Die Reparatur der historischen Mitte hinterm Roten Rathaus ist eines der wichtigsten Bauprojekte der Hauptstadt. Peter Dobrick vom Berliner Ortsverband des Stadtbild Deutschland e.V. spricht mit IMMOBILIEN AKTUELL über die Forderung, ein Leitbauten-Konzept für den Molkenmarkt zur Chefsache zu machen.
Am Molkenmarkt tut sich was. Die Straßenführung wurde verändert, hinter den Bauzäunen sind die Archäologen am Werk und graben nach Zeugnissen eines Platzes, dessen Geschichte bis ins Mittelalter reicht. Ihr Verein hat sich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen an Vertreterinnen und Vertreter der zukünftigen Berliner Regierungsparteien gewandt und fordert, ein Leitbauten-Konzept für die Neubebauung am Molkenmarkt im Koalitionsvertrag zu verankern. Gibt es bereits eine Reaktion?
Peter Dobrick: Wir haben 16 Briefe an Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen geschrieben, aber von den Adressaten noch keine Antwort erhalten. Ich gehe davon aus, dass sie im Augenblick noch mit anderen Fragen beschäftigt sind, hoffe aber, dass sie die Briefe lesen und die Argumentation des Vereins angenommen wird. Franziska Giffey hat kürzlich in einem Podiumsgespräch gesagt, dass sie sich Leitbauten am Molkenmarkt vorstellen könne.
Droht ein „gesichtsloses Quartier“ am Molkenmarkt?
Auf dem Areal des einstigen Molkenmarkts soll ein neues Wohnquartier mit preisgünstigen Mieten entstehen. In einem ersten Schritt wurden acht Leitlinien für die neue Bebauung erarbeitet. Was ist das Problem?
Peter Dobrick: Es besteht die Gefahr, dass dort trotz der Leitlinien ein gesichtsloses Quartier mit einem Durcheinander aus Hausriegeln mit Flachdächern gebaut wird. Die Häuser stellen keinen Bezug zur Geschichte des Ortes her, könnten überall stehen. Was dort am Ende tatsächlich gebaut wird, das entscheidet sich in dieser Legislaturperiode. Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen haben sich wiederholt öffentlich für ein Wohnviertel mit moderner Architektur und gegen ein Leitbauten-Konzept wie in Potsdam oder Frankfurt am Main ausgesprochen. Das steht im Gegensatz zum Votum einer deutlichen Mehrheit der Teilnehmer bei der digitalen Bürgerbeteiligung, die im August 2020 publiziert wurde.
Diese haben sich für ein Quartier mit kleinteiligen Parzellen, regionaltypischen Baumaterialien, für Schrägdächer und für die Rekonstruktion wichtiger historischer Gebäude auf dem Areal ausgesprochen. Dazu könnten zum Beispiel der Jüdenhof, Gebäude des Grauen Klosters, vielleicht das barocke Palais Kreutz und der für die Architektur der Moderne wegweisende Schinkelbau der Gewerbeakademie gehören. Bei den Leitlinien des Senates, die im Mai 2021 veröffentlicht worden sind, wurden keine Empfehlung zur architektonischen Gestaltung oder für ein Leitbauten-Konzept gegeben, obwohl dies mehrheitlich von den Teilnehmern der Bürgerbeteiligung gewünscht wurde.
Was unterscheidet den Molkenmarkt von anderen Bauvorhaben in der Innenstadt?
Peter Dobrick: Das Areal ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Alexanderplatz und Spree. In der direkten Nachbarschaft befinden sich das Rote Rathaus und das Nikolaiviertel, das bereits zu DDR-Zeiten auf dem nahezu mittelalterlichen Grundriss errichtet worden ist und für Berliner und Touristen ein Anziehungspunkt ist.
Und was spricht für ein Leitbauten-Konzept?
Peter Dobrick: Leitbauten-Quartiere stellen einen für jeden Besucher ohne weiteres erkennbaren Bezug zur Geschichte des Ortes her. Sie ermöglichen Erinnerung und Identifikation, sowohl für die Bewohner der ganzen Stadt, als auch für Besucher. Leitbauten sind die nachhaltigste Art der Bebauung. Es handelt sich dabei um bereits sicher wertgeschätzte Baukunst, die nicht nach ein bis zwei Generationen wieder abgerissen wird. Viertel mit Leitbauten sind ein Modell für die Ewigkeit, da sie nach einigen Jahren wieder als zur historischen Innenstadt gehörend empfunden und auf Grund ihrer baukulturellen Qualitäten dauerhaft wertgeschätzt werden. Quartiere mit Leitbauten sind beliebte Orte für Kultur und Gastronomie und ein wirtschaftlicher Gewinn für eine Stadt, wie man in Frankfurt und Dresden sehen kann.
Wiederlebbarkeit von Geschichte im Fokus
Steht Ihr Vorschlag für die Sehnsucht nach Heilung von Wunden des Zweiten Weltkrieges?
Peter Dobrick: Es geht natürlich um das Heilen einer städtebaulichen Wunde. Das würde aber ebenso moderne Architektur leisten. Ausschlaggebend für ein Leitbauten-Konzept ist die Wiederlebbarkeit von Geschichte, um die Identifikation und Unverwechselbarkeit des bedeutenden Ortes der Stadt. Wir sprechen uns nicht gegen moderne Fassaden aus – alle Bauten in dem Quartier, die keine Leitbauten sind, könnten mit modernen Fassaden gestaltet werden, solange sie bestimmte historisch begründete Baumerkmale aufweisen: regionaltypische Putzfassaden, Dreiteilung der Fassade in Sockelzone, Mittelteil und Dachzone mit unterschiedlich geneigten Schrägdächern. Dies wurde beim Potsdamer Leitbauten-Konzept so gemacht. Eine Dachbegrünung, wie sie im Bebauungsplan gefordert ist, lässt sich mit Schrägdächern realisieren. Und zwar mit Blenddächern, hinter denen ein Großteil der Dachfläche begrünbar ist.
