Schnelles Internet am Flexdesk unter Gleichgesinnten ist längst nicht mehr nur in den Hotspots von Metropolen zu haben. Im Umkreis von Berlin sind Co-Working-Angebote entstanden, die ein Leben außerhalb der Großstadt attraktiv und realistisch erscheinen lassen.
Im Grunde war es reiner Eigennutz, der Sven Gumbrecht angetrieben hat: Der Berater und Rechtsanwalt lebte seit einigen Jahren im nördlich von Berlin gelegenen Eberswalde, arbeitete viel von zu Hause und allein – zu viel, wie er befand: Gemeinsam mit zwei Mitstreitern rief Sven Gumbrecht im vergangenen Jahr mit der Thinkfarm Eberswalde einen ersten Co-Working- Space in der Kleinstadt ins Leben. „Der Bedarf nach gemeinsamem Austausch war da, nicht nur bei uns“, sagt er. Zahlreiche Freiberufler – Texter, Graphiker, Berater und Anwälte – seien in den vergangenen Jahren der Enge und den steigenden Preisen der Metropole entflohen, hätten ihre Kunden allerdings dort behalten. Statt täglich Pendeln zu müssen, können sie jetzt in der Thinkfarm arbeiten.
Mit dieser Entwicklung auf dem Büromarkt liegt die gut 40.000-Einwohner- Stadt Eberswalde im Trend der Zeit: Co-Working-Arbeitsplätze und flexible, temporäre Büroräume sind längst nicht mehr nur im Zentrum von Großstädten gefragt, sondern auch in kleineren Kommunen im weiteren Umkreis von Ballungsräumen oder ganz auf dem Land.
Kein einheitliches Konzept
„In Frankfurt an der Oder haben die meisten damit gerechnet, dass die Nachbarn auf polnischer Seite zuerst durchstarten“, erzählt Antonia Polkehn, bei der Sparda-Bank Berlin für Strategie und Innovation zuständig. „Aber dann waren wir schneller“, sagt sie mit Blick auf das im Herbst eröffnete Co-Working-Angebot BLOK-O, das ihr Arbeitgeber in der Grenzstadt initiiert hat. Antonia Polkehn bekräftigt das Interesse, das ihr im Vorfeld entgegenschlug, sowohl von der Stadt als auch von Seiten der Europa-Universität Viadrina. Die intensive Vorbereitung mit zahlreichen Gesprächen sei notwendig gewesen, um passgenau auf den Bedarf reagieren zu können. Denn darin unterscheiden sich die Ausgangslagen von Frankfurt an der Oder und Berlin-Potsdamer Platz: In kleineren Städten sind die Situationen kleinteiliger, Erfolg oder Misserfolg eines Immobilienangebotes hängen stärker von Einzelfaktoren ab als in einer Metropole, in der jeder irgendetwas (anderes) sucht. Dazu passt, dass sich kaum ein Rezept kopieren lässt, sondern jedes Mal aufs Neue Standorte analysiert und gegebenenfalls Konzepte entwickelt werden müssen.
Vorteilhaft dürfte sich in der Regel ein angespannter Wohnungsmarkt in der Nähe auswirken, wie etwa in Berlin. „Für die kleineren Kommunen ist das ein Standortfaktor. Diese leiden unter den Pendlern – etwa wegen des Kaufkraftabzuges, aber auch aus ökologischen Faktoren. Warum soll ich in die Stadt fahren, wenn ich am Rand oder ein paar Dutzend Kilometer entfernt wohne und dort genauso gut arbeiten kann?“, beschreibt es Wolfgang Speer, Vermietungschef bei Colliers International. Solche dezentralen Co-Working- Angebote im Zeitalter des digitalen Arbeitslebens würden vor allem Zeit sparen. Perspektivisch seien sie zudem für die Gründerszene vorteilhaft, da Startups in der Anfangsphase häufig ein bekanntes, nahes Umfeld schätzten, so der Büroimmobilienmarkt-Experte. In Städten wie Eberswalde und Frankfurt an der Oder sorgen Hochschulen für zusätzliche Nachfrage – eine Win-Win-Situation, denn zugleich liefern Einrichtungen wie Co-Working- Spaces und ein gründerfreundliches Umfeld Studierenden und Absolventen Gründe, in der Stadt des Studiums zu wohnen und nach dem Abschluss zu bleiben.
Großakteure setzen weiter auf Zentren
Freilich seien Angebote abseits der Hotspots bisher kein Thema für die maßgeblichen Anbieter am Markt, sagt Wolfgang Speer. „Die Großakteure fokussieren weiter auf absolute Zentrumslagen.“ Co-Working im Speckgürtel spielt sich auf kleineren Flächen ab und meist unter Verzicht auf Tischtennisplatte, Minigolfbahn und Hängematte. In Eberswalde haben Sven Gumbrecht und seine Mitstreiter 230 Quadratmeter angemietet. Neben neun festen Arbeitsplätzen gibt es flexible Flächen und einen Besprechungsraum. Im BLOK-O in Frankfurt an der Oder sind es 350 Quadratmeter; hier richtet die Sparda-Bank zusätzlich eine Filiale ein und betreibt ein Café, das sich in den ersten Monaten seit der Eröffnung als Anziehungspunkt für die Gesamtstadt entwickelt hat, wie Antonia Polkehn berichtet.
Kleinteilig geht es auch die Wirtschaftsfördergesellschaft des Kreises Märkisch- Oderland an, die im Dorf Letschin im Oderbruch, gut 90 Kilometer östlich von Berlin, in einer alten Schule einen Co-Working- Space eröffnet hat – dort kann auf 13 Plätzen gemeinschaftlich gearbeitet werden. Schnell habe sich gezeigt, dass für die Menschen aus der Nachbarschaft vor allem die Möglichkeit attraktiv ist, Veranstaltungsräume anzumieten, sagt Projektleiter Torsten Kohn. Außerdem denke man über Lösungen nach, die steigende Nachfrage von Berlinern zu bedienen, die zum Arbeiten in das Dorf kommen möchten: Noch fehlt es an Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort.
Schnelles Internet war bereits gelegt. Für Freiberufler kann eine solche stabile Verbindung allein schon ein Grund sein, den heimischen Schreibtisch gegen die gemeinsam genutzte Bürofläche zu tauschen. Zusätzlich stehe der Austausch mit anderen Freiberuflern oben auf der Wunschliste, wie die Anbieter unisono berichten: In Eberswalde isst man gemeinsam zu Mittag, in Letschin gibt es Frühstückstreffs.
Die Preissysteme schaffen Möglichkeiten zwischen flexibel und günstig: Ein Tagesticket in der Alten Schule im Oderbruch kostet beispielsweise zehn Euro, eine Zehner- Tageskarte 60 Euro. Auch in Eberswalde gibt es solche flexiblen Zehnerkarten, die Monatsmieten liegen je nach Modell zwischen 85 und 150 Euro. Im BLOK-O kostet die flexible Mitgliedschaft 79 Euro im Monat – Preise, die im Durchschnitt unter denen von etablierten Anbietern in Großstadtzentren liegen und einen zusätzlichen Reiz schaffen könnten, dem Arbeiten am Wohnort eine Chance zu geben.