Baustau in Berlin steigt auf 65.000 Wohnungen

Baustau in Berlin steigt auf 65.000 Wohnungen

Baustau in Berlin steigt auf 65.000 Wohnungen
Baustau in der Bundeshauptstadt. Bildquelle: Michal Jarmoluk auf Pixabay

Der akute Fachkräftemangel verzögert das Baugeschehen in der Bundeshauptstadt. Die Folge ist eine hohe Differenz zwischen genehmigten und fertiggestellten Wohnungen. Doch der Baustau in Berlin hat noch weitere Ursachen...

Agentur

Trotz rückläufiger Genehmigungen wächst der Bauüberhang in Berlin weiter an. Das zeigen Zahlen des Statistischen Landesamts. „Es gibt rund 65.000 Wohnungen, für die eine Baugenehmigung vorliegt, die aber noch nicht fertiggestellt sind. Bei 20.000 Einheiten davon haben die Bauarbeiten noch nicht begonnen“, sagt Karsten Jungk, Partner und Geschäftsführer von Wüest Partner Deutschland. Innerhalb von fünf Jahren hat sich der Bauüberhang damit nahezu verfünffacht. „Da die Fertigstellungen auch weiterhin deutlich unter den Genehmigungen liegen, dürfte die Differenz im laufenden und im kommenden Jahr noch ansteigen“, sagt Jungk.

„Damit unterscheidet sich die aktuelle Entwicklung sichtbar von der Entwicklung Anfang der 1990er Jahre als nach einem sprunghaften Anstieg der Genehmigungszahlen im Jahr 1992 nach fünf Jahren die Fertigstellungen über den Genehmigungen lagen, was wiederum zu einem Abbau des Bauüberhangs bis zur Jahrtausendwende führte.“

Bauüberhang in Berlin. Bildquelle: RUECKERCONSULT/ Daten: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg
Bauüberhang in Berlin. Bildquelle: RUECKERCONSULT/ Daten: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg

Der aktuelle Baustau in Berlin hat vielfältige Gründe

Die Gründe für die aktuell nur langsam ansteigende Zahl an Baufertigstellungen seien vielfältig: mangelnde Baukapazitäten und Fachkräftemangel aufseiten der Baubranche, Verunsicherung durch politische Entscheidungen wie Mietpreisbremse und -deckel sowie längere Entscheidungsprozesse bei Investoren aufgrund hoher Grundstückskosten und komplexer werdender Projekte. In Summe reiche die Bauaktivität nicht aus, um den Bedarf zu decken.

Viele Personalengpässe und Bauleiter als begehrteste "Produkte"

Experten rechnen nicht damit, dass es in absehbarer Zeit zu einer Trendumkehr kommen werde und die bislang genehmigten Wohnungen rasch realisiert werden können. Denn vielfach fehle es an den dafür erforderlichen Kapazitäten. Allenfalls größere Bauträger mit kontinuierlich aufeinander folgenden Projekten, könnten Baufirmen und Handwerksbetriebe dauerhaft an sich binden, indem sie diese immer gleich für den nächsten Auftrag verpflichteten. Wer nur sporadisch baue, habe dagegen oft Schwierigkeiten, einen Generalunternehmer zu finden, die wiederum einen wachsenden Engpass bei den ausführenden Unternehmen haben.

„Der Fachkräftemangel im Bausektor betrifft praktisch alle Gewerke und Qualifikationen", sagt Frank Liedtke, Senior Consultant bei der auf Vermittlung von Immobilienfachkräften spezialisierten von Arnim Personalberatung. „Entscheidend für die Fertigstellung eines Bauvorhabens ist unter anderem auch die Frage, ob ein Bauunternehmer Arbeiten mit eigenen Kräften ausführt oder ob er auf Nachunternehmer zurückgreift. Da letztere, ebenso wie die nachfolgenden Gewerke, mit knappen Kapazitäten zu kämpfen haben, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer pünktlichen Baufertigstellung."

Der Fachkräftemangel auf dem Bau betrifft längst nicht nur Berlin. „Bauleiter sind in den vergangenen drei Jahren das begehrteste und seltenste Produkt in der Bau- und Immobilienbranche“, sagt Michael Harter, Geschäftsführender Gesellschafter von Westwind Real Estate Executive Search. „Wir kennen 30.000 Bauingenieure bundesweit, mit denen wir in den vergangenen drei Jahren direkt gesprochen haben. Um einen Technischen Projektleiter zu besetzen, muss man mittlerweile 300 Bauingenieure ansprechen. Diese Taktung reicht für Bauleiter noch lange nicht aus. Weil es kaum wechselwillige Bauleiter gibt, können wir aktuell keine verbindlichen Suchen für Bauleiter annehmen.“

