In einem Ost-Berliner Plattenbau ist das C2C LAB entstanden, die weltweit erste umfassende Bestandssanierung nach Cradle-to-cradle-Kriterien. Genutzt wird die Fläche als Reallabor, um Akteuren aus der Bau- und Immobilienwirtschaft kreislaufbasiertes Bauen nahezubringen.
Die Landsberger Allee, die vom Alexanderplatz in östliche Richtung nach Lichtenberg führt, verbindet man gemeinhin nicht mit Klimaschutz und Umweltfreundlichkeit. Der Verkehr rauscht teilweise sechsspurig, das Straßenbild prägen in die Jahre gekommene Gewerbeobjekte und Brachflächen, im oberen Abschnitt dominieren Plattenbauten. Und gerade deshalb ist die Lage prädestiniert für ein Informations- und Bildungszentrum, das dazu einlädt, Bauen neu zu denken und zwar dergestalt, dass Gebäude künftig keine Energieschlucker und Ressourcenverschwender sind, sondern klimapositiv auf die Umwelt wirken.
Nach Cradle-to-cradle-Kriterien sanierte DDR-Plattenbau-Mieteinheit in Berlin wird zum C2C LAB
Im Haus Nummer 99c packten Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen die Sache an: Unter Mitwirkung von 44 Bauproduktherstellern und eines versierten Helferteams haben die geschäftsführenden Vorstände der gemeinnützigen Cradle-to-cradle-NGO eine stark sanierungsbedürftige Mieteinheit im Parterre eines DDR-Plattenbaus aus kommunalem Wohnungsbestand in ein luftiges, 400 Quadratmeter umfassendes Demonstrationsobjekt für kreislaufbasiertes Bauen verwandelt, mit dem Ziel, eine Plattform für alle am Bau Beteiligten zu schaffen, wo sie sich praxisorientiert informieren und gewerkeübergreifend austauschen können.
C2C oder die Natur als Vorbild für kreislaufbasiertes Bauen
Die Notwendigkeit für ein derartiges Reallabor verdeutlichen folgende Zahlen: Rund 60 Prozent aller Ressourcen entfallen hierzulande auf den Bausektor, der zugleich etwa 50 Prozent des Abfallaufkommens verursacht. Angesichts schwindender Rohstoffe, knapper werdender Deponieräume und einem wirksamen Klimaschutz kann es ein Weiterso nicht geben. Dessen waren sich der deutsche Chemiker Michael Braungart und der amerikanische Architekt William McDonough bereits vor über 30 Jahren bewusst und entwarfen das Prinzip Cradle-to-cradle (kurz C2C).
Die Querdenker nahmen sich die Natur zum Vorbild, um Produkte zu entwickeln, die entweder vollständig biologisch abgebaut oder endlos recycelt werden können. Folglich kennt das Konzept nur Nährstoffe, keine Abfälle. Elementar ist, dass ausschließlich einstoffliche Materialien genutzt und grundsätzlich auf Verbundmaterialien verzichtet wird, die in der konventionellen industriellen Fertigung jedoch üblich sind.
Hat beispielsweise ein C2C-basiert hergestellter Teppich das letzte Stadium seines Lebenszyklus erreicht, ermöglicht sein intelligentes Design, dass aus ihm ein neuer hochwertiger Belag hergestellt werden kann – ohne Umweltschäden und Müll zu verursachen. Ist dieser dann obsolet, lässt sich die Transformation ohne Qualitätsverluste fortsetzen. Michael Braungarts provokante Devise lautet: „Wir müssen nicht weniger, sondern verschwenderisch und in biologisch-technischen Kreisläufen produzieren.“ Eine Maxime, die dem Effizienz-Postulat heutiger Bauweise konträr gegenübersteht.
Recycling-Immobilien für echte Nachhaltigkeit
Ein Umdenken hat jedoch begonnen. So gibt es mittlerweile viele Bauprodukthersteller (darunter GROHE, Schüco, Tarkett und Wicona), die nachweislich nach den C2C-Prinzipien arbeiten. Konkret greifbar sind die Lösungen seit September 2019 im besagten C2C LAB.
„Bisher wird ein Produkt nur für die Dauer eines Lebenszyklus betrachtet. Dass wertvolle Ressourcen nicht verloren gehen und die Umwelt nicht geschädigt werden darf, steht bisher nicht im Fokus des Produktdesigns”, beklagen die beiden Initiatoren, „C2C steht für Innovation und Qualität und bettet das Produkt in kontinuierliche, biologische und technische Kreisläufe von Materialien und Nährstoffen ein – das ist echte Nachhaltigkeit und Ökoeffektivität.”
Cradle-to-cradle-Prinzip steckt in der Immobilienbranche noch in den Kinderschuhen
Noch stecken die Geschäftsmodelle für kreislauffähige Gebäude und die Wiederverwendung von Baumaterialien in den Kinderschuhen. Weder Investoren noch Finanzierer haben dafür entsprechende Bewertungs- und Bilanzierungsverfahren. Doch auch hier wollen Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen beispielgebend sein, indem sie Aktien auf die hochwertige Zinkfassade ausgeben, die noch am Haus, in dem sich das C2C LAB befindet, angebracht wird.
Spinnt man den Gedanken weiter, hängt die Einträglichkeit einer Immobilie künftig auch mit der Recyclingfähigkeit der verbauten Ressourcen und der Entwicklung der Rohstoffmärkte und -preise zusammen. Ein Ansatz, der für die jetzigen Prozesse in der Bau- und Immobilienwirtschaft einen grundlegenden Paradigmenwechsel darstellt. Im C2C LAB dürften rege Diskussionen stattfinden.