Das "Bündnis bezahlbarer Wohnraum" hat am 12. Oktober 2022 in Berlin unter Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesbauministerin Klara Geywitz die Maßnahmen zur Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive vorgestellt. Welche Maßnahmen das sind und wie die Branche reagiert...
Bundesbauministerin Klara Geywitz: "Nur sechs Monate nach Gründung des Bündnisses bezahlbarer Wohnraum haben sich 35 Akteure mit zum Teil sehr unterschiedlichen Interessen auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt. Diese enthält 187 konkret zurechenbare und mit einem Datum versehene Maßnahmen, die von allen Beteiligten angestoßen und umgesetzt werden müssen. Damit übernehmen die Politik, die Bau- und die Immobilienbranche, die Verbände im Bereich Mieter-, Verbraucher- und Klimaschutz und weitere Akteure die Verantwortung für das gemeinsame Ziel: zügig bezahlbaren und klimaschonenden Wohnraum schaffen.
Bauen und Sanieren ist dabei keine Aufgabe, die von heute auf morgen erledigt ist. 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen, ist bei steigendem Bedarf notwendiger denn je. Umso wichtiger ist es, Prozesse durch Digitalisierung, Typengenehmigung und serielles Bauen effektiver und schneller zu machen und durch eine verlässliche Förderung Planungssicherheit zu geben. Dabei denken wir Klimaschutz und barrierefreies Wohnen immer mit."
Die wichtigsten Beschlüsse des Bündnisses bezahlbarer Wohnraum im Überblick:
Mehr bezahlbarer Wohnraum
Das „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ will die Weichen für bezahlbaren Wohnraum für alle stellen. Der Bund gibt den finanziellen Rahmen vor: Bis 2026 stehen für den sozialen Wohnungsbau 14,5 Milliarden Euro an Bundesmitteln bereit. Die bedarfsgerechte Kofinanzierung und der vollständige Mittelabruf durch die Länder wurden unter dem Dach des Bündnisses verankert. Der Bund wird Anfang 2023 die Neubauförderung neu ausrichten und ein Wohneigentumsprogramm auflegen sowie ab dem 01. Juli 2023 die lineare AfA für die Abschreibung von Wohngebäuden von zwei auf drei Prozent erhöhen.
Die Bundesregierung hat sich zudem zum Ziel gesetzt, eine neue Wohngemeinnützigkeit, verbunden mit einer steuerlichen Förderung und Investitionszulagen, anzugehen. Auch die Bündnis-Mitglieder werden zahlreiche Eigenbeiträge leisten. Zudem ist gemeinsam vereinbart, dass das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) die Mittel für die Städtebauförderung dauerhaft absichert, damit das Wohnumfeld zukunftsfest weiterentwickelt werden kann.
Innovatives Planen und Bauen beschleunigen
Es wird zunehmend wichtig, schneller und innovativer zu planen und zu bauen. Dazu müssen Prozesse digitaler ausgestaltet werden. Ziel ist die „digitale Rathaustür“. Digital erstellte Planungs- und Projektanträge müssen von überall aus bei den zuständigen Stellen eingereicht werden können. Es wird daher bundesweit möglich sein, einen digitalen Bauantrag zu stellen. Gleichzeitig sollen Innovationsklauseln in den Landesbauordnungen und Regeln, zum Beispiel für eine Genehmigungsfreiheit von Dachgeschossausbauten in allen Ländern, erarbeitet werden.
Damit wird der gesamte Genehmigungsprozess massiv beschleunigt. Auch eine Standardisierung von digitalen Anwendungen beim Building Information Modeling (BIM) ist aus Sicht der Bündnis-Mitglieder zwingend erforderlich. Bauprozesse sollen unter anderem durch eine zeitlich befristete Erhöhung der vergaberechtlichen Wertgrenzen für Wohnzwecke, freihändige Vergaben und beschränkte Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb beschleunigt werden.
Serielles und modulares Bauen ausweiten
Damit serielles und modulares Bauen in größerem Umfang angewendet wird, sollen bereits einmal erteilte Typengenehmigungen bundesweit gelten. Dafür sollen entsprechende Regelungen in den Landesbauordnungen verankert werden. Diese Technologien werden mit Hilfe einer Geschäftsstelle im neuen Bundesbauministerium und eines runden Tisches "Serielles Bauen", Best-Practice-Beispielen sowie einer umfassenden Begleitforschung vorangetrieben.
Boden mobilisieren – Baukosten begrenzen
Bauland ist ein knappes Gut. Damit Kommunen strategisch Boden bevorraten können, sollen kommunale und regionale Bodenfonds errichtet werden. Kommunale digitale Potenzial- und Brachflächenkataster sollen zeigen, wo das notwendige Bauland vorhanden ist. Kommunen planen, bei Bedarf Wohnungsbaukoordinatoren als zentrale Ansprechpartner vor Ort zu etablieren, um Prozesse zu bündeln und Investitionen voranzutreiben. Die Einrichtung einer Geschäftsstelle zur Folgekostenabschätzung in Normungsprozessen soll unter anderem dafür sorgen, dass Baukosten begrenzt werden.
