Architects for Future: Klimaneutrales Bauen, jetzt!

Architects for Future: Klimaneutrales Bauen, jetzt!

Architects for Future: Klimaneutrales Bauen, jetzt!
Johanna Wörner und der Verein Architects for Future setzen sich für klimaneutrales Bauen und eine entsprechende Bauwende ein. Copyright: (links) Dominique Knobben auf Pixabay; (rechts) Architects for Future

Der Verein Architects for Future fordert von der Bauministerkonferenz eine neue Musterbauordnung, die klimaneutrales Bauen vorschreibt und keine Bauvorhaben mehr zulässt, die nicht dem Pariser Klimaabkommen entsprechen. Mit IMMOBILIEN AKTUELL spricht Johanna Wörner, Planerin in einem Berliner Architekturbüro und Sprecherin von Architects for Future, über die Zukunft des Bauens.

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Ihr Verein Architects for Future setzt sich für eine klimagerechte, ökologisch und sozial nachhaltige Bauwende ein. Er hat Anfang Juli einen offenen Brief an die Bauministerkonferenz mit einer Muster(um)bauordnung geschickt. Haben Sie dazu schon ein Feedback?

Johanna Wörner: Nein, nicht direkt. Unsere Vorschläge wurden an die entsprechende Fachkommission weitergeleitet. Aber mehr als 20 Verbände und viele Experten aus der Baubranche unterstützen unseren Vorstoß. Denn Fakt ist: Der Bau- und Gebäudesektor produziert fast 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen. In Deutschland hat er die Klimaschutzziele 2020 nicht erreicht. Eine der größten Hürden für die Bauwende ist die Trägheit der Politik. Wir wollen, dass Bauen im Bestand vor Neubau geht. Das Bewahren verbauter Materialien kann ein großer Beitrag zum Klimaschutz sein. Wir fordern, dass kein Gebäude ohne Genehmigung abgerissen und diese nur erteilt wird, wenn ein Gebäude nicht saniert oder umgebaut und umgenutzt werden kann.

Für das Bauen im Bestand ist eine Flexibilisierung der Anforderungen nötig, unter anderem beim Brand- und Schallschutz. Wir brauchen mehr Daten über Bestandsbauten: Material, Bauweise und Statik sollten digital erfasst werden. Wir wünschen uns einen Materialausweis, der Teil der Bestandsdokumentation wird. Denn alle Bauvorhaben müssen kreislauffähig geplant und ausgeführt, die Materialien wiederverwendet werden. Ist das nicht möglich, sollen sie recycelt werden. Bereits beim Bauantrag für einen Neubau muss ein Konzept für dessen flexible Nutzung verpflichtend sein. Wir hoffen, dass wir mit unseren Vorschlägen einen Anstoß für das Treffen der Bauminister im November geben können.

Die Politik ist zu träge und es mangelt an Fachleuten für nachhaltiges Bauen

Was muss sich außer den Gesetzen ändern, damit der Bausektor umgekrempelt wird?

Johanna Wörner: Vieles. Es mangelt an Fachleuten auf allen Gebieten des nachhaltigen Bauens, an entsprechenden Ausbildungsangeboten, an Beratung für Bauherren. Mehr Forschung ist nötig, ebenso die kostengünstige Massenproduktion von Materialien, die heute noch Nischenprodukte sind, wie zum Beispiel Dämmung aus Hanf oder Pilzmyzel. Wir brauchen mehr Fördermittel, andere Planungsprozesse und digitale Vernetzung von Projekten. Es wäre doch sinnvoll, beim Abriss oder Umbau eines Gebäudes das Material gleich in einem anderen Projekt wieder zu verbauen. Es gibt bereits erste Projekte in diese Richtung, zum Beispiel die Plattform Concular, die zirkulär nutzbares Baumaterial vermittelt.

Wie stellen Sie sich das Bauen in 30 Jahren vor?

Johanna Wörner: Wenn ich mir die Zukunft malen könnte, dann sähe ich flexibel nutzbare Neubauten im Effizienzhaus-40-Standard aus nachhaltigen Baumaterialien wie Holz und Hanf, Stroh und Lehm, aber vor allem nach ökologischen Kriterien sanierte Altbauten im Effizienzhaus-55-Standard. Beton würde nur noch da verbaut, wo es nicht anders geht, es sei denn, Bauen mit Beton ist bis dahin klimaneutral und kreislaufgerecht.

