„Nachhaltiges Bauen heißt nicht unbedingt, teuer zu bauen“

„Nachhaltiges Bauen heißt nicht unbedingt, teuer zu bauen“

„Nachhaltiges Bauen heißt nicht unbedingt, teuer zu bauen“
Fredrik Werner vom Architekturbüro HENN im Interview über Klimaschutz im Baugewerbe. Copyright: (links) anncapictures auf Pixabay; (rechts) HENN

Klimaschutz, neue Sicherheitsanforderungen, Trend zum Homeoffice: Architektur muss heute mehr können, als eine schicke Optik für Gebäude zu entwerfen – ob im Wohn- oder im Gewerbebau. Für das in München und Berlin ansässige Architekturbüro HENN sind solche neuen gesellschaftlichen Entwicklungen stets ein willkommener Anstoß zum Neudenken der eigenen Arbeit. Doch wie läuft ein solcher Umdenkprozess ab? Wo muss Architektur ansetzen, um umweltfreundlich zu sein? Und warum wird der neue Office-Campus „DER bogen“ in München ein nachhaltiger Businesskomplex, obwohl er aus Beton statt Holz gebaut wird? Antworten darauf gibt Fredrik Werner, Partner bei HENN, im Interview.

Agentur

Inwieweit muss die tägliche Arbeit in Ihrem Büro neu gedacht werden, um Gebäude zu entwerfen, die der Umwelt zugutekommen, statt sie zu belasten?

Fredrik Werner: Seit mehr als 30 Jahren beginnt jedes unserer Projekte mit einem Programming. Die Sinnhaftigkeit einer Bauaufgabe wird dabei jedes Mal hinterfragt und intensiv mit dem Bauherrn diskutiert. So wird gemeinsam ein maximaler Gegenwert für zukünftige Nutzer geschaffen. Denn nur wenn ein Gebäude einen langfristigen Nutzen hat und gleichzeitig von Nutzern und Nachbarn akzeptiert wird, erfüllen wir eine wichtige Komponente der Nachhaltigkeit.

In den vergangenen zehn Jahren aber hat die ökologische Dimension extrem an Bedeutung gewonnen. Das begleitet uns über alle Planungs- und Realisierungsphasen eines Projektes. Ein Gebäude im Sinne unserer Umwelt und der Zukunft unserer Kinder zu entwerfen und zu realisieren, bedarf einer holistischen Denkweise, die sehr viele Komponenten in sich vereinen muss. Dazu zählen die Art der Konstruktion und der Nutzung, der Ort, an dem ein Gebäude steht, die Akzeptanz der Nutzer und Nachbarn, die Wahl der Energieversorgung oder die Fähigkeit zum späteren Recycling. Der Erfolg liegt immer im Dialog aller Beteiligten. Es geht darum, bleibende Werte zu schaffen.

Ist ein solcher Aufbruch- und Umdenkprozess in einem Büro mit über 350 Architekten und Ingenieuren aus mehr als 40 Nationen immer ausschließlich mit Euphorie verbunden?

Fredrik Werner: Euphorie und Begeisterung sind die Grundvoraussetzungen für zukunftsorientiertes Arbeiten sowie die Weiterentwicklung von Technologien und natürlich auch die von Gebäuden. Vor allem aber ist es ein intensiver Lernprozess, der uns antreibt und motiviert. Wir müssen unser Wissen an vielen Stellen immer wieder vertiefen. Technologien, auch die in der Baubranche, verändern sich rasant. Man kann also nur am Ball bleiben, wenn man von Neugier und Wissensdurst getrieben ist. Deshalb bieten wir unseren Mitarbeiter*innen unter anderem im Rahmen der HENN-Akademie regelmäßige interne Weiterbildungsseminare an, in denen ein Fachgebiet oder ein neues Thema von einem Experten vorgestellt wird. Der innerbetriebliche Dialog ist im Sinne einer kollektiven Intelligenz von 350 Kolleg*innen ein wertvolles Kapital.

Bauen im Bestand, Bodenversiegelung und Wahl der Materialien

Laut dem NABU – Naturschutzbund Deutschland e. V. sind die CO2-Emissionen aus Bau und Nutzung von Gebäuden allein hierzulande für etwa 30 Prozent der Emissionen verantwortlich. Wo setzen Sie als Architekten an, um diese gewaltige Zahl zu reduzieren?

