Bei ihrem Votum machte sie immer wieder deutlich, dass die Architektur für Menschen und nicht wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stünden. Nun wird die Schweizer Architektin und Stadtplanerin zum 31. Juli 2021 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die Stelle soll erst nach den Wahlen wiederbesetzt werden.
Die Nachricht war nüchtern formuliert, Gründe wurden nicht genannt. Die Pressestelle der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen gab lediglich bekannt, dass die Senatsbaudirektorin und Staatsekretärin Regula Lüscher in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird. Und das bereits zum 31. Juli 2021, kurz vor Ende der Legislaturperiode. „Die Stelle der Senatsbaudirektorin und Staatssekretärin soll erst nach den Wahlen wiederbesetzt werden. Die Stellvertretung ist sichergestellt“, hieß es in der Pressemitteilung.
Stadtspitze würdigt Regula Lüscher
Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin, wurde mit würdigenden Worten zitiert: „Als Stadtentwicklungssenator habe ich mit Regula Lüscher eine Senatsbaudirektorin an meiner Seite gehabt, die mit viel Erfahrung, Einfühlungsvermögen, kreativen Ideen auch für Prozesse der Beteiligung, viel Charme und Durchsetzungsvermögen in einem manchmal rauen Umfeld gezeigt hat, dass sie ihre Frau steht. Gerade in Berlin will das etwas heißen.“
Auch Sebastian Scheel, Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, lobte die Kollegin: „Die Zusammenarbeit mit Regula Lüscher habe ich immer als große Bereicherung empfunden. Sie hat in Berlin ihre Spuren hinterlassen, im Stadtbild und in unserer Verwaltung.“
Stadtplanerin mit klaren Worten
Die Schweizer Architektin und Stadtplanerin Regula Lüscher arbeitet seit 2007 für den Berliner Senat. In ihrem Schaffen orientierte sich die 59-Jährige am Bauhaus und dem Neuen Bauen der Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie plädierte für intensive Diskussionen und Transparenz von Entscheidungen. Ihr Wirken und ihre Ansichten stießen jedoch nicht nur auf Zustimmung. Die Bild titelte bereits wenige Monate nach ihrem Amtsantritt: „Frau Senatsbaudirektorin, Sie nerven uns.“ Sie lehnte historisierende Gebäude ab, auch eine bruchlose Rekonstruktion des Berliner Schlosses. Sie setzte eine moderne Gestaltung des Umfeldes durch.
Gern brachte sie ihre Meinung mit klaren Worten zum Ausdruck. So erklärte sie in einem Interview mit dem Tagesspiegel aus Anlass ihres Ausscheidens auf die Frage, zu ihren größten Niederlagen: „Das Meininger Hotel am Hauptbahnhof, das ist unterirdisch.“ Die Kritik an dem Bauprojekt habe dazu geführt, dass sie relativ früh aus dem Parlament und der Öffentlichkeit große Unterstützung für ihren Vorschlag bekommen habe, Wettbewerbe durchzuführen und ein Baukollegium zu etablieren. Dieses Gremium urteilt seit 2008 quasi als Service für die Bezirke über die Qualität von städtebaulichen Entwürfen und Architektur, was ihm den Vorwurf der Geschmackspolizei einbrachte. Denn dem Baukollegium kommt erhebliche Macht zu. Dessen Urteil werde in der Regel gefolgt, betonte die Senatsbaudirektorin.
Wohnen versus Arbeiten
Ganz deutlich machte Regula Lüscher immer wieder, dass bei ihrem Votum die Architektur für Menschen und nicht wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stünden. Das zeigte sich auch einen Tag vor Bekanntgabe ihres Ausscheidens auf der 87. Sitzung des Baukollegiums, auf dem ein Entwurf zum Gewerbeareal Behrensufer in Berlin-Schöneweide vorgestellt wurde. Die Planer sahen sich nach anderthalb Jahren intensiver Abstimmung mit dem Denkmalamt und dem Bezirk Treptow-Köpenick überraschend mit der Forderung konfrontiert, nicht nur Bürogebäude zu planen, sondern auch Wohnungen. Und das, obgleich der Flächennutzungsplan nur Gewerbe vorsieht.
Regula Lüscher erklärte, sie verstehe es als Aufgabe an den Senat, die Pläne entsprechend zu ändern. Dass der Investor das Gelände als Gewerbeareal gekauft hat, interessierte nicht. Ebenso lehnte das Gremium das Vorhaben eines Investors ab, auf dem Grundstück Mollstraße 4 ein Bürogebäude zu bauen und dafür den Wohnblock aus DDR-Zeiten abzureißen. Als Begründung verwies Regula Lüscher unter anderem auf die „kulturelle Nachhaltigkeit“ und einen Paradigmenwechsel bei der Beurteilung der DDR-Nachkriegsmoderne: Das Bestandsgebäude sei ein identitätsstiftender Faktor. Das Gremium plädierte für einen Erhalt als Wohngebäude. Gerade in der Innenstadt werde Raum für preiswertes Wohnen gebraucht.
Abschied mit weinendem Auge
Zu ihrem unerwarteten Abschied sagte sie: „Ich bin sehr stolz, was ich mit und für die Menschen, die Baukultur und die Stadt Berlin erreicht habe.“ Sie beende ihre Tätigkeit in dem faszinierenden Amt mit mehr als einem weinenden Auge. „Ich gehe aber auch in freudiger Erwartung auf das, was jetzt kommt. Bis Ende Juli übe ich meine Arbeit mit ungebrochen großer Motivation und täglicher Freude aus.“ Warum sie nicht bis zu den Wahlen am 26. September im Amt bleibt, erklärte sie nicht.
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