Sie sind Arzt, in ihrem Verein engagieren sich Bürger, die sich für Baukultur und Stadtplanung interessieren. Haben Sie Unterstützer, über ihren Kreis hinaus?
Peter Dobrick:Wir sind nicht die ersten und nicht die einzigen, die an dem Thema dran sind. Bereits 2019 hat die Planungsgruppe Stadtkern um Lutz Mauersberger und Benedikt Goebel „Empfehlungen für Leitbauten“ publiziert: Mindestens 15 Gebäude kämen dafür infrage. Allerdings befürworten sie die Leitbauten-Rekonstruktion nur am exakten historischen Standort. Das wirft infolge der geänderten Straßenführung am Molkenmarkt das Problem auf, dass die aus unserer Sicht bedeutendsten Leitbauten nur transloziert rekonstruiert werden könnten. Wir plädieren deshalb dafür, die Frage nach dem Wo weniger streng zu beantworten. Aus unserer Sicht wäre es hier sinnvoll, Leitbauten geringfügig zu translozieren, also auch bis zu 200 Meter vom ursprünglichen Standort entfernt wieder aufzubauen. Zu DDR-Zeiten wurden ebenfalls zerstörte Baudenkmale transloziert, so das Ephraim-Palais, die Gaststätte Zum Nußbaum, das Ermelerhaus.
Es scheint festzustehen, dass auf dem Areal keine privaten Investoren bauen sollen, sondern in erster Linie zwei landeseigene Wohnungsunternehmen.
Peter Dobrick: Die Planungsgruppe Stadtkern hat eine Petition gestartet, die die Vergabe von städtischen Baugrundstücken am Molkenmarkt als Pacht an Baugruppen und andere private Bauherren empfiehlt. Aus der SPD wurde jedoch bereits verlautet, dass es mit ihr keine Rückprivatisierung von städtischem Grund mehr geben wird. Wir vom Berliner Ortsverband von „Stadtbild Deutschland“ würden diesen Vorgang für zu komplex und langwierig ansehen. Im Prinzip ist es doch nicht ausgeschlossen, dass städtische Wohnungsbaugesellschaften hochwertige Architektur und Leitbauten realisieren, das ist letztlich eine Frage des Willens und hat in Potsdam am Alten Markt mit der Konzeptvergabe funktioniert. Kommunale Berliner Wohnungsbaugesellschaften haben in der Weimarer Republik bewiesen, dass sie architektonisch anspruchsvollen Wohnungsbau realisieren können, auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Warum sollen die WBM und die degewo das heute nicht können? Kommunale Wohnungsunternehmen können dazu dafür garantieren, dass der Wohnraum dauerhaft fair und zu bezahlbaren Mieten vergeben wird.
Die Politik muss es wollen
Die Rekonstruktion historischer Bauten ist teuer. Das nun fertige Stadtschloss hat es mal wieder gezeigt. Was schlagen Sie zur Finanzierung vor?
Peter Dobrick: Es geht am Molkenmarkt ja nicht um prunkvolle Bauten. In Potsdam wurden für die höheren Baukosten der Leitbauten städtebauliche Fördermittel des Landes Brandenburg verwendet. Auch in Berlin könnte man sich um Fördermittel bemühen, etwa des Bundes oder der EU. Aber man muss dafür natürlich Anträge stellen, muss es letztlich wollen und sollte sich nicht hinter dem Kostenargument verstecken. Für ein Leitbauten-Konzept ist allerdings der dezidierte politische Wille und die Fürsprache des Senates erforderlich, und darum werben wir nun. Von selbst wird es das am Molkenmarkt nicht geben, es muss idealerweise ein gemeinsamer Beschluss der Regierungsparteien sein und im Koalitionsvertrag festgeschrieben werden.
Wie geht es jetzt weiter?
Peter Dobrick: Wir hoffen, dass unsere Briefe Beachtung finden, und überlegen dann, wie wir uns weiter einsetzen könnten. Wir gehen davon aus, dass eigentlich eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner unseren Vorschlägen zustimmen würde. Wir halten sie für weniger polarisierend als beim Stadtschloss, da es nicht um Repräsentationsbauten geht, sondern um eher schlichte, aber schöne und wertvolle historische Häuser. Es müsste eine Gestaltungskommission eingerichtet werden, zusammengesetzt aus Bürgern, Architekten, Architekturhistorikern und Denkmalexperten, die darüber mitentscheidet, welche Kriterien für die Gestaltung der Neubebauung am Molkenmarkt vorgegeben und welche Leitbauten vorgesehen werden.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen, sie stellen sie sich das Leben auf dem neuen Molkenmarkt eines Tages vor?
Peter Dobrick: Ich stelle mir einen lebendigen und unverwechselbaren neuen Teil der Berliner Innenstadt vor, mit viel Kultur und Gastronomie, der für Einheimische und Touristen gleichermaßen attraktiv ist. Ein Ort mit belebter Baukultur, der Erinnerung und Identifikation möglich macht und dem bedeutenden historischen Ort würdig ist.