„Wohnungsbau auf der Resterampe“

„Wohnungsbau auf der Resterampe“

„Wohnungsbau auf der Resterampe“
Quelle: Geralt / Pixabay

Elf Seiten: Sie lassen hinreichend Spielraum für Ableitungen, Forderungen und Analysen. Das Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD hat verschiedene Reaktionen hervorgerufen, die Einigung mit Bündnis 90/Die Grünen ist geschafft. IMMOBILIEN AKTUELL fasst zusammen.

IMMOBILÉROS - Der Podcast für die Immobilienbranche

Zu den Fakten: CDU und SPD einigten sich auf ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur, das über zehn Jahre ausgeschöpft werden soll. Darüber hinaus sollen Verteidigungsausgaben, die über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Beide Vorhaben werden über eine Grundgesetzänderung verabschiedet, die vorsieht, dass Sondervermögen von der Schuldenbremse ausgeschlossen werden können. Dies soll noch mit dem derzeitigen Bundestag umgesetzt werden. Auf Druck der Grünen fließen zudem 100 Milliarden Euro in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds. Schwammiger wird es im Sondierungspapier beim Thema Investitionen hebeln: „Zur Vergabe von Eigen- und Fremdkapital bei Investitionen wollen wir im Zusammenspiel von öffentlichen Garantien (zum Beispiel KfW) und privatem Kapital Investitionsfonds auflegen, unter anderem für Venture Capital, Wohnungsbau und Energieinfrastruktur.“ Wie üblich wird auch ein Punkt dem Bürokratieabbau gewidmet. Das Thema Wohnen findet immerhin statt, allerdings eher über die üblichen Floskeln. Es müsse für alle Menschen "bezahlbar, verfügbar und umweltverträglich“ gestaltet werden. Immerhin: Eigentum und Mietwohnung werden als gleichwertig angesehen. Der Gebäudetyp E soll kommen, Standards vereinfacht und die Mietpreisbremse um zwei weitere Jahre verlängert werden.

Deutsche Wirtschaft schwächelt weiter

Immer noch schwächelt die deutsche Wirtschaft, Experten sehen ein weiteres Jahr Stagnation. Politische Unsicherheit durch die vorgezogenen Bundestagswahlen, aber auch die weltweiten handels- und geopolitischen Unwägbarkeiten treffen die deutsche Wirtschaft in einer fragilen Lage. „Die geplanten Investitionen bleiben aber auch trotz ihrer positiven Effekte auf die Wirtschaft nicht ohne Nebenwirkungen, denn derartige Geldmengen werden die Inflationsdynamik sehr wahrscheinlich positiv beeinflussen, womit die laufende Zinswende ausgesetzt werden könnte“, so Kurt Neuwirth von Neuwirth Finance in seinem Zinskommentar. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) rechnet erst 2026 mit einer Erholung der Wirtschaft. Noch immer entwickelt sich der private Konsum – trotz steigender Reallöhne – schwächer als erwartet. Viele halten angesichts der angespannten weltpolitischen Lage und den Sorgen um den Arbeitsplatz ihr Geld zusammen. „Der Verlust der USA als verlässlicher politischer Partner stellt die künftige Bundesregierung vor große Herausforderungen und verschärft insbesondere für die exportorientierten Unternehmen die ohnehin schwierige Lage“, sagt DIW-Konjunkturchefin Geraldine Dany-Knedlik. Und ergänzt: „Das geplante Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen könnte im kommenden Jahr für einen deutlich stärkeren Wirtschaftsaufschwung als prognostiziert sorgen.“

Auch Prof. Dr. Tobias Just (FRICS), Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie und Lehrstuhlinhaber für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg, hat das Paket und seine Auswirkungen analysiert. Die Zinssenkungshoffnungen könnten 2025 enttäuscht werden. „Die zu erwartende Schuldenaufnahme wird die Schuldengrenze in kurzer Zeit – natürlich nicht im Wochentakt, sondern über Jahre aufbauend – pulverisieren. 80 Prozent, vielleicht sogar 90 Prozent und mehr werden das neue 60 Prozent sein. Tatsächlich sind die Anleihezinsen für zehnjährige Bundesanleihen binnen zwei Tagen um 30 Basispunkte nach oben geschnellt. Und weil Bauzinsen viel enger an den langfristigen Anleihezinsen als am kurzfristigen Refinanzierungszinssatz hängen, ist dies keine gute Nachricht für Immobilienmärkte.“

