Annelen Schmidt-Vollenbroich, eine der Gründerinnen von NIDUS, spricht mit IMMOBILIEN AKTUELL über Ausstellungen, Nachkriegs- und Alltagsarchitektur, über Stadtentwicklung und Kuratoren.
IMMOBILIEN AKTUELL (IA): NIDUS ist unter die Galeristen gegangen. Warum?
Annelen Schmidt-Vollenbroich (ASV): Das war ein lang gehegter Traum von uns, seitdem wir vor fünf Jahren angefangen haben in Düsseldorf zu arbeiten. Seitdem haben wir die Stadt erobert und merkten, dass es hier eine Vielzahl an toller Architektur gibt. Im Gegensatz zu Frankfurt am Main, Berlin oder München, die alle in einer Liga spielen, gibt es in Düsseldorf keinen Ort, der das Thema Architektur spielt. Natürlich gibt es immer mal Ausstellungen dazu, aber nichts festes, regelmäßiges. Im Frühjahr bekamen wir dann die Gelegenheit, Räume in der Carlstadt anzumieten. Das war zwar mitten in der Pandemie, aber manchmal muss man die Gelegenheit beim Schopfe packen.
IA: Ihr bezeichnet die Galerie mit dem schönen Wort Kosmos. Was war die Intention dahinter?
ASV: Wir verstehen uns nicht klassisch als Projektentwickler und auch nicht klassisch als Architekten, sondern wir sind etwas dazwischen: ein Architekturunternehmen. Daneben beschäftigen wir uns mit Architekturkommunikation, Baukultur, Stadtentwicklung. Die Galerie soll alles verbinden, neue Ideen bringen, die Türen aufmachen für Menschen, die keine Architekten sind, sich aber dafür interessieren und sich schwellenlos damit beschäftigen möchten. Deshalb ist Kosmos dafür das richtige Wort, weil man unter diesem Begriff viele Themen einstreuen, Dinge verknüpfen, Menschen miteinander verbinden kann.
Ausstellung mit Alltagsarchitektur
IA: Die Eröffnungsausstellung heißt „Sehnsucht Stadt“ und läuft noch bis Mitte Dezember. Was verbirgt sich dahinter?
ASV: Im Fokus stehen Stadthäuser der Nachkriegszeit, im Besonderen in Düsseldorf. Wir fassen das unter Alltagsarchitektur zusammen. Das Ganze entstand aus unserem Bauvorhaben, der Sanierung des Hauses Bruno Lambart. Düsseldorf ist im Zweiten Weltkrieg sehr stark zerstört worden, es gibt also von diesen Gebäuden eine große Anzahl mit hoher Qualität. Daraus haben wir ein Studierendenprojekt über mehrere Semester gemacht. Insgesamt wurden so 70 Stadthäuser aufgenommen, absichtlich keine Leuchtturmprojekte wie etwa das Mannesmann-Hochhaus, sondern Alltagsarchitektur. In der Ausstellung portraitieren wir zwölf dieser Häuser, unter anderem mit Fotografien. Ein Bild zeigt beispielsweise das gesamte Haus, zwei weitere beachtenswerte Details.
IA: Wie funktionierte die Recherche nach eben diesen Häusern?
ASV: Zuerst über das Bauaktenarchiv, was eher problematisch ist – wegen des Datenschutzes. Oft handelt es sich um Privateigentümer. Wir haben erst einmal eine Vorauswahl getroffen, über Stadtspaziergänge gemeinsam mit den Studierenden weitere Gebäude identifiziert und mit in den Katalog aufgenommen. Festgelegt wurden Merkmale, die ein 1950er-Gebäude auszeichnen; danach haben wir dann katalogisiert.
IA: Was macht diese Häuser so besonders?
ASV: Sie sind entstanden in einer Zeit, in der das Wirtschaftswunder noch nicht da war. Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gerade aufgeräumt, man musste in kurzer Zeit mit wenigen Mitteln viel Wohnraum schaffen. Die ausgewählten Beispiele sind sehr qualitätsvoll, architektonisch besonders. Sie grenzen sich ab von dem, was vorher da war und erfahren bis heute wenig Wertschätzung. Wir wollen mehr Sensibilität gegenüber den Häusern entwickeln, zum großen Teil sind sie sanierungsbedürftig, viele im Wechsel der Eigentümerschaft, ihre Zukunft damit ungewiss. Wir möchten, dass sie weiter zum Stadtbild gehören und Aufmerksamkeit bekommen.
Nachkriegsaufbau in Düsseldorf
IA: Was können wir für die heutige Stadtentwicklung daraus lernen?