Fredrik Werner: Zunächst sollte man sich als Bauherr und als Architekt die Frage stellen, ob immer ein Neubau notwendig ist oder ob man ganz oder teilweise mit bestehenden Strukturen arbeiten kann. Denn im Altbestand ist ein immenser Teil an CO2 gebunden.

Darüber hinaus sollte bei Projektplanungen stets die Reduktion von Bodenversiegelungen und damit der flächenschonende Umgang mit Bauland diskutiert werden. In besonders dichten Gebieten können außerdem Hochhäuser eine nachhaltige Antwort sein.

Die Wahl der Materialität für Konstruktion, Ausbau und Fassade ist ebenfalls ein wesentliches Thema für uns als Architekten. Denn hochwertige, dauerhaft beständige Materialien, die – langfristig betrachtet – wiederverwertet werden können, sind ein wichtiges Kriterium. Auch über die Verwendung von recycelten Baustoffen denken wir zunehmend nach. Zumal diese eine ganz eigene und überraschende Ästhetik haben können.

„DER bogen“: Nachhaltig trotz viel Beton und Stahl?

Eines Ihrer aktuellen Projekte in München ist der Business-Campus „DER bogen“. Er entsteht auf dem südwestlichen ehemaligen Grundstücksteil der Firmenzentrale des Sicherheitskonzerns Giesecke+Devrient im Stadtteil Bogenhausen. Auf 43.000 Quadratmetern Mietfläche wird er Platz für etwa 2.000 Arbeitsplätze bieten. Ganz im Sinne der Denkweise von HENN wird der Bauherr den Komplex als Niedrigenergiegebäude unter Verwendung nachhaltiger Baumaterialien errichten. Die Vorzertifizierung in DGNB Gold hat „DER bogen“ bereits erhalten. Allerdings wird das Gebäude aus klassischen Baumaterialien wie Beton und Stahl gebaut. Viele Architekturbüros und Bauherren setzen aber verstärkt auf den Bau von Holz- oder Holzhybridgebäuden. Wieso haben Sie in ihren Entwürfen keinen Holzhybriden vorgeschlagen?

Fredrik Werner: Holzhybrid- und auch Mischlösungen wurden in den frühen Planungsphasen untersucht. Aufgrund der besonderen Geometrie des Gebäudes mit seinen vielen Rundungen und komplexen Verschneidungen haben wir uns gemeinsam mit dem Bauherrn dazu entschieden, den Bau in Beton zu realisieren. Der Fokus wurde auf ein wirtschaftliches Gebäuderaster gelegt, Deckenstärken und Stützenquerschnitte konnten so auf ein Optimum reduziert werden. Diese Robustheit des „bogens“ setzt auf eine sehr langfristige Nutzung und dadurch auf einen nachhaltigen Lebenszyklus. Außerdem profitiert das Gebäude im Gegensatz zu einer Holzkonstruktion von den thermischen Speichermassen der Betonbauweise.

Warum ist „DER bogen“ dennoch ein nachhaltiges Gebäude – und damit auch für Mieter spannend, die ihre Unternehmen nach den ESG-Richtlinien ausrichten?

Fredrik Werner:  Das Gebäude ist als integrativer Stadtbaustein konzipiert. Es wird also nicht nur für die künftigen Mieter errichtet. Vielmehr bietet er auch der Nachbarschaft ein Angebot an Einzelhandel, gastronomischen Einrichtungen und Freizeitangeboten – auch außerhalb der Bürozeiten und sogar am Wochenende. Der Neubau fügt sich damit subtil und angemessen in seine Umgebung ein. Dadurch hat er etwas Selbstverständliches und wird so auf lange Sicht nachhaltig. 

Ob der bewusste Einkauf von Lebensmitteln oder die Entscheidung für Öko- statt herkömmlich erzeugten Strom: Nachhaltiges Handeln ist schon im Alltag von uns allen oft mit höheren Kosten verbunden. Wie schlägt sich umweltbewusstes Architektur-Denken in den Baukosten nieder – und wo bietet es eventuell sogar Sparpotenziale?