Gebäude ressourcenschonender errichten
Die Reduktion von Treibhausgasemissionen beim Bauen und Wohnen muss stärker in den Fokus rücken. Dabei wird nicht mehr nur auf die Betriebsphase geschaut. Über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes sollen weniger Treibhausgase emittiert sowie weniger Ressourcen, Flächen und Energie verbraucht werden. Damit dies gelingt, werden beim Neubau die Anforderungen im Ordnungsrecht (GEG) weiterentwickelt. Der Bund wird Anfang 2023 das Förderprogramm "Klimafreundliches Bauen" auf den Weg bringen, das sich stärker am Lebenszyklus von Gebäuden ausrichtet. Der digitale Gebäuderessourcenpass für Neubauten hilft, die Wiederverwendung der Bauprodukte und das Recycling von Baustoffen planen zu können.
Maßnahmen für eine Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive zum Download
Reaktionen der immobilienwirtschaftlichen Verbände
Unter den insgesamt 130 Maßnahmen sehen die immobilienwirtschaftlichen Verbände Deutschlands einige vielversprechende Punkte, die zugleich mehr Bauen und schnelleres Bauen in Deutschland antreiben könnten. Allerdings halten sie eine Erreichung der Zielmarke 400.000 Wohnungen (davon 100.000 geförderte) aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen, die sich durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine in den vergangenen Monaten nochmals verschlechtert haben, für unrealistisch. Im einzelnen erklärten die Präsidenten der Verbände:
IVD-Präsident und BID-Vorsitzender Jürgen Michael Schick: „Seit der Formulierung des Ziels, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, haben sich zwei entscheidende Parameter verändert: Die Nachfrage nach Wohnraum nimmt durch die verstärkte Zuwanderung zu, die Wohnungsbauproduktivität nimmt durch die steigenden Kosten und den Rohstoffmangel ab. Diese Kluft kann nur durch Vereinfachung, Deregulierung, Entbürokratisierung und eine gehörige Portion Pragmatismus überbrückt werden.“
BFW-Präsident Dirk Salewski: „Priorität müssen nun unsere Vorschläge zur Beschleunigung, Vereinfachung und Entbürokratisierung beim Neu- und Umbau haben. Dringend ist die Abkehr von der alleinigen Fokussierung auf immer höhere und teurere Standards. Die Klimaziele können kostengünstiger und effektiver durch kluges Planen und Bauen erreicht werden.“
GdW-Präsident Axel Gedaschko: „Die Bündnis-Partner haben ihre Hausaufgaben gemacht, jetzt sind alle staatlichen Ebenen für die gemeinsame Umsetzung am Zug. Der Fokus muss angesichts der Energiekrise auf Energieeinsparung und bezahlbaren Effizienzmaßnahmen im Gebäudebestand liegen. Es dürfen keine Maßnahmen beschlossen werden, die zusätzliche Belastungen für Mieter und Vermieter auslösen. Lösungen für mehr Planungssicherheit und Kostenstabilität beim Wohnungsbau sind dringend notwendig. Deshalb begrüßen wir die vorgesehene Einrichtung einer Geschäftsstelle und eines Runden Tisches für serielles und modulares Bauen ausdrücklich.“
Haus & Grund-Präsident Dr. Kai Warnecke: „Jetzt kommt es darauf an, zügig jene Maßnahmen umzusetzen, die in den kommenden Jahren gerade in den Großstädten die Bedingungen für zusätzlichen Wohnraum verbessern.“
VDIV-Präsident Wolfgang Heckeler: „Es ist richtig und wichtig, die Potenziale des Bestandes durch Sanierung, Aufstockung und Nachverdichtung voll auszuschöpfen. Dies sind wichtige Bausteine zur Unterstützung der Wohnungsneubauziele, um die Flächeninanspruchnahme im Sinne des Klima- und Ressourcenschutzes zu verringern. Um eine wirksame Mobilisierung der Potenziale im Bestand zu erreichen und die Durchführung entsprechender Maßnahmen spürbar zu erleichtern, sind eine zielgenaue und vor allem verlässliche Förderkulisse unbedingt erforderlich.“
vdp-Präsident Dr. Georg Reutter: „Wir freuen uns, dass das Bündnis bezahlbarer Wohnraum weitgehend gute und praktikable Maßnahmen erarbeitet hat, um die Wohnungsnot in unserem Land zu mildern. Der Schlüssel liegt in der Schaffung von neuem Wohnraum – ein Vorhaben, dessen Finanzierung im Wesentlichen über Kreditinstitute erfolgen wird. Von daher begrüßen wir sehr, dass mit dem vdp erstmals auch die Finanzierungsseite in solch einem Bündnis vertreten ist.“
