Die IG Bauen-Agrar-Umwelt forderte 5,3 Prozent mehr Lohn für die Bauarbeiter und die Vergütung der Fahrzeit zu den Baustellen. Eine Einigung konnte lange nicht erreicht werden. Die Gewerkschaft drohte mit Streik. Nun wurde ein Kompromiss im Tarifstreit gefunden. Diesem müssen die Vertragsparteien jedoch noch zustimmen.
Erste Betrachtungen vom 13.10.2021: Seit Monaten wird im Tarifkonflikt am Bau ergebnislos verhandelt: Die am 6. Oktober begonnenen Schlichtungsgespräche in Berlin unter Leitung von Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts, sind nach 27 Stunden abgebrochen und auf den 13. Oktober vertagt worden. „Wir erleben eine der schwierigsten Tarifverhandlungen seit Jahren“, erklärte Uwe Nostitz, Verhandlungsführer der Arbeitgeber und Vizepräsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB) nach dem Abbruch der Presse.
Für den Herbst droht ein Bau-Streik
Zumindest in diesem Punkt sind sich die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter einig. Auch der IG-Bau-Bundesvorsitzende, Robert Feiger, sprach von „den schwierigsten Verhandlungen im Baugewerbe seit Jahren“. Es habe lediglich eine leichte Annäherung gegeben. In den entscheidenden Punkten lägen die Positionen noch weit auseinander.
Bereits vor der Schlichtungsrunde hatte der IG-Bau-Chef verkündet: „Das ist die letzte Chance für eine Einigung. Wenn sich die Arbeitgeber auch bei der Schlichtung wieder querstellen, dann wird es im Herbst unweigerlich einen Bau-Streik geben. Von wichtigen Autobahnen bis zu bedeutenden Projekten im Hochbau: Hunderte von Baustellen stehen dann zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen, zwischen Aachen und Görlitz still.“
Forderungen: 5,3 Prozent mehr Lohn und Angleichung zwischen Ost und West
Die Gewerkschaft fordert für die rund 890.000 Beschäftigten auf dem Bau 5,3 Prozent mehr Lohn und das Anheben der rund fünf Prozent niedriger liegenden Ost-Löhne auf Westniveau. Die Arbeitgeber bieten drei Prozent mehr Lohn an und haben Vorschläge zur Angleichung der Löhne gemacht. Den Vorwurf der IG-Bau, die Arbeitgeber hätten die Verhandlungen zum Scheitern geführt, wies Uwe Nostiz zurück: „Die IG Bau hatte an der Präsentation eines neuen Angebots kein Interesse.“
Knackpunkt im Tarifkonflikt ist die Vergütung der Fahrzeit zu den Baustellen. Im Auftrag der IG Bau hatte des Eduard Pestel Institut ermittelt, dass die Beschäftigten des Baugewerbes durchschnittlich rund 64 Kilometer für eine einfache Fahrt zum Einsatzort zurück legen und im Vergleich besonders stark durch den Weg zur Arbeit belastet seien. Im Durchschnitt legt ein Arbeitnehmer nur 17 Kilometer für eine einfache Fahrt zurück. Weniger als zehn Prozent der Beschäftigten im Baugewerbe werde die Wegezeit bezahlt. Für die Nutzung des eigenen PKWs erhielten mit 35 Prozent zwar mehr Beschäftigte eine Entschädigung, aber auch dies sei eine deutliche Minderheit. Die Baugewerkschaft fordert deshalb eine Vergütung oder einen Freizeitausgleich.
