Die Vergesellschaftung von großen Wohnungsbeständen gerät in der Hauptstadt erneut zum Wahlkampfthema. Laut eines unautorisierten Vorentwurfes zu einem Zwischenbericht der Expertenkommission soll eine Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände in Berlin möglich sein. Die Argumente der Wohnungswirtschaftler über mögliche negative Folgen wurden angehört, ohne Gehör zu finden.
Am 9. Dezember 2022 hat eine erneute öffentliche Anhörung von Sachverständigen vor der Expertenkommission zur Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände in Berlin stattgefunden. Das Thema lautete Bewirtschaftung von Wohnimmobilien und Auswirkungen einer Vergesellschaftung auf den Berliner Wohnungsmarkt. Zeitgleich nahm die Berliner Morgenpost Bezug auf einen unautorisierten Vorentwurf eines Zwischenberichtes der Expertenkommission, der der Redaktion zu diesem Zeitpunkt exklusiv vorlag. Fazit: „Sowohl die Landeskompetenz für ein entsprechendes Gesetz als auch die Finanzierbarkeit eines solchen Schrittes, der in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bislang ohne Beispiel ist, sehen die Experten demnach als gegeben an.“
Schätzung der Entschädigungszahlung zu hoch
Am gleichen Tag druckte auch der Tagespiegel einen Beitrag zu Vergesellschaftung. Darin erklärte der Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne), dass die Kostenschätzung für eine Entschädigung im Rahmen einer Vergesellschaftung nicht mehr up to date sei. Wegen der Zinsentwicklung hätten die zu vergesellschaftenden Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen, wie die Vonovia, an Wert verloren. Die Schätzung von 29 bis 39 Milliarden Euro sei überholt. Zitiert wurde ebenfalls die Stadtforscherin und Kommissionsmitglied Susanne Heeg, die für eine Vergesellschaftung argumentiert und das Ergebnis der Expertenkommission vorwegnehmend erklärte, nur eine Minderheit der Kommissionsmitglieder werde gegen eine Vergesellschaftung votieren.
Szenarien mit Durchschnittsmiete von 6,39 Euro
Die öffentliche Anhörung der Sachverständigen zu den Folgen der Vergesellschaftung für die Wohnungswirtschaft konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Meinungsbildung beigetragen haben. Geladen waren dazu drei Verfechter der Vergesellschaftung, aber auch zwei Experten, die sich gegen eine sogenannte Vergesellschaftung aussprechen und vor den Folgen warnen. Die Kommission hat nicht nur zu klären, ob eine Vergesellschaftung sinnvoll, mit den Gesetzen vereinbar und finanzierbar ist, sondern ob es auch mildere Mittel gibt, um das gewünschte Ziel zu erreichen: die ausreichende Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit bezahlbaren Wohnungen.
Als Verfechter der Vergesellschaftung war unter anderem der linke Sozialwissenschaftler Andrej Holm geladen. Er präsentierte zwei Szenarien, nach denen eine Übernahme aller Wohnungsbestände großer privater Wohnungsunternehmen in die Hand der landeseigenen Unternehmen zum schlagartigen Sinken der Durchschnittsmiete auf 6,39 Euro pro Quadratmeter oder zumindest zu einer Stabilisierung bei 7,63 Euro führen würde – und das bis 2030. Der Anteil belegungsgebundener Wohnungen könne um 58.000 Wohnungen erhöht werden.
Etwa 45 Prozent des Berliner Marktes in gemeinwohlorientierter Hand
Für die 340 Wohnungsunternehmen, die im Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. (BBU) organisiert sind, sprach deren Vorständin Maren Kern. Mitglied im Verband sind neben den landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) auch viele Genossenschaften sowie kirchliche und private Unternehmen wie die Vonovia. Die Bestände mit 753.000 Wohnungen bilden rund 45 Prozent des Berliner Marktes ab. Insgesamt befänden sich in Berlin bereits 40,5 Prozent der Wohnungen in gemeinwohlorientierte Hand: 380.000 in städtischem und staatlichem Eigentum, 194.000 gehören Genossenschaften, 20.000 gemeinwohlorientierten Privaten wie der Stadtmission, 72.600 Wohnungen seien sonstige sozial gebundene oder geförderte Wohnungen.
