Ich bin unentschieden: Nur zu gern würde ich an ‚Vorwärts‘, ‚Aufwärts‘ und ‚Es wird besser‘ glauben. Die Messetage waren geprägt von Ernsthaftigkeit, nur stellte sich bei mir kein Optimismus ein. Erst recht nicht, wenn die Themen der Messe unter einem Brennglas liegen.
‚Serielles Bauen / Modulbau - Allheilmittel Automatisierung?‘ hieß ein Panel. Ein anderes ‚Nachhaltigkeit trifft Effizienz: ESG-Integration als Erfolgsfaktor für zukunftssichere Immobilien‘. ‚Demonstrativ gelassen“ erschien laut Immobilien Zeitung Bundesbauministerin Klara Geywitz bei der EXPO REAL 2024. Es ist, als ob die Kaiserin in ihr eigenes Schattenreich zurückkehrt. Alle strahlen, weil sie da ist – nicht, weil sie tatsächlich etwas zu sagen hätte. Zudem fühlt es sich an wie eine Endlosschleife. Die Bodenbildung ist erreicht, der Markt erwacht, die Investoren kehren zurück, die Zinssteigerung war zu stark. Es gibt nur wenige Stimmen, die das anders sehen.
Dem Modulbau verhilft die Branche immer noch zum Durchbruch, Digitalisierung muss tatsächlich im Jahr 2024 noch besprochen werden. Die Verbände geben mal wieder ihren Forderungskatalog ab. Es braucht Wohnungen, nur werden die nicht gebaut. Die Assetklasse Office schwächelt. Die alten Zeiten, als alles gut war, leuchten in eine dunkle Gegenwart. Nach einer kurzen Verschnaufpause im Vorjahr nehmen die Großinsolvenzen im Immobilienbereich wieder deutlich zu. In den ersten neun Monaten dieses Jahres stieg die Zahl der Pleiten von 27 auf 46 gegenüber dem Vorjahreszeitraum – das entspricht einem satten Plus von 70 Prozent! Kann, darf, sollte man in Anbetracht dieser Zahlen den Optimismus hochleben lassen? Auch beim Mitdenken des Faktors Marktbereinigung? Insgesamt mussten 23 Rohbauer und Projektierer einen Antrag stellen, sieben mehr als noch vor einem Jahr. Die Studie der Unternehmensberatung Falkenberg stellt zudem klar: Die Krise greift längst auf die Ausbaugewerke und die nachgelagerten Sektoren über. In diesem Bereich stiegen die Insolvenzen sogar um beachtliche 109 Prozent. „Diese Entwicklung ist besorgniserregend und wird sich bis weit ins Jahr 2026 fortsetzen“, prognostiziert Falkensteg-Partner und Real-Estate-Experte Christian Alpers.
Auch die Finanzierungsproblematik zeigt sich in ihrer vollen Härte. Refinanzierungen sind oft nicht möglich, Projektentwicklungen liegen auf Eis, in zahlreichen Fonds finden sich alte Immobilien, die zwingend eine Transformation benötigen. Die Immobilienbranche kommt als ein fragiles Konstrukt daher – ähnlich einem Seiltänzer ohne Sicherheitsnetz. Protest und Infragestellung von immer umfänglicher werdenden Regularien decken zu, was weiter vorn anklang: Die deutsche Immobilienbranche glänzt nicht mit Innovation und Stärke.
Deshalb erscheint das Konstrukt EXPO REAL auch etwas aus der Zeit gefallen. 40.000 Teilnehmer aus 75 Ländern und Regionen, 1.778 Aussteller aus 34 Ländern: Zahlen, an denen nichts auszusetzen ist. Auch wenn es hier und da eine Lounge mehr gab, weil einige Firmen in diesem Jahr auf einen Stand verzichteten. Internationale Fachmesse für Immobilien und Investitionen lautet der Subtext der EXPO REAL. Am Warschau-Stand, am Ungarn-Stand bleibt man unter sich. Obwohl irgendwie gefühlt jeder nach Polen gehen möchte, weil es dort viel einfacher mit Projektentwicklungen sei, heißt es an dem Stand: Viele Deutsche sind nicht vorbeigekommen. Dafür aber die Kollegen aus Ungarn und Spanien, aus Dubai. Internationalität wird nicht wirklich gelebt, die deutsche Branche bleibt sehr gern unter sich, schielt allerdings zu den ausländischen Investoren, die das Transaktionsgeschäft doch endlich ankurbeln mögen. Doch zurück zur Internationalität und dem sehr eingeschränkten Angebot an geopolitischen Diskussionen. Glaubt die deutsche Immobilienwirtschaft wirklich, dass sie abgekoppelt von der Welt Geschäfte machen kann. In Zeiten, in denen Großkonzerne wie VW und Boeing taumeln? In denen der Politiksprech so gar nicht zur erlebten Realität passt? Müsste darüber nicht viel lauter diskutiert werden? Ich meine: ja. Denn: Wir sind eben nicht abgekoppelt von der Welt.
Und während bei der EXPO REAL – siehe Anfang – „ESG-Integration als Erfolgsfaktor für zukunftssichere Immobilien“ in den Vordergrund gesprochen wird, läuft nur im Hintergrund die Diskussion darüber, was gerade in den USA passiert: Anti-ESG. In der Börsen-Zeitung heißt es dazu: „Als „ideologische Übernahme der Wall Street" kritisieren Wirtschaftsköpfe wie Paul H. Tice, Vertragsprofessor an der Stern School of Business der New York University, nachhaltige Anlagekriterien und unterstützen eine Gegenbewegung, die sich auf Aktionärstreffen Bahn bricht. Laut dem Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services (ISS) haben Anteilseigner in den USA bis Ende Mai über 70 Anträge abgestimmt, die sich gegen ESG-Initiativen richten – vor zwei Jahren waren es noch 30. Damit ist Anti-Nachhaltigkeit schneller gewachsen als jede andere Kategorie.“ Nicht falsch verstehen: ESG ist wichtig. Nur klaffen hier Realität und Vision immer noch so unfassbar krachend aufeinander, dass es weit mehr als Kollateralschäden geben könnte. Nämlich das Runterfahren einer ganzen Wirtschaft.
Schmunzeln musste ich über die Annahme meines geschätzten Kollegen Werner Rohmert, der sich fragt, ob man nicht deshalb bei der Messe miteinander spreche, weil sonst nichts anderes zu tun sei. Auch nach dem Niederschreiben des Textes bin ich unentschieden. Ich wünsche mir sehr, dass es aufwärts geht, sehe aber zu viele Hürden, die sich immer breiter machen und höher werden. Dazu passend hörte ich einen schönen Vergleich: „Auf einem Joghurtbecher stehen mehr Inhaltsstoffe als auf einer Immobilie, die einen Wert von 40 Millionen hat.“