ASV: Zum Beispiel, dass Abriss und Neubau nicht immer die richtige Lösung sein müssen. Hierfür steht der Nachkriegsaufbau in Düsseldorf: Es wurde sehr viel für die autogerechte Stadt abgerissen. Wir haben in der Ausstellung eine Karte hängen, wie die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg strukturiert war. Darauf können sich sehr viele Besucher kaum orientieren, weil es bestimmte Straßen damals gar nicht gab. Es wurden riesige Verkehrsachsen wie die Immermannstraße oder die Berliner Allee erst eingezogen. Ein zweiter Punkt ist, dass trotz der wirtschaftlichen Situation sowie der psychologischen Herausforderung, eine Stadt wieder aufzubauen, mit wenigen Mitteln sehr hohe Qualität hergestellt wurde. Besondere Beachtung verdient unserer Meinung nach, mit welchen Innovationen gearbeitet wurde. Wenn wir uns dann anschauen, mit welchem Wohlstand wir heute unterwegs sind, hat das gleich nochmal eine ganz andere Bedeutung. Man braucht einfach das Fünkchen Idee, das ist nicht zwangsläufig eine Frage des Geldes.
IA: Wie definiert Ihr Alltagsarchitektur, was gehört dazu und welche Bedeutung hat sie?
ASV: Zuerst ist das ja ein Grundbegriff. Gute Alltagsarchitektur trägt zu qualitätsvollen Außenräumen bei, die in einem lebenswerten Umfeld dazu beitragen, dass Menschen sich wohlfühlen. Dabei gibt es verschiedene Kriterien. Zum Beispiel das Thema der Wiederholungen, die oft ein Kriterium für Schönheit sind. Zudem gibt es Sicherheit und Ruhe, eine Einheitlichkeit. Alltagsarchitektur muss aber auch gesteuert werden, damit eine gute Basis für ihre Entstehung bereitgestellt wird. Zudem muss sie von allen Akteuren gefördert werden, insbesondere von der Politik.
IA: Woher soll der Laie oder nur Interessierte erkennen, dass es genau jenes Gebäude ist, das Aufmerksamkeit verdient hätte?
ASV: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel eine Art Reiseführer: online oder in einer App oder einem Audioguide. Wir merken, dass in der Galerie häufig viele Leute zufällig „reinstolpern“, deren Interesse wir wecken können. Wir machen ein Angebot, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, das angenommen wird. Die zweite Komponente ist der Austausch, den sich viele wünschen. Deshalb überlegen wir auch verschiedene Vortrags- und Podiumsangebote zu unterbreiten.
IA: Welche Themen kann eine Galerie transportieren, die aus Eurer Sicht mehr Beachtung finden müssten?
ASV: Es ist schon so, dass wir in den Gedanken der Menschen eine Veränderung und oft auch eine Wertschätzung für eben diese Architektur schaffen können. Diese ist ja nicht unbedingt selbsterklärend, erfordert Hintergrundwissen. Wir hatten einige Besucher, die klar gesagt haben: ‚Das gefällt mir nicht, ich finde das nicht schön.‘ Aber es geht eben nicht um die Schönheit, sondern um den Wert solcher Immobilien. Trotzdem schauen sie dann eben genau diese Häuser anders an, nehmen sie wahr und sprechen darüber. Und genau das wollen wir erreichen.
Eine Unternehmung aus Leidenschaft
IA: Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit der Kunsthistorikerin Prof. Dr. Alexandra Apfelbaum entstanden. Wie wichtig sind solche Experten für NIDUS und Kosmos?
ASV: Jede Ausstellung wird mit eine:r externen Kurator:in erarbeitet. Die kommen häufig aus persönlichen Kontakten. In der letzten Zeit werden wir aber auch oft angesprochen, es gibt Interessenten für Kooperationen mit uns. Prinzipiell ist es sehr gut, weil wir den Input wollen und uns auch austauschen wollen.
IA: Der Eintritt ist frei, das ist in den meisten Galerien so. Ihr verkauft aber keine Kunstwerke. Oder doch? Heißt: Wie finanziert sich die Galerie?
ASV: Es ist eine private Unternehmung und eine Leidenschaft von uns. Wir wollten das unbedingt machen. Es gibt so viele interessante Themen, die mehr in die Köpfe der Menschen sollten.
IA: Zum Schluss ein Ausblick: Welche Themen werden in den kommenden Ausstellungen bearbeitet?
ASV: Als nächstes wird es ganz bunt mit Möbel-Entwürfen aus den 1980er-Jahren aus Mailand. Da arbeiten wir zusammen mit einem Sammler (Eröffnung voraussichtlich am 20. Januar) und danach geht es um das Zusammenspiel von Architektur und Malerei. Uns geht es darum, dass wir Grenzen aufbrechen. Zwischen Baukultur, Baugeschichte, Stadtentwicklung, Design. Wir arbeiten interdisziplinär und wollen das alles vermischen. Natürlich auch mit dem Hintergrund, sehr verschiedene Menschen für diese Themen und natürlich unsere Galerie zu interessieren.