Eine Entspannung am Immobilienmarkt in Berlin ist nicht in Sicht. Die IMMOCOM-Veranstaltung stand im Zeichen der Extreme von Wohnungsmangel und Boom, Pandemie, Regulierung und Enteignung. Der Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) erklärte seine Vision für die Hauptstadt und kündigte eine Wohnungsbauförderung in Höhe von 740 Millionen Euro an.
„Wohnungsbau hat Vorrang. Das steht im Koalitionsvertrag. Wir meinen das auch so“, sagte Andreas Geisel (SPD) beim traditionellen Berliner Immobiliengespräch von IMMOCOM mit Nachdruck. „Ich weiß, dass in den vergangenen Jahren viel Porzellan zerschlagen worden ist.“ Aber der Berliner Wohnungsmarkt und Investitionen in selbigen haben eine Zukunft.
Die Aussagen des neuen Berliner Senators für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen verdeutlichen die aktuelle Lage. Unter der vorrangegangenen Rot-Rot-Grünen Berliner Landesregierung ist das Vertrauen der Immobilienwirtschaft in die Politik verloren gegangen, umso dringlicher wird von beiden Seiten ein Neustart erhofft. Mit Interesse verfolgte das Publikum im Mercure Hotel MOA Berlin seine Äußerungen in einem Solopanel und den Schlagabtausch der Immobilienprofis im Podium eines weiteren Panels:
- Susanne Klabe, Geschäftsführerin BFW Landesverbandes Berlin/Brandenburg,
- Dr. Jürgen Leibfried, Gründer und Vorstand BAUWERT AG.
- Jürgen Michael Schick, Präsident Immobilienverbandes IVD Bundesverband,
- Jenny Stemmler, Leiterin Immobilien Region Ost bei Lidl in Deutschland und
- Christopher Weiß, Gründer und Geschäftsführer Glockenweiß GmbH.
Berliner Immobilienbranche zwischen den Extremen
Die Moderation der Veranstaltung hatte kurzfristig IMMOCOM-Geschäftsführer Michael Rücker übernommen, nachdem Markus Weigold von Partner Drees & Sommer SE eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn wegen Erkältungssymptomen hatte absagen müssen. Noch immer ist wegen der Pandemie kein „business as usal“ möglich. Trotz allem ist persönlicher Kontakt und Erfahrungsaustausch gewünscht, wie die Veranstaltung gezeigt hat. Zwei Themen standen auf der Tagesordnung: „Luxus, Pandemie, Protest, Boom, Wehklagen: Berliner Immobilienbranche zwischen den Extremen“ und „Vision für Berlin: Senator Geisel stellt sich der Immobilienbranche“.
Susanne Klabe vom BFW skizzierte die aktuelle Situation: Sie wohnt selbst zur Miete und hat die Erfahrung gemacht, dass vieler ihrer Nachbarn jahrelang sechs Euro Miete pro Quadratmeter bezahlt haben und nun entsetzt darüber seien, dass die Mieten steigen. „Das komplexe Produkt der Immobilie verstehen viele Menschen nicht.“ Kann also das „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“ für Entspannung auf dem Berliner Wohnungsmarkt sorgen? Erste Treffen der Akteure aus Politik und Wirtschaft haben bereits stattgefunden. Susanne Klabe erklärte dazu kritisch: „Wir hätten uns die Bündnisgespräche gewünscht, die als Arbeitsbündnis funktionieren, um die wirklich dicken Bretter bohren zu können. Im ersten Schritt geht es nur darum ein Mindset zwischen den Beteiligten zu schaffen.“
Weitere Immobilien-Events der IMMOCOM
Das Gespenst von der Enteignung geht um...
Der Erfolg der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ zeigt, dass viele Berliner weniger auf Neubau setzen, sondern an einen Stopp der Mietpreisentwicklung durch Verstaatlichung der Wohnungsbestände glauben. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart hat die neue Landesregierung inzwischen eine Expertenkommission eingesetzt, die prüfen soll ob und wie der Volksentscheid umgesetzt werden kann. Der BAUWERT-Vorstand Dr. Jürgen Leibfried betonte mit Blick darauf: „„Es ist den Leuten nicht klar, wie viele Milliarden Enteignungen kosten würden.“ Und das, ohne den Mangel an Wohnungen zu beheben, der extrem hohe Mieten erst möglich macht. Für Jürgen Schick vom IVD ist das Ja! zur Enteignung ein Grund zur Selbstkritik. „Wir müssen uns selbst ans Revers fassen: Wir haben keine Initiative gegen die Enteignung gesehen“, sagte er. „Wir haben mit unseren Argumenten die Stadtgesellschaft nicht erreicht.“
Für den Glockenweiß-Chef Christopher Weiß ist es an der Zeit wieder auf die Sachebene zurückzukehren und ins Arbeiten zu kommen. Beim Wohnungsbündnis seien gerade aktuelle Projekte präsentiert worden, über die Hälfte der Vorhaben mit mehr als 200 Wohnungen stünden auf Rot. Dass mehr gebaut werden muss, darin sind sich die Branchen-Vertreter und der Stadtentwicklungssenator einig.
Senator Geisel stellt sich der Immobilienbranche
Andreas Geisel betonte auf dem Podium im Interview mit Gerda Gericke von der Immobilienzeitung: „Wir werden den Wohnungsmarkt nur entspannen können, wenn wir bauen.“ Um den Neubau voranzubringen, werde der Senat ein Wohnungsbauförderprogramm in Höhe von 740 Millionen Euro auflegen. „Das soll so attraktiv sein, dass es in Anspruch genommen wird.“ Das ist bislang nicht der Fall.
Wie er sich das Wohnen in Berlin vorstellt? „Meine Vision ist schon, dass wir den Berliner Weg gehen, also, dass Menschen hier Wohnen können. Wir wollen Wohnen in der Stadt möglich machen. Ich bitte Sie, zu verstehen, dass Sie als Branche Akzeptanz brauchen in der Bevölkerung. Es wird ohne Akzeptanz nicht funktionieren. Sie hat in den vergangenen Jahren gefehlt. Das können wir nur zusammen wieder herstellen. Ich sage hier bewusst: wir.“ Zum Thema Enteignung erklärte er: „Ich denke nicht, dass alle, die für die Enteignung sind, das auch wollen. Sie wollten ein Zeichen setzen. Wir müssen das ernst nehmen."
Doch Wohnen ist nicht alles, darauf wies Jenny Stemmler hin, Leiterin Immobilien Region Ost bei Lidl in Deutschland. „Es wird jetzt sehr auf Wohnen fokussiert. Muss ich jetzt nur noch in Wohnen denken? Lebendige Quartiere fallen hinten runter.“ Eine Frage aus dem Publikum zielte in die gleiche Richtung: „Dreht sich alles nur noch um Wohnungen?“ Andreas Geisel antwortete: „Wir müssen es schaffen, Wohnen und modernes Arbeiten zu versöhnen, dann ist das ein Gewinn für die Stadt. Wir vermeiden damit auch einen Haufen Verkehr."
Susanne Klabe zog nach den ersten 100 Tagen des neuen Senats das Fazit: „Ich würde es mal mit dem Wetterbericht sagen: Es gibt einen Lichtstreif am Horizont. Ich traue dem noch nicht ganz, aber es gibt Gespräche mit dem Inhalt der Projektumsetzung." Als Zeichen für einen positiven Start wertet der BAUWERT-Vorstand Dr. Jürgen Leibfried, dass die Wohnungsbauleitstelle unter der neuen Regierung wieder arbeiten könne. „Das kann zu einem Schub bei den Neubauwohnungen führen.“