„Mir ist wichtig darauf hinzuweisen, dass wir eine stabile Mietenentwicklung haben“, erklärte Maren Kern. Die Statistik von 2015 bis 2021 zeige nirgendwo eine Explosion. „Das ist eine kontinuierliche Steigerung.“ Maren Kern stellte noch einmal die Entwicklung der Mieten zu anderen Positionen im vergangenen Jahr dar. Während die Nettokaltmieten um rund ein Prozent nach oben gegangen sind, haben sich die Verbraucherpreise um 2,8 Prozent, die Bruttoeinkommen um 3,8 Prozent und die Baupreise für Instandhaltung um 7,8 Prozent und für Neubau um 9,1 Prozent erhöht. Das Fazit lautet: „Die Mieten entwickeln sich extrem schwach.“ Das soziale Mietrecht wirke bereits mietpreisdämpfend.
Auf Basis der bisherigen Rahmensetzungen und im Rahmen des Bündnisses für Neubau würde zudem innerhalb der nächsten zehn Jahre der Anteil geweinwohlbewirtschafteter Bestände in Berlin planmäßig auf 45 Prozent wachsen. Die im Bündnis für Neubau vereinbarten Maßnahmen zeigten einen wirksamen Weg, um Entlastung auf dem Berliner Wohnungsmarkt zu schaffen. „Eine Enteignung, wie sie hier angedacht ist, wird den Markt definitiv nicht entlasten. Wir werden durch eine Enteignung den notwendigen Neubau dieser Stadt nicht voranbringen.“
„Berliner Markt entspricht Polypol“
Mit einem Kurzvortrag in Sachen Immobilienwirtschaft versuchte Jörn von der Lieth, Geschäftsführer der Hilfswerk-Siedlung GmbH, den Kommissionsmitgliedern einen Einblick in die Mietpreiskalkulation, Marktmechanismen und das starke soziale Mietrecht in Deutschland zu geben. Der Berliner Wohnungsmarkt mit seinen vielen Akteuren entspräche volkswirtschaftlich einem Polypol. „Das ist eigentlich idealtypisch.“ Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind für alle gleich. Er hat untersucht, ob die Anzahl der Wohnungen eines Unternehmens ein Hinweis darauf sein kann, ob es sich um einen guten oder schlechten Vermieter handelt. „Ich habe keine Unterschiede festgestellt.“
Aktuelle Zins-Situation erhöhen Neubaukosten
Die eigentliche Frage sei: Was macht die Enteignung in Berlin? „Sie erhöht den Staatshaushalt“, betonte Jörn von der Lieth. Was passiert, wenn Mieten nicht mit den Kosten steigen dürfen, zeige sich bereits jetzt, denn die landeseigenen Wohnungsunternehmen unterliegen derzeit einem Mietenmoratorium. „Das ist ganz toll, aber man muss ehrlicherweise auch sagen, das wird von der Stadt bezahlt. Selber könnten sie es sich nicht leisten.“ Das heißt, bezahlen müssen am Ende alle Steuerzahler dafür, dass ein Teil der Berliner billig wohnen kann. Die Folge bei Enteignungen: „Sie müssen dann mehr städtische Mittel aufwenden.“
Und es kommt noch eine weitere Herausforderung auf die städtischen Wohnungsunternehmen und damit auf den städtischen Haushalt zu, also auf die Steuerzahler. Auch ohne die sogenannte Vergesellschaftung, Ankauf, Neubau oder Klimamodernisierung werden die Kosten bei den LWUs in den nächsten Jahren erheblich steigen. Jörn von der Lieth wies darauf hin, dass auch die Landeseigenen wegen des günstigen Zinses eine Reihe der Kredite für den Neubau nur auf fünf Jahre festgeschrieben hätten. Durch die gestiegenen Zinsen würden sich die Kredite bei einer Verlängerung erheblich verteuern.