Fredrik Werner: Nachhaltiges Bauen heißt nicht unbedingt, teurer zu bauen. Es ist immer der ganzheitliche, holistische Ansatz, der aus unserer Sicht nicht nur eine  Antwort auf ESG, sondern im speziellen auch auf ökologische Nachhaltigkeit gibt. Dazu ist ein intensiver Dialog mit vielen Steakholdern des Bauherrn bis hin zu den einzelnen Fachgewerken erforderlich. Eine unserer wesentlichen Aufgaben ist es, alle Beteiligten zusammenzubringen und dadurch das Baubudget an den richtigen Stellen sinnvoll einzusetzen.

Natürlich müssen wir uns auch immer wieder mit neuen Technologien und Materialien auseinandersetzen, um die Kosten belastbar evaluieren zu können. Dazu zählen beispielsweise Technologien für die Holzhybridbauweise oder modulare Baukastensysteme und recycelbare Baustoffe. Wir arbeiten beispielweise gerade an einem Projekt mit der TU Dresden, in dem es um die Entwicklung und den konstruktiven Einsatz von Carbon-Beton geht.

Die Zukunft der Büro-Arbeit

Neben dem Klimaschutz gewinnt seit Beginn der Corona-Pandemie die Thematik „Büro-Arbeit der Zukunft“ eine zunehmende Bedeutung. Inwieweit hat das Tauziehen um die Rückkehr der Mitarbeiter aus dem Homeoffice in die Büros die architektonische Planung für „DER bogen“ beeinflusst?

Fredrik Werner: Es wird künftig darum gehen, mehr als nur gewöhnliche Büroflächen zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müssen zusätzliche Angebote wie Gastronomie, Handel, Sportmöglichkeiten, Dachterrassen oder attraktive Außenräume in Bürogebäuden geschaffen werden. Die Zukunft der Arbeit wird sicherlich hybrid sein. Das heißt, Mitarbeiter werden einige Tage zu Hause arbeiten, die restlichen im Büro verbringen. Der Wunsch, Kolleginnen und Kollegen zu treffen und sich physisch auszutauschen, ist nicht nur in kreativen Berufen spürbar. Für diese neue Art der Meeting-Hubs müssen wir die Büros künftig anders konzipieren. Denn Mitarbeiter wollen manche Aufgaben auf Co-Creation-Flächen gemeinsam schaffen. Konzentrierte Arbeiten aber wollen sie in Rückzugszonen im Büro oder im Homeoffice erledigen. All diese Themen kann „DER bogen“ durch seine robuste und flexible Struktur abbilden, obwohl wir zum Zeitpunkt der Konzeptphase alle nicht wussten, wie man Corona schreibt.

Zwei abschließende Fragen zu Ihren Standorten: Wie nachhaltig ist HENN in den eigenen Büros und inwiefern spielt Homeoffice für Sie als Architekten eine Rolle in der Arbeit der Zukunft?

Fredrik Werner: HENN hat sich dem Thema Nachhaltigkeit aktuell in allen Bereichen verschrieben, und wir wollen in all unseren Projekten hierbei einen holistischen Ansatz verfolgen. Nur wenn man Aufgaben aus allen Perspektiven betrachtet und Dinge permanent infrage stellt, werden wir zukunftsfähige, dauerhafte und damit nachhaltige Gebäude realisieren können. 

Wir arbeiten sowohl in München als auch in Berlin in historischen Bauwerken mit einer langen Geschichte und damit einem bereits sehr langen Lebenszyklus. Obwohl wir natürlich am liebsten alle gemeinsam mit der Skizzenrolle an einem Tisch sitzen, haben wir uns mit der jetzigen Arbeitssituation sehr gut arrangiert. Die Arbeit im Architekturbüro ist kreativ, teamorientiert und innovationsintensiv. Daher sehen wir den klaren Schwerpunkt unserer Arbeit vor Ort. Wir wägen aber grundsätzlich ab, welche Meetings virtuell stattfinden können. Auch Tätigkeiten, die extreme Konzentration erfordern, lassen sich besser außerhalb des Büros erledigen. Grundsätzlich hat sich unsere Reisetätigkeit durch die Möglichkeit, Meetings virtuell abzuhalten, deutlich reduziert. Das führt bei 350 Kolleginnen und Kollegen zu einer großen und unmittelbaren CO2-Einsparung. Ansonsten bedienen wir selbstverständlich auch das Klischee des fahrradfahrenden Architekten.

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