohnungen in Berlin-Johannisthal befasst. Jetzt soll an einem Regelwerk gearbeitet werden.
Nur ein einziger Tagesordnungspunkt stand bei der 96. Sitzung des Berliner Baukollegiums auf der Tagesordnung – das gemischte Quartier Am Segelfliegerdamm. Auf einem 21 Hektar großen Teilbereich des historischen Flugplatz-Areals in Berlin-Johannisthal ist der Bau von 1.800 Wohnungen geplant. Investor und Projektentwickler ist die BAUWERT AG. Das Unternehmen hatte im Vorfeld 17 renommierte Architekturbüros eingeladen, Entwürfe für einzelne Baufelder einzureichen. Nach einer Vorauswahl unter den 40 eingegangenen Arbeiten Ende März standen nun 13 Präsentationen vor dem Gremium an.
Am Ende der ganztägigen Beratung fasste Kollegiumsmitglied Maren Rakebusch, Architektin und Professorin an der FH Potsdam, das Ergebnis zusammen: „Spannend war es heute, die Entwürfe zueinander zu sehen und, was aber auch ganz wichtig gewesen ist, sie in den Kontext zu bringen zur Geschichte des Ortes.“ Das Fazit: Nach Jahren der Diskussion um den Bebauungsplan, den Anteil an Sozialwohnungen und Denkmalschutz, tut sich jetzt ein neues Problem auf. Gewünscht ist ein Kiez mit unterschiedlichen architektonischen Handschriften, aber es fehlt eine Klammer für alle Entwürfe. Ein Regelwerk soll sie liefern.
Bereits die Vorgeschichte dieses letzten größeren Entwicklungsgebietes im Berliner Ortsteil Adlershof-Johannisthal hat es in sich. Bei dem Areal handelt sich um jüdisches Alteigentum, das nach der Wende an eine weltweit verstreute Erbengemeinschaft rückübertragen worden ist – den Nachfahren von Arthur Müller. Unter dessen Federführung war der Flugplatz in Johannisthal geschaffen und 1909 eröffnet worden. In der Folge siedelten sich hier Unternehmen der Flugzeugindustrie an. In der DDR wurde das Industriegelände vom VEB Kühlautomaten genutzt. Ein kleiner Teil der historischen Gebäude des Industriegeländes soll erhalten bleiben, darunter das ehemalige Verwaltungsgebäude und das Pförtnerhaus.
Komplizierter Grundstückskauf geht Planung für Quartier Am Segelfliegerdamm voran
Das einstige Flugfeld ist heute Landschaftspark. Einen Bereich am nördlichen Rand hat das Land Berlin von der Erbengemeinschaft für den Technologiepark Adlershof erworben. Der sich südlich daran anschließende Grundstücksteil wird jetzt von der BAUWERT AG entwickelt. Jürgen Leibfried, Gründer und Vorstand der BAUWERT AG, gab einen Einblick in den komplizierten Grundstückserwerb.
Die Erben von Arthur Müller lebten in England und den USA. „Alle Müller-Erben sind inzwischen verstorben.“ Die englischen Anteile hat sein Unternehmen zuerst gekauft. Die amerikanischen Erben haben ihren Anteil an das Weizmann-Institut vererbt, eine weltweit agierende Wissenschaftsinstitution. Nach langen Verhandlungen konnte die BAUWERT AG auch diesen Grundstücksanteil übernehmen, allerdings hat sich das Weizmann-Institut Mitbestimmung ausbedungen. Das Geld aus diesem Erbanteil fließt in die Krebsforschung.
Quartier mit Kiez-Charakter wider die Uniformität
„Wir wollen hier ein Quartier mit Kiez-Charakter entwickeln und keine Uniformität“, erklärte Jürgen Leibfried. „Ein Kiez wird geprägt von unterschiedlichen Baustilen. Die Idee ist, dass wir eine architektonische Vielfalt umsetzen, die hohen Qualitätsansprüchen genügen muss.“ Das neue Viertel soll Wohnungen für Menschen verschiedenen Alters und mit unterschiedlichen Einkommen bieten. „Wir wollen aber keine Brüche schaffen, wo jeder sagt, was soll das denn, das passt ja gar nicht zusammen.“ Im März wurden daher unter den 40 eingereichten Arbeiten für acht Baufelder je ein bis zwei Entwürfe ausgewählt und bereits Hinweise zur Überarbeitung gegeben.
