Immobilienbranche und Politik bemühen stets die plakative Lösung: „Bauen, bauen, bauen.“ Der Fokus auf Fertigstellungszahlen ist zum Scheitern verurteilt. Bauen allein reicht nicht, der Wohnungsbau steckt in einer Systemkrise. Ohne eine Anpassung der grundlegenden Rahmenbedingungen rückt bezahlbarer Wohnraum auch für die Mittelschicht in weite Ferne. Jana Mrowetz, die mit URBAN CELL ein modulares System für die Entwicklung von Quartieren mit hohem ESG Standard – von der Planung über den Bau bis hin zum Betrieb – entwickelt hat, hat ihre Gedanken für IMMOBILIEN AKTUELL aufgeschrieben.
Die Hälfte der Weltbevölkerung, also knapp 4,1 Milliarden Menschen leben mittlerweile in Städten. 1900 waren es noch 15 Prozent der damals 1,2 Milliarden Menschen. Die Bevölkerung und damit die Städte sind regelrecht explodiert. Die Folge ist eine Wohnungskrise auf der Welt und in Deutschland.
Das Problem: Die gesamte Wertschöpfungskette ist fragmentiert und ineffizient – wie die Immobilienbranche selbst. Es gibt keine standardisierten Prozesse. Projekte werden grundlegend isoliert betrachtet. Für zehn Baustellen werden zehn Konzepte entwickelt, von zehn Statikern geprüft und zehnfach optimiert.
Steigende Anforderungen durch die Nachhaltigkeitskriterien ESG passen nicht in traditionelle Geschäftsmodelle der Bauwirtschaft. Zahlreiche Jungunternehmen bieten Einzellösungen an, die zum Teil inkompatibel sind und den Markt komplexer machen. Die nun eintretende Insolvenzwelle war vorhersehbar und der Strukturwandel ist überfällig.
Drei Aspekte neu gedacht werden, um dieser langfristigen Herausforderung Herr zu werden. Zunächst wie wir bauen: Es braucht eine höhere Skalierbarkeit – durch Standardisierung und Kooperation. Modulares und serielles Bauen gelten als Lösungen zur Kostenoptimierung, sind jedoch bisher nur begrenzt umsetzbar. Eine geringe Flexibilität, die Abhängigkeit von wenigen Herstellern und eine fragmentierte Branche hemmen die Skalierung. Kein Unternehmen kann deutschlandweit große Volumina realisieren. Die Produktionsstätten stoßen schnell an ihre Kapazitätsgrenzen.
Branchenweite Standards und Partnerschaften sind nötig, um Bausysteme zu schaffen, die flexibel reproduzierbar und lokal adaptierbar sind. Dadurch sparen Projektentwickler bis zu 90 Prozent Zeit im Hochbau, die Baunebenkosten sinken auch durch etwa 70 Prozent geringere Gebühren der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Nur so lassen sich marktgerechte Renditen und bezahlbare Preise mit steigenden Bauanforderungen sichern.
Zweitens sollten wir überdenken, was wir bauen. Die Immobilienbranche muss sich von der reinen Flächenlogik lösen und neue Effizienzmodelle entwickeln. Statt „Miete je Quadratmeter“ sollte ein neues Mietmodell stehen – ein monatliches Gesamtbudget mit kleineren, flexiblen Wohneinheiten und gemeinsam genutzten Bereichen. Elemente für Fitness, Freizeit und Gemeinschaft müssen mitgedacht werden.
Immobilien sind Teil eines urbanen Ökosystems mit Synergien in Energie, Umwelt und Gemeinschaft. Oft fehlen aber ganzheitliche Konzepte, stattdessen entstehen Einzelbauten. Eine integrierte Quartiersplanung mit gemeinsamer Energieversorgung, nachhaltiger Infrastruktur und Sharing-Modellen schafft wirtschaftliche und ökologische Vorteile. Dafür sind Akteure nötig, die ganze Stadtteile planen und verwalten.
Zuletzt sollten wir darüber nachdenken, wo wir bauen. Die Immobilienbranche ist festgefahren in starren ABC-Lagen. Mit zunehmender Digitalisierung ist das Homeoffice aber auf dem Vormarsch. Arbeitnehmer sind nicht mehr zwingend an das Stadtzentrum gebunden. Damit wächst der Wunsch nach mehr Lebensqualität. Die Speckgürtel können bezahlbaren Wohnraum schaffen und ländliche Regionen revitalisieren. Entscheidend ist dabei, Aufenthaltsqualität gezielt zu gestalten. Ein Beispiel: Ein gut vernetztes, urbanes Quartier mit hohem Lifestyle-Wert, eine Stunde von Berlin entfernt, könnte Pendler ansprechen, die sonst nur beste Lagen suchen.
All das setzt eine umfassende Konsolidierung voraus. Wir müssen die Branche neu denken: durch Standardisierung, neue Geschäftsmodelle und ganzheitliche Quartierskonzepte. So kann bezahlbarer Wohnraum für die Mittelschicht gleichzeitig die wirtschaftliche Zukunft der Branche sichern. Es ist Zeit, von der stumpfen Maxime „Bauen, bauen, bauen“ abzurücken – und klüger, effizienter und vernetzter zu handeln. So wie es einem der größten Wirtschaftszweige Deutschlands gut zu Gesicht stände. Dafür müssen sich die Beteiligten der Immobilienwirtschaft bewusstwerden, dass ihr Produkt nicht aus Beton, Steinen und Quadratmetern besteht, sondern aus Lebensräumen.
Hier geht es zum Podcast mit Jana Mrowetz