Wichtiger Knackpunkt: Wegezeiten
Den Vorwurf, die Wegezeiten würden ignoriert, wies der Arbeitgebervertreter ebenfalls zurück. Bereits seit dem 1. Oktober 2020 erhalten die Beschäftigten eine pauschale Entschädigung von Wegezeiten und -strecken in Höhe von 0,5 Prozent des Tariflohns. „Tatsache ist, dass bereits heute jeder Arbeitnehmer als Ausgleich für Fahrten zu den Baustellen jährlich zusammen mit dem Tariflohn rund 1.000 Euro pauschal als Zuschlag für Wegezeiten erhält, zuzüglich weiterer Geldleistungen für An- und Abreise und Wochenendheimfahrten. Die von der IG Bau geforderten Neuregelungen fallen unter die Friedenspflicht der bestehenden ungekündigten Rahmentarifverträge, können also nicht Gegenstand der Lohn- und Gehaltsverhandlungen sein.“
Demonstration in Berlin unterstreicht Forderungen der IG Bau
Ihren Forderungen hatte die Gewerkschaft vor dem Start der Schlichtungsgespräche mit einer Demonstration von Bauarbeitern in Berlin Nachdruck verliehen. Der IG BAU-Branchenvorstand für das Bauhauptgewerbe, Carsten Burckhard, betonte noch einmal: „Hier wird es mit uns keine ‚Light-Lösung‘ geben. Auch beim Lohn-Plus stehen die Arbeitgeber weiter auf der Bremse. Und das vor dem Hintergrund des seit langem anhaltenden Baubooms und der Rekordumsätze, die die Branche verzeichnet.“
Als positiv bewertet die IG Bau die Ankündigung der Arbeitgeber, am Mindestlohn 2 im Westen festhalten zu wollen. Auch Robert Feiger machte klar, dass es keine Entwarnung gibt: „Wir hoffen, dass die Arbeitgeber den Weg der Vernunft gehen und dass es uns gelingt, in der kommenden Woche die Steine aus dem Weg zu räumen. Aber es ist immer noch alles offen: Das Damoklesschwert eines bundesweiten Bau-Streiks schwebt nach wie vor über der Verhandlung.“
Seit dem 13. Oktober 2021 laufen die Schlichtungsgespräche wieder. Beobachter berichten von einem minimal versöhnlicheren Ton.
Kompromiss im Tarifstreit
Update vom 15. Oktober 2021: Die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) haben in Berlin ein Tarifpaket für die rund 900.000 Beschäftigten in der Baubranche ausgehandelt. Wenn die Tarifvertragsparteien in den nächsten beiden Wochen zustimmen, ist der angedrohte Streik der Bauarbeiter abgewendet. Die IG BAU hatte 5,3 Prozent mehr Lohn gefordert. Der Kompromiss sieht für die Beschäftigten im Westen nun Lohnerhöhungen in drei Schritten vor, und zwar zwei Prozent zum 1. November, 2,2 Prozent zum 1. April 2022 und noch einmal zwei Prozent zum 1. April 2023. Für die Monate Juli bis Oktober 2021 wird eine Coronazahlung in Höhe von 500 Euro gewährt. Die Beschäftigten im Osten erhalten ab dem 1. November 2021 drei Prozent mehr Lohn und eine Coronazahlung in Höhe von 220 Euro; ab dem 1. April 2022 erhöhen sich die Löhne um 2,8 Prozent und ab dem 1. April 2023 um 2,7 Prozent.
Zusätzlich erhalten die Beschäftigten im Westen Einmalzahlungen in Höhe von 400 Euro zum 1. April 2022 und 450 Euro zum 1. April 2023. Darüber hinaus soll die Ausbildungsvergütung schrittweise erhöht werden. Auch für die von der IG BAU geforderte Entschädigung für die Wege zu den Baustellen wurden pauschale nach Kilometern gestaffelte Beträge vorgesehen.
Die Vereinbarung hat eine Laufzeit von 33 Monaten. Der Kompromiss wurde unter Moderation des Schlichters Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts, erzielt. Uwe Nostitz, Verhandlungsführer der Arbeitgeber und Vizepräsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, erklärte: „Wir hatten langwierige und schwierige Verhandlungen mit einer komplizierten und zum Teil auch neuen Materie. Wir haben uns bewusst für einen Tarifvorschlag in freien Verhandlungen entschieden, damit die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung bei den Mitgliedsverbänden liegt.“ Jutta Beeke, Vizepräsidentin des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie ergänzte: „Es ist uns gelungen ein umfangreiches Paket zu verhandeln und zu einem Ergebnis zu bringen, welches mit einer langen Laufzeit für Planungssicherheit in den Unternehmen sorgen kann.“