„Wenn man die Realität zu lange leugnet, tritt sie einem die Tür ein“

„Wenn man die Realität zu lange leugnet, tritt sie einem die Tür ein“

„Wenn man die Realität zu lange leugnet, tritt sie einem die Tür ein“

Ulf Poschardt, Herausgeber der WELT, ist in Berlin zu Gast im Roofer’s Club, einem Netzwerk für Betriebe aus dem Dachhandwerk. Eine persönliche Nachbetrachtung.

Agentur

Ein Satz von Ulf Poschardt, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Ich habe ihn beim Jahresempfang des Roofer’s Clubs in Berlin gehört – und sofort an meinen Vater gedacht. Er ist 76, hat sich mit 60 noch selbstständig gemacht, bis weit über 70 gearbeitet. Und stellt mir, jeden Sonnabend beim Frühstück, dieselbe Frage: „Was soll nur aus der Wirtschaft werden?“

„Als Unternehmer kannst du die Realität nicht leugnen, sonst bist du pleite“, sagt Ulf Poschardt. „Es wird immer mehr zum Problem, wenn Politik und Medien die Realität verlieren und nur noch Leute in der eigenen Blase relevant sind.“ Moral sei der neue Maßstab und nicht die Wirkung. Während das Handwerk mit jeder Baustelle Wirklichkeit gestalten muss, inszeniert sich ein Teil der Gesellschaft als moralische Instanz.

Er selbst habe zwei linke Hände – gerade deshalb bewundere er das Handwerk. „Ihr seid die Allerbesten“, ruft er den Zuhörern zu. Denn wer im Handwerk arbeitet, kann sich keine Illusionen leisten. Jeder Handgriff zählt. Jeder Fehler fällt auf. Jeder Auftrag ist Realität. „Jeder Handwerker ist stolz darauf, dass er keinen Scheiß abliefert.“

Die Realität, sagt Ulf Poschardt, werde in der politischen Debatte zunehmend ausgeblendet: „Wenn man die Realität zu lange leugnet, tritt sie einem die Tür ein.“ So vermisst er in den neuen Plänen der kommenden Regierung eine Strukturreform, klare Prioritäten, wieder ein Gefühl dafür, wie Wertschöpfung funktioniert. „Der Staat hat zu viel Geld, und er macht Dinge, die er nicht kann – die keinen Sinn machen.“ Statt Realismus gebe es Wunschdenken. Statt Ergebnis zähle Gesinnung. „Theorie ist das eine, Praxis das andere.“

Ulf Poschardt beschäftigt sich in seinem Buch genau damit, er nennt diesen Teil der Gesellschaft – für provokative Texte ist er bekannt – „Shitbürgertum“. Auf dem Klappentext zu lesen: Macht kaputt, was euch kaputt macht. Gemeint sind Menschen, die sich auf ein Podest stellen und belehren. „Sie glauben, dass sie die Moral für sich gepachtet haben.“ Klappradphilosophie nennt er das.

Die Geschichte vom ewigen Wachstum, von der Friedensdividende, vom unerschütterlichen Wohlstand – sie trägt nicht mehr. „Wir hören langsam auf, uns etwas vorzumachen.“ Sein Appell: Die Dinge wieder beim Namen nennen. Andersdenkende nicht zum Schweigen bringen. Und vor allem: Nicht länger so tun, als würde alles schon gut gehen. Denn das tut es nicht mehr. „Meine Wahrnehmung ist, dass es nicht mehr sehr lange gut gehen wird mit dem Land, wenn wir so weitermachen.“ Und gleichzeitig: „Das Gute daran ist – wir sind am Ende unserer Illusionen angekommen.“ Eine Chance?

Ulf Poschardt sieht die Spaltung der Gesellschaft erst am Anfang. „Wir brauchen dringend einen Realitätscheck, so, wie er in anderen Ländern wie Finnland oder Dänemark derzeit stattfindet.“ Es könne nicht sein, dass diejenigen, die die Realität ansprechen, diffamiert werden. Ulf Poschardt gibt dazu gleich noch einen Lesetipp: Thilo Sarrazin mit „Deutschland schafft sich ab“. Darin sei so ziemlich alles richtig. Auch Thilo Sarrazin zähle zu denen, die „gesilenct“ worden. Was in einer solchen Situation zu tun sei? Da spiegelt sich die Hilflosigkeit dann auch bei Ulf Poschardt wider. Sagen, was man denkt, „Andersdenkende nicht silencen“, die Situation nicht schönreden. Vielleicht: Make Economy great again.

Natürlich muss es in dieser Runde auch um die Bundestagswahl gehen. Für den Satz „Ich wähle Friedrich Merz und bekomme Saskia Esken“ erfährt Ulf Poschardt zustimmendes Nicken. Das wäre in etwa so, wenn man einen Dachdecker bestelle und ein Fliesenleger vor der Tür stehe. Obwohl dieser Vergleich hinke, denn er wisse nicht, was Saskia Esken könne, bei einem Fliesenleger wisse er das schon. Und was bleibt? Ein vages Unbehagen, auch bei ihm. „Ich hätte mir wirklich eine gute Regierung gewünscht – nach dem Ampelmist.“

Ich höre zu – und denke an meinen Vater. Daran, wie sehr er sich erfolgreiche Wirtschaft wünscht, in einer Realität, die ernst genommen wird. Und daran, dass er mir, auch kommenden Sonnabend, wieder diese Frage stellen wird: „Was soll nur aus der Wirtschaft werden?“

Mit dem Roofer’s Club hat sich ein Netzwerk für Betriebe aus dem Dachhandwerk vor anderthalb Jahren gegründet, das den fachlichen Austausch sowie die öffentliche Sichtbarkeit der Branche fördern möchte. Im Mittelpunkt stehen Dachdecker-, Zimmerer- und Bauspenglerbetriebe, die sich in einem vertraulichen Rahmen zu technischen, organisatorischen und wirtschaftlichen Fragen austauschen. Das privatwirtschaftlich organisierte Format versteht sich dabei nicht nur als Plattform für Wissenstransfer, sondern auch als Initiative zur Stärkung des handwerklichen Selbstverständnisses. Ziel ist es, die Zusammenarbeit innerhalb der Branche zu intensivieren, gemeinsam Herausforderungen anzugehen und neue Lösungsansätze zu entwickeln. Dabei spielt der direkte, persönliche Kontakt eine zentrale Rolle – sei es bei Fragen zu Arbeitsabläufen, Materialeinsatz oder neuen Technologien. Zu dem Engagement zählt auch ‚Die Dachkrone: Der Deutsche Dachpreis - The German Roofer Award‘.

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