Bauen nach dem Cradle to Cradle-Prinzip heißt, gesunde sowie effektive statt „nur“ effiziente Gebäude zu errichten, deren Materialien sich sortenrein demontieren und fast komplett wiederverwenden lassen. Ein Musterbeispiel hierfür ist das neue Stadthaus in Venlo. C2C-Vordenker Michel Weijers, Geschäftsführer C2C ExpoLAB, hat das Projekt in Venlo geleitet.
Das Stadthaus in Venlo gilt als weltweites Vorzeigeobjekt für Cradle to Cradle, auch C2C genannt. Was macht dieses Verwaltungsgebäude so einzigartig?
Michel Weijers: Was dieses Projekt von anderen unterscheidet, ist das komplett neue Denken beim Konzipieren und Umsetzen des Gebäudes. Erstmals haben wir die Wiederverwendbarkeit der Baumaterialien in den Vordergrund gerückt. Das Haus wurde nicht mehr als künftiger Abfall, sondern als Materialienbank betrachtet. Einzigartig machen das neue Haus aber auch die positiven Auswirkungen der neuen Bauweise auf Raumluft, Mitarbeitergesundheit, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und vieles mehr.
Dann geht es bei C2C also um mehr als um eine abfallfreie Kreislaufwirtschaft?
Michel Weijers: Richtig. Einen giftigen PVC-Bodenbelag aus einem alten Gebäude wiederzuverwenden, führt zwar zur Abfallvermeidung, aber nicht zu besseren Gebäuden. Hier unterscheidet sich C2C von der Kreislaufwirtschaft. C2C hat zum Ziel, nahezu alle Baumaterialien ohne Qualitätsverlust später wiederzuverwenden und zugleich gesündere und effizientere Gebäude zu schaffen. Oft steht bei den Verantwortlichen aber nur ein einzelnes Ziel im Vordergrund, zum Beispiel: Heizgas einsparen. Dann wird das Gebäude isoliert und die Energierechnung sinkt, aber als Folge davon wird die Raumluft schlechter, weil man nicht an eine Klimatisierung gedacht hat.
Das Stadthaus Venlo: Gesund, recyclebar und effizient dank Cradle to Cradle
Und wie wird durch C2C ein Gebäude gesund, recyclebar und effizient zugleich?
Michel Weijers: Indem man diese Themen nicht einzeln betrachtet, sondern in Kombination. Im Stadthaus Venlo haben wir auf giftige Materialien verzichtet, ein Gewächshaus eingebaut und eine natürliche Ventilation geschaffen. Dadurch ist die Luft im Gebäude sauberer als draußen. Ein Ergebnis davon ist, dass die Mitarbeiter produktiver arbeiten und weniger krank sind. Wir haben außerdem darauf geachtet, dass die Baustoffe einfach und sortenrein wiederverwendet werden können. Das bedeutet: Beton wurde nicht mit Farbe angestrichen, Holz nur geölt und verdübelt, Metall nur verschraubt statt verschweißt.
Welche Lösungen haben Sie für mehr Energieeffizienz gefunden?
Michel Weijers: Das Gebäude erzeugt über Solarenergie und Solarthermie seine benötigte Energie zu 75 Prozent selbst. Den Rest kaufen wir aus grünen Quellen dazu. Wir brauchen kein Gas, alles ist 100 Prozent elektrisch. Wir speichern die Energie in Form von Wärme oder Kälte im Grundwasser. Dank diesem Wärme-Kälte-Speicher können wir die Lufttemperatur sowohl im Sommer als auch im Winter über einen Wärmetauscher konstant auf etwa 22 Grad halten. Außerdem sammeln wir das Regenwasser vom Dach und das Wasser aus den Etagenküchen und Waschbecken in einer Pflanzenkläranlage, um es dann für die Toilettenspülung und die Bewässerung der begrünten Fassade zu nutzen.
Wozu haben Sie denn eine grüne Fassade realisiert?
Michel Weijers: Weil sie viele Vorteile hat: Die Pflanzen schützen das Haus vor Hitzestress, wandeln CO2 in Sauerstoff um, filtern Feinstaub aus der Luft und reduzieren Stickoxide – und das in einem Umkreis von 500 Metern um das Haus. Außerdem erhöht die grüne Fassade die Biodiversität in diesem Teil der Stadt.
Massive Kosteneinsparungen dank des C2C-Ansatzes
Bei C2C denkt man zuerst an die Wiederverwendung von Baumaterialien. Was ist eigentlich mit den Büroeinrichtungen?
Michel Weijers: Auch die wurden nach C2C-Kriterien entworfen. Man muss wie bei den Baustoffen immer daran denken: Das sind alles Materialien, die sich später wieder verkaufen lassen. Wir haben bei der Einrichtung des Stadthauses in Venlo zu den Möbellieferanten gesagt, sie sollen die Möbel nach zehn Jahren Nutzung wieder abholen und den Restwert erstatten. Das war neu und frech. Aber die Lieferanten waren aus guten Gründen zu den Restwertabsprachen und zur Abholung ihrer Materialien bereit.
Apropos Einsparungen. Was hat denn nun die Gemeinde Venlo unterm Strich davon, dass sie sich ein C2C-Stadthaus geleistet hat?
Michel Weijers: Sie wird allein durch die nachhaltige Bauweise und die Maßnahmen zur Energie- und Wassereinsparung, die 3,4 Millionen Euro gekostet haben, in 40 Jahren Nutzungsdauer rund 17 Millionen Euro an Kosten einsparen. Hinzu kommt der hohe Restwert der Gebäude-Materialien, die sich später einfach demontieren lassen. Legt man nur fünf Prozent Restwert zugrunde, ergibt das eine jährliche Einsparung von 60.000 Euro pro Jahr an Kapitalkosten. Der Restwert dürfte aber höher als fünf Prozent sein. Des Weiteren wurden Rücknahmevereinbarungen mit Lieferanten getroffen, in denen beispielsweise für die Möbel ein Restwert von 18 Prozent vereinbart ist. Das bedeutet für die Gemeinde Venlo, dass ihr für die Möbel nach zehn Jahren Nutzungsdauer ein Restwert von 300.000 Euro garantiert wird.
Cradle to Cradle nimmt Fahrt auf
Das klingt alles sehr vernünftig und zukunftsweisend. Ist C2C also die Zukunft des Bauens oder bleibt es eher eine Nische?
Michel Weijers: Wir sind noch am Anfang, aber das Thema C2C nimmt Fahrt auf. Aus meiner Sicht ist es bald keine Nische mehr. Baumaterialien werden immer teurer. Wir können es uns künftig nicht mehr erlauben, Materialien nur für ein einziges Gebäude zu nutzen. Bei vielen Ausschreibungen ist C2C schon heute ein Kriterium. In den Niederlanden müssen bis 2050 alle Gebäude kreislauffähig sein. Das heißt, die Materialhersteller müssen sich heute schon Gedanken darüber machen, wie sie ihre Materialien in den Kreislauf zurückbekommen.