Was passiert mit dem deutschen Büromarkt? Die aktuellen Zahlen sehen zwar für Investoren gut aus: Die Belegungsquoten ziehen wieder an, das Transaktionsvolumen nimmt wieder zu, die Mietpreise steigen. Doch ein simples „Weiter so“ ist angesichts zahlreicher Unwägbarkeiten nicht mehr möglich. Es hängt fast alles von den sieben A-Städten ab, die 83 Prozent aller Bürotransaktionen in Deutschland unter sich aufteilen.
„Junge, komm‘ bald wieder“: Der Evergreen von Freddy Quinn aus dem Jahre 1963 ist seit einigen Monaten eine beliebte Melodie in den Chefetagen der deutschen Unternehmen. Der Junge und ebenso das Mädchen sind die Bürobeschäftigten in Deutschland. Nach dem vorläufigen Abflauen der Corona-Pandemie sollen die deutschen Büros wieder mit Leben gefüllt werden. Dies entspricht offensichtlich dem Willen der Unternehmen wie auch der Angestellten: Denn dieses Horrorszenario einer massiven Büroflächenreduzierung im Zuge der Corona-Pandemie ist nicht eingetroffen.
Die Belegungsquoten im deutschen Büromarkt ziehen ebenso an wie die Ausbaukosten. Gerade mittelständische Unternehmen bevorzugen die Vor-Ort-Präsenz, um Mitarbeiter fachlich und emotional zu binden sowie neue Fachkräfte zu gewinnen. Umfragen unter Bürobeschäftigten belegen zudem die Präferenz für ein hybrides Modell mit durchschnittlich rund drei Tagen Büroanwesenheit pro Woche.
Nachfrage nach Büros im hochwertigen Segment steigt
Kehren wir also mit dem Backboarding der Büroarbeiter wieder vollständig zum Status Quo vor Corona zurück? Einige Zahlen sprechen dafür: Die Leerstandsquote in den Top7 wird zwar gegenüber 2019 von 3,3 auf prognostizierte fünf Prozent anwachsen, bewegt sich aber immer noch im normalen Rahmen. Die Fertigstellungen sind in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich angestiegen: 2021 kamen sogar 1,6 Millionen neue Quadratmeter auf den Markt – rund doppelt so viele wie 2017. Und die Mieten sind laut Institut der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) an 56 von 71 untersuchten Standorten gestiegen: 2021 fiel der durchschnittliche Mietpreisanstieg um fünf Prozent höher aus als 2020 mit vier Prozent.
Die am stärksten wachsenden Branchen sind mit dem Gesundheits- und Bildungssektor zwei Wirtschaftszweige, die wenig bis gar keine Büros benötigen.
Nicht zuletzt steigt die Nachfrage nach Büros im hochwertigen Segment, die laut JLL-Einschätzung rund 50 Prozent des Gesamtmarktes ausmachen. Besonders die Öffentliche Hand hat ihren Nachholbedarf erkannt und zählt neuerdings zu den stärksten Nachfragern nach komfortablen und modernen Büroflächen. Dennoch gibt es Anlass für Sorgenfalten, zumindest bei den Entwicklern. Die Neubautätigkeit wird aller Voraussicht nach abnehmen. Dazu tragen nicht nur die höheren Zinsen und die europaweit um sieben Prozent gestiegenen Ausbaukosten bei.
Darüber hinaus stagniert nach Analysen der Berenberg-Bank bereits seit 2005 die Bürobeschäftigungsquote in den sieben A-Städten. Die am stärksten wachsenden Branchen seitdem sind mit dem Gesundheits- und Bildungssektor zwei Wirtschaftszweige, die wenig bis gar keine Büros benötigen. Auch der Faktor Flächeninanspruchnahme spricht nicht für mehr Neubau: Jedes zweite von Drees & Sommer im Juni 2022 befragte Unternehmen hatte bereits Desksharing eingeführt. Nach Einschätzung des IW Köln könnten 85 Prozent aller Bürobeschäftigten von zu Hause arbeiten, wenn sie es wollten.
Die Aufmerksamkeit im Büromarkt muss sich auf den Bestand richten
Kommt es also aufgrund politischen Drucks im medial omnipräsenten Thema Wohnraum nicht zu einem massiven Anstieg von Flächenkonversionen, wandern die Investitionen in den Bürobestand. Vollsanierte und ESG-konforme Büroimmobilien erfüllen die Konditionen im Core-Segment und werden daher bei institutionellen Anlegern weiterhin auf hohe Nachfrage treffen. Für Bestandshalter und Investoren ist folglich eine Value-Add-Kompetenz zunehmend notwendig, die Entwickler müssen ihre Augen aufgrund gesättigter Märkte in den sieben A-Städten zwangsläufig auf den Bestand richten.
Gute Lage und gute Ausstattung werden weiterhin steigende Mietpreise nach sich ziehen. Idealerweise greifen Vermieter angesichts rapider Inflation auf indexierte Mietverträge zurück. Und sollte doch alles anders kommen, ist ein großer Einbruch trotzdem unwahrscheinlich: Für den Büromarkt Stuttgart beispielsweise hat JLL in einer Negativprognose einen möglichen Rückgang der Büroflächen um über 280.000 Quadratmeter für die nächsten Jahre kalkuliert. Das wären allerdings gerade einmal drei Prozent des aktuellen Gesamtflächenbestandes in der Schwabenmetropole.