Der Bebauungsplan gibt eine Blockrandbebauung für die meisten Baufelder vor. So präsentierte der Architekt Stefan Forster als erster seine Entwürfe – für das Baufeld WA 1, einen reinen Wohnblock, und für WA 4, einen Block mit Eigentumswohnungen und Seniorenheim. Er ging auf die Problematik dieser Quartiersentwicklung anhand des Vorher- und Nachher-Entwurfes für das WA 1 ein. Bei dem ersten Entwurf handelte es sich um einen Großblock mit relativ einfacher Formensprache, die sich an der vorhandenen Wohnbebauung im weiteren Umfeld orientiert. „Das war unser Statement, abgeleitet aus der Situation in einem relativ anonymen Gebiet“, erklärte er.
Bei der BAUWERT AG stieß der Entwurf auf Kritik. Gewollt seien ablesbare Häuser innerhalb des Blockes. Das Ganze sei zu horizontal, die Fassaden seien zu monoton. „Wir haben uns von dem Bauherren zeigen lassen, welche anderen Projekte im Raum standen und haben gesagt, wenn wir ein Quartier machen, müssen die Häuser irgendwie einen Zusammenhang haben.“ Der Entwurf wurde geändert, so dass der Block jetzt erkennbar in einzelne Typen-Häuser mit der gewünschten Adressbildung gegliedert ist und diese deutlich Sockel, Mittelteil und Abschluss aufweisen „Das ist auch die Beziehung zu den anderen Projekten“, betonte er.
Regelwerk für Architekten fehlt bisher
Roger Boltshauser, Architekt und Mitglied im Baukollegium, stellte ihm und danach auch allen anderen Architekten eine Frage: „Was können Sie uns zum Regelwerk mitgeben?“ In der Frage offenbart sich ein Grundproblem bei der Herangehensweise, eine Art Stochern im Nebel. Bei anderen Projekten, so Stefan Forster, würden die beteiligten Architekten bereits im Vorfeld Kriterien untereinander diskutieren. Für dieses Quartier wäre es schon mal hilfreich, einen Konsens über die Erdgeschossausbildung zu finden, die Definition der Eingänge, die Ausbildung des Sockels, des Mittelteils und des Endes des Gebäudes. „Wenn man sich über diese Thematik in einer Gruppe von Architekten einigt, bekommt man einen Zusammenhang.“ Für ihn seien auch Fenster, Vorgärten oder die Anordnung der Klingelanlagen wichtige Themen.
In der Folge stellten die Vertreter der anderen Architekturbüros ihre Ideen vor: Pätzold Architekten ebenfalls für WA 1 und WA 4. Grüntuch Ernst Architekten und Hilmer Sattler Architekten präsentierten Vorstellungen für das WA 7 – einen Wohnblock mit einem Teil an Miniapartments für Studenten – und für WA 8 mit kleineren, einzelnen Mehrfamilienhäusern zum Park hin. Bonanni Architekten lieferte den Entwurf für das WA 5, einen zentral gelegenen Wohnblock mit Café. Er liegt gegenüber der historischen Werkhalle 4, um deren Erhalt noch gerungen wird.
Nöfer Architekten waren mit einem Entwurf für das WA 6 dabei, für einen Wohnblock mit langer Fassade und großen Balkons zum Platz sowie für das WA 2.1, für das auch gmp Architekten Entwürfe vorstellten. Dabei handelt es sich um ein Wohnhaus, das hinter dem historischen Verwaltungsgebäude auf der Grundfläche einer Produktionshalle errichtet werden soll. Die Halle wird abgerissen. Eine Herausforderung ist hier der Umgang mit dem Grundriss in Form eines unregelmäßigen Vierecks und dem Bezug zum historischen Bau mit seinem Tonnendach.
Konversionsprojekt Am Segelfliegerdamm: Vom Industrieareal zum Stadtquartier
Generell steht auch die Frage, ob und wie sich die Historie in dem Quartier widerspiegeln kann? Der Architekt Tobias Nöfer erklärte: „Die Grundsatzentscheidung ist mit dem Masterplan gefallen.“ Eine starke Wendung von einem Industrieareal zu einem Stadtquartier. Erinnerung sei ein wichtiges Thema, das er sich in den Außenräumen gut vorstellen könne. Doch das Quartier werde etwas anderes, als es mal war – und dazu könne man stehen.
Der Architekt plädierte dafür, sich generell an hervorragenden Vorbildern für Berliner Quartiere zu orientieren, wie etwa in Schöneberg oder Friedenau. Das Baukollegium empfahl im Anschluss die weitere Abstimmung. Vorgesehen sind zwei Workshops. Am Ende soll es ein Quartiersregelwerk mit Kriterien für die Gestaltung geben.