Politik ist dank Berliner Mietensituation unter Druck und sieht Bauwirtschaft in der Pflicht

In puncto Kapazitätsentwicklung sieht der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick, Oliver Igel, daher vor allem die Bauwirtschaft in der Pflicht. „Nach jahrzehntelanger Krise wurde nicht das erforderliche Personal aufgebaut und gehalten, um einen Bauboom zu bewältigen. Das ist jetzt insofern sehr misslich, weil wir so dringend den Wohnungsneubau in nennenswerter Größenordnung benötigen, um die Mietensituation in dieser Stadt in den Griff zu bekommen.“ Unter Mühen habe die Verwaltung versucht, bei gleichzeitig gestiegener Regulierung Bauantragsverfahren nicht weiter zu verlängern. Häufig fehle noch immer Personal, das gleichzeitig immer komplexer werdende Verfahren bewältigen muss. Wenn dann am Ende nach erteilter Baugenehmigung nichts passiere, weil die Baufirmen nicht zu finden sind, sei das ein großes Ärgernis.

Der Personalengpass auf dem Bau führt aktuell zu monatelangen Verzögerungen. „So dauert es länger, belastbare Angebote zu bekommen und die zunächst angebotenen Konditionen machen die meisten Vorhaben nicht mehr rentabel“, berichtet Hendrik Treff, Geschäftsführer von Engel & Völkers Projektvertrieb. „Lange Verhandlungen mit offenem Ergebnis sind meist die Folge und sorgen dafür, dass es oft wesentlich später zu einem Baubeginn kommt, als noch vor ein paar Jahren.“

Weiteres gewichtiges Problem: Der Handel mit baufertigen Grundstücken

„Ein weiterer Grund für den ansteigenden Bauüberhang ist der Verkauf von Grundstücken mit erteilter Baugenehmigung“, sagt Treff. Der Anstieg dieser Grundstücksverkäufe habe diverse Gründe. „Zum einen die bereits genannte Entwicklung bei der Vergabe von Bauleistungen, der sich vor allem kleinere Entwickler nicht gewachsen sehen.“ Darüber hinaus seien es aufgrund der massiven Preissteigerungen natürlich auch wirtschaftliche Interessen und die Möglichkeit, Gewinne vorab zu realisieren, die manche Entwickler zu einem Verkauf bringen würden.

In welchem Maße der Handel mit baufertigen Grundstücken zum Bauüberhang beiträgt, lässt sich nur schwer beziffern. Experten verweisen jedoch darauf, dass diese Praxis in vielen Fällen ein Schritt auf dem Weg zur Realisierung von Wohnungsbauvorhaben ist. Laut Rainer Schorr von der PRS Family Trust ist der Verkauf von Grundstücken mit Baugenehmigung vor allem eine Notwendigkeit, die sich aus den gestiegenen Grundstückspreisen und den Regelungen des deutschen Hypothekengesetzes ergibt: „Früher haben Entwickler Grundstücke auch ohne Darlehen und nur mit Eigenkapital finanziert. Angesichts der hohen Preise benötigen die Bauträger nun ein Darlehen für den Grundstückskauf“, berichtet Schorr. „Nach aktuell geltenden Regeln dürfen aber nur Grundstücke mit Baugenehmigung durch Banken finanziert werden. Also erwirkt der Verkäufer die Baugenehmigung und der Käufer bemüht sich dann gegebenenfalls um einen Nachtrag zur Baugenehmigung.“ Das führe dann zu längeren Planungszeiten oder zur Nichtrealisierung der ursprünglichen Baugenehmigung und zu einem neuen Genehmigungsverfahren.

In der Branche herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass ein mehrmaliger Verkauf von Grundstücken mit Baugenehmigung den Wohnungsbau beeinträchtigt. „Die Kurve zeigt deutlich, dass eine beträchtliche Zahl von Baugenehmigungen in Berlin nicht realisiert wird“, sagt Schorr. „Grundstücke werden oftmals nach Erteilung einer Baugenehmigung und mit erheblichem Wertzuwachs weiterverkauft. Derjenige Verkäufer, der eine Baugenehmigung erreicht, hat damit eine erhebliche Dienstleistung für den Käufer erbracht. Wer dagegen Baugrundstücke nur weiterverkauft, hofft auf eine Wertsteigerung ohne eigenes Zutun.“

Um eine Beschleunigung des Wohnungsbaus zu erreichen, schlägt Hendrik Treff eine zusätzliche Bauverpflichtung vor, welche an die Genehmigung geknüpft sein müsste. Zudem sollten Bauanträge von Vorhaben beschleunigt bearbeitet werden, wenn ein Weiterverkauf des noch unbebauten Grundstückes ausgeschlossen ist.

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