Immobilienbranche reagiert nicht geschlossen

Natürlich haben auch die einzelnen Verbände und Institutionen der Immobilienwirtschaft auf den möglichen Kapitalboost reagiert. Dabei legt jeder Wert auf seine Interessen, die Immobilienbranche tritt nicht geschlossen mit Forderungen auf. Der ZIA zeigt sich erfreut über das ausdrückliche Bekenntnis zur Gleichwertigkeit von Miet- und Eigentumswohnungen im Sondierungspapier, auch Dr. Wulff Aengevelt, geschäftsführender Gesellschafter von Aengevelt Immobilien, hebt diesen Punkt in einem Statement besonders hervor. Der BVI Bundesfachverband der Immobilienverwalter e. V. fordert praktikable Leitlinien für energetische Sanierungen, so BVI-Präsident Thomas Meier. „In den Ballungsräumen fehlen Hunderttausende Wohnungen, doch in den Sondierungen wurde das Thema Wohnungsbau auf die Resterampe geschoben“, kritisiert IVD-Präsident Dirk Wohltorf.

Der BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen sieht in dem Sondierungspapier einen „Meilenstein“. Diese Einigung treffe in vielen Punkten den Nagel auf den Kopf und helfe den Wohnungsmangel sukzessive abzubauen. „Das enorme Volumen an Schulden kann zu einem Anstieg der Bauzinsen führen – das ist die Kehrseite der Medaille“, so BFW-Präsident Dirk Salewski. „Der Investitionsfonds setzt ein mutiges Zeichen die Wohnungsbaukrise endlich effektiv anzugehen. Es enthält ein klares Bekenntnis zu unserem Handwerk und Mittelstand.“ Das Verbändebündnis Wohnungsbau – zu dem beispielsweise die Bau-Gewerkschaft (IG BAU), der Deutsche Mieterbund (DMB), der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB), die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) sowie der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) gehören – kritisiert, dass der Wohnungsbau in dem Sondierungspapier der drei Parteien vernachlässigt worden sei. „Die wirtschaftliche Bedeutung, die der Wohnungsbau als Motor für die Binnenkonjunktur hat, muss sich im Koalitionsvertrag widerspiegeln. Vor allem aber auch die soziale Brisanz, die in der Wohnungsnot in Deutschland steckt“, heißt es in einem Statement. „Alles andere wäre grob fahrlässig und verantwortungslos.“ Der Wunsch nach einem Bauturbo wird zum wiederholten Male geäußert.

Mietpreisbremse weiter in der Kritik

Der ZIA reagiert kritisch auf die geplante Verlängerung der Mietpreisbremse um zwei Jahre. Laut IVD sei sie ein Instrument, das in den letzten zehn Jahren bewiesen hat, dass es seine Wirkung verfehlt, weiter heißt es: "Zwar will man an die Standards heran, was gut ist. Doch von den Klimazielen will man keinen Millimeter abrücken. Das Heizungsgesetz, dessen Änderung sich die Union groß auf die Fahne geschrieben hat, findet gar keine Erwähnung. Stattdessen setzt man auf den Gebäudetyp E – eine Sackgasse, in der man bereits in der letzten Legislaturperiode steckengeblieben ist.“ Auch der BFW sieht in der Verlängerung eine Verschärfung der Probleme. Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW warnt vor einer Überregulierung im Mietrecht, die zunehmend die wirtschaftliche Tragfähigkeit der sozial orientierten Wohnungsunternehmen bedroht. 

Ein in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zeigt: Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums sind überschritten, wenn regulatorische Maßnahmen die Privatnützigkeit des Eigentums gefährden. Eigentum müsse rentabel bleiben, heißt es darin. Und weiter: „Das ist der Inbegriff der Privatnützigkeit. Die verfassungsrechtlichen Grenzen werden aber dort überschritten, wo Regelungen in ihrer Gesamtheit nicht mehr zumutbar sind und das Eigentum übermäßig belasten.“ Aufgrund der derzeitigen Miethöhenregulierung sowie den steigenden Anforderungen an die energetische Sanierung sei ein wirtschaftliches Handeln nicht gesichert. „Schon jetzt werden aufgrund des wirtschaftlichen Drucks Instandhaltungsmaßnahmen verschoben und Investitionen auf das Notwendigste beschränkt.„Wohnungsunternehmen müssten zur Erreichung der Klimaschutzziele ein Vielfaches von dem aufwenden, was sie aus eigener Kraft aufbringen können. Die Ziele sind damit in der Praxis nicht erreichbar“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des GdW. Weiterer Kritikpunkt: die Kappungsgrenzen bei Modernisierungen. „Die Zwei-Euro-Grenze bei der Modernisierung hat sich angesichts massiv gestiegener Baukosten real auf rund 1,45 Euro reduziert. Eine wirtschaftlich tragfähige Modernisierung ist unter diesen Voraussetzungen kaum mehr darstellbar“, betont Axel Gedaschko.