ZIA-Präsident Dr. Andreas Mattner: „Das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum ebnet den Weg dafür, dass es viel zügiger gehen kann, neuen Wohnraum zu schaffen – wie es sich schon bei der letzten Bauministerkonferenz andeutete. Politik hat verstanden: Es ist nicht die Zeit für Regulierungen, sondern für neuen Gründergeist. Allerdings wurden Bremsklötze und Fehleinschätzungen wie das Mantra der Effizienzstandardverschärfung nicht beseitigt.“
Diese Maßnahmen behindern aus Sicht der Verbände die Ziele rund um bezahlbaren Wohnraum
Neben den anerkennenden Worten der Präsidenten der Verbände kommt auch Kritik nicht zu kurz. Denn das vom Bündnis bezahlbarer Wohnraum vorgelegte Maßnahmenpaket enthalte auch zahlreiche Vorhaben, die das Ziel des bezahlbaren Wohnens und das Bemühen um die Steigerung der Fertigstellungszahlen nachweislich behindern. Dazu gehören beispielsweise:
- das Ziel, die Flächenneuinanspruchnahme für Siedlung und Verkehr bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag zu reduzieren und bis zum Jahr 2050 bis auf Netto-Null zu senken,
- die Etablierung von Bodenbeiräten,
- die Fortentwicklung des kommunalen Vorkaufsrechts,
- die jüngst in Kraft getretene Verpflichtung zum hydraulischen Abgleich, da hierdurch personelle und vor allem finanzielle Kapazitäten in erheblichem Umfang vom klimaschonenden Bauen abgezogen werden,
- das Festhalten am EH40-Standard ab 2025 und
- die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung einer Neuen Wohngemeinnützigkeit.
Weitere Reaktionen aus der Immobilienbranche
Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer: „Das von der Bundesregierung ausgegebene Ziel, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu errichten, ist gerade unter den aktuellen Rahmenbedingungen überaus ambitioniert. Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum ist aber definitiv vorhanden. Aus diesem Grund unterstützen wir die Bundesregierung bei der Zielerreichung nach Kräften. Hierfür müssen aber die notwendigen gesetzlichen und vor allem finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden. Die Bundesregierung muss zudem die vorhandenen Spielräume sinnvoll nutzen und darf bestimmte Möglichkeiten – etwa im Vergaberecht – die geeignet sind, überbordende Bürokratie zu verhindern, nicht leichtfertig opfern. Nur wenn alle Rahmenbedingungen passen und ideal zusammenwirken, können die hohen Zielvorgaben erreicht werden.“
Henning Koch, CEO der Commerz Real: „Die heute vorgestellten Ergebnisse des ‚Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen‘ zeigen, wie weit der Weg noch ist. Klar ist: Bauland und Handwerker fallen nicht vom Himmel. Aber als Unternehmen, das gerne noch stärker als bisher in bezahlbares und gefördertes Wohnen investieren würde, sehen wir durchaus Probleme, die angegangen werden könnten. Vor allem muss der deutsche Förderdschungel endlich gelichtet werden. Für gefördertes Wohnen gibt es nicht etwa eine Regelung pro Bundesland, sondern mehr als 200 verschiedene in ganz Deutschland. Das schreckt viele potenzielle Investoren und Bauherren ab. Gerade in kleineren Bundesländern und Städten lohnt sich der Aufwand einfach nicht. Also fließt das Geld der Investoren eher in bezahlbares Wohnen in den größeren Märkten. Eine bundesweit einheitliche Förderregelung würde dem geförderten Wohnungsbau einen wichtigen Schub geben, den marktverzerrenden Wettbewerbsvorteil der größeren Metropolen reduzieren und zugleich auch die Verwaltungen entlasten.“
Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft: Baukosten steigen derzeit besonders. Nicht nur durch höhere Material- und Lohnkosten, sondern auch wegen immer mehr Regelungen: Aktuell gibt es bundesweit mehr als 3.000 Normen, und weitere sind geplant. Dieser Wust muss dringend entrümpelt werden. Vor allem muss die Regierung darauf verzichten, Neubaustandards weiter zu verschärfen. Mittelfristig sollte eine neue Baukostensenkungskommission konkrete Vorschläge erarbeiten. Ein wesentliches Ziel sollte eine Harmonisierung der Bauordnungen der Länder sein, denn die verhindert es oftmals, dass Projektentwickler Größenvorteile ausspielen können. Weniger Vorschriften würden Innovationspotenziale für günstiges Bauen ermöglichen.