Beton ist ein Klimakiller!

Warum wollen Sie weg vom Beton? Und reichen die Ressourcen an Holz, wenn überall mit Holz gebaut werden soll?

Johanna Wörner: Beton ist ein Klimakiller. Die Produktion von Zement verursacht rund acht Prozent der globalen CO2-Emission und damit doppelt so viel wie der Flugverkehr. Dazu kommt der Stahl, der für die Armierung gebraucht wird, die Energie zum Schmelzen, die enormen Transportwege. Wenn wir für Holz als Baumaterial plädieren, dann nicht global. Jeder sollte die nachwachsenden Materialien nutzen, die lokal vorkommen. In einigen Ländern ist das zum Beispiel Bambus. In Deutschland müssen wir den Bedarf an Holz aus nachhaltiger, lokaler Forstwirtschaft decken.

In Berlin soll mit dem Schumacher-Quartier das größte Holzbau-Quartier in Europa entstehen. Halten sie das Konzept für vorbildlich?

Johanna Wörner: Wenn die Vision so umgesetzt wird, dann ja. Viele gute Ideen sind eingeflossen. Es geht aber nicht nur um Material und regenerative Energie. Generell müssen wir uns fragen, wie wir in Zukunft wohnen wollen. Das soziale Zusammenleben muss sich verändern. Wir haben heute mit 45 Quadratmetern pro Kopf einen sehr hohen Verbrauch an Wohnfläche, der Trend geht zu 50 Quadratmetern. Wir plädieren für weniger Verbrauch an Ressourcen durch geringeren Flächenverbauch für den Einzelnen und mehr gemeinschaftlich genutzte Räume.

Nicht jeder braucht ein Gästezimmer oder ein riesiges Wohnzimmer. Es könnten in Gebäuden Räume als Gästezimmer konzipiert und gemeinschaftlich genutzt werden. Ebenso könnte es einen Gemeinschaftsraum für Familienfeiern geben. Gut geplante 25 bis 30 Quadratmeter Wohnraum von hoher Qualität pro Person reichen dann aus. Ressourcen lassen sich auch im Gewerbe sparen.  In München will ein Start-up unter der Überschrift „Geteilter Raum ist doppelter Raum“ ermöglichen, ungenutzte Infrastruktur wie Läden oder Gastronomie nach der regulären Öffnungszeit anzubieten. Das ist einen gute Idee. Wir müssen mit dem, was schon da ist, effektiv umgehen.

Gebäude müssen flexibel, Teile wiederverwendbar werden

Nachhaltigkeit ist auch eine Frage der Ästhetik. Denn was nicht gefällt, wird nicht genutzt und ist irgendwann abrissreif. Wer weiß, was morgen noch gefällt?

Johanna Wörner: Das ist ein wichtiger Aspekt und eine schwierige Frage. Auch deshalb gilt: Die Gebäude müssen flexibel, die Teile auswechsel- und wiederverwendbar sein. Wenn Fassaden nicht mehr gefallen, können sie getauscht, das Material anderweitig verwendet werden. Ob Architektur angenommen wird, hängt aber auch von der Partizipation ab. Es ist wichtig, die künftigen Nutzer bereits in die Planung einzubeziehen und sie mitgestalten zu lassen. Warum findet der Mensch historische Städte schön? Das liegt meiner Ansicht nach am Maßstab, der sich am Menschen orientiert, an Nachbarschaft und an Vielfalt. Das lässt sich auch in neuen Quartieren herstellen.

Wir finden Gründerzeitviertel schön, werden die Häuser aber kaum mit vertretbarem Aufwand zu Niedrigenergiehäusern machen. Müssen wir unsere Innenstädte nicht doch abreißen, wenn wir bis 2050 klimaneutral sein wollen?

Johanna Wörner: Nein, Abriss und Neubau wäre ganz falsch. Rund 40 Prozent der CO2-Emissionen eines Gebäudes im Lebenszyklus von 50 Jahren entstehen bereits beim Bauen. Mit Dämmung lässt sich viel erreichen. Darüber hinaus müssen wir Energiekonzepte für ganze Quartiere entwickeln. Nicht jeder Altbau kann seinen Energiebedarf durch eine Solaranlage decken, wir brauchen Nah- oder Fernwärmenetze, die regenerative Energie produzieren.  

ESG in der Praxis