Die Klimabilanz des Baustoffs Zement ist dramatisch, die Zementindustrie ist für knapp acht Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Bei der Betrachtung des Lebenszyklus eines Gebäudes entfällt ein Großteil des CO2-Fußabdrucks dabei in die Bauphase. Dekarbonisierten Zement und Beton als Game Changer für ESG-konforme Immobilien zu nutzen, erscheint unausweichlich.
Denn gerade hier ist in den vergangenen Jahren der Druck auf die Immobilienentwickler gewachsen: Die Preise für europäische CO2-Zertifikate, durch die sich Unternehmen das Recht erkaufen, CO2 freizusetzen, stiegen und steigen kontinuierlich. Gleichzeitig legt die Europäische Union (EU) immer weniger CO2-Zertifikate auf, um Anreize zu schaffen, Treibhausgase zu reduzieren. Mittelfristig wird die Baubranche um die Dekarbonisierung nicht herumkommen. Aber mittels künstlicher Intelligenz (KI) und datenbasierten Trackings ist schon heute vieles möglich – auch und gerade in der noch wenig digitalisierten Bauindustrie.
Beton - Herstellung setzt große Mengen Kohlendioxid frei
Er ist das Fundament, auf dem die Menschen bauen: Beton. Eine Herausforderung bei der Herstellung des Baustoffs ist aber, dass es neben Sand, Kies und Wasser vor allem Zement als Bindemittel braucht. Dieser verleiht Beton erst seine wesentlichen Eigenschaften, nämlich Dauerhaftigkeit und Festigkeit. Während des Herstellungsprozesses von Zement, der unter anderem aus Kalkstein und Ton besteht, entstehen nun Treibhausgasemissionen in erheblichen Mengen. Der größte Teil von knapp 80 Prozent Ausstoß entfällt beim Erhitzen von Kalkstein, wenn dieser zu sogenanntem Zementklinker gebrannt wird. Die Produktion von einer Tonne Zement setzt rund 600 Kilogramm Kohlendioxid frei – an diesem chemischen Prozess ist nichts zu ändern. Ihn zu dekarbonisieren, ist hingegen sehr aufwändig.
Lösungsansätze zur Dekarbonisierung von Zement und Beton
Die Idee der Carbon Capture and Utilization (CCUS), also das Einfangen und anschließende Verkappen des bei der Zementproduktion entstandenen Kohlendioxids unter der Erde, bedeutet einen extrem hohen Energieaufwand. Eine andere Lösung ist es, den Zementklinkeranteil zu reduzieren. Der Verein deutscher Zementwerke (VDZ) schätzt, dass durch die massive Reduktion des Klinkerfaktors – weniger Zementklinker im Zement und somit weniger Zement im Beton – jährlich 1,2 Gigatonnen CO2 eingespart werden können.
Konkret heißt das, Zementklinker als Bindemittel zu substituieren, zum Beispiel durch:
- Flugasche, ein Nebenprodukt in Kraftwerken bei der Kohleverstromung,
- Hu?ttensand, der bei der Stahlherstellung anfällt, oder
- Klinker-Ersatzstoffe wie Kalksteinmehl und calcinierte Tone.
Durch ihre Nutzung wird die Herstellung von Beton jedoch komplexer, arbeitsintensiver und anspruchsvoller: Je geringer der Klinkerfaktor in der Rezeptur, desto präziser muss der Herstellungsprozess im Betonwerk sein. Die Folgen sind unter anderem ein höherer Personalaufwand und Mehrkosten, denn die Qualitätssicherung basiert auf langjähriger Erfahrung und dem Fingerspitzengefühl der Mitarbeitenden; sie ist quasi Handarbeit.
Mit künstlicher Intelligenz die Wertschöpfungskette tracken
Das Green-Tech-Start-up alcemy setzt genau hier an und hat eine KI-Lösung entwickelt, um zur Dekarbonisierung der Zement- und Beton-Industrie beizutragen und den Klinkerfaktor mittels KI zu reduzieren. Dabei nutzt das Unternehmen maschinelles Lernen und Regelungstechnik zur präzisen Vorhersage der Qualitätseigenschaften der Baustoffe. Die aus der Technologie gewonnenen Daten geben in Echtzeit relevante Einblicke in die gesamte Wertschöpfungskette, beginnend bei der Zementmahlung und endend bei der Verarbeitung von Transportbeton auf der Baustelle. So können Zement und Beton CO2-ärmer und kostengünstiger hergestellt werden – bei gleichbleibend hoher Qualität.
Dank maschinellem Lernen Rendite und Wert von Gebäuden steigern
Die Vorteile der alcemy-Technologie liegen auf der Hand: Durch das datenbasierte Tracking des Herstellungsprozesses und der konstanten Analyse qualitätsrelevanter Daten kann eine höhere Gleichmäßigkeit und Qualität des Baustoffs gegenüber der konventionellen Handarbeit sichergestellt werden. Außerdem ermöglichen die fortlaufend gesendeten Istwerte an den Leitstand den Mitarbeitenden eine sofortige Reaktion auf eventuelle Abweichungen vom Sollwert.
Für Projektentwickler bedeutet das letztendlich eine Einsparung von 50 bis 80 Prozent CO2 beim Beton und dadurch bares Geld bei den Emissionszertifikaten. Außerdem können bis zu 20 Prozent grauer Energie bei einem Bauprojekt eingespart werden, was zu höherer Rendite und einer Wertsteigerung der Gebäude führt. Auch sinken die Herstellungskosten, die mit dem Einsatz der Technologie verbunden sind, da kein zusätzliches Fachpersonal benötigt wird.
Klimaziele und bessere Rendite – KI macht es möglich
Klimaneutralität bis 2050: Als einer der größten Wirtschaftszweige spielt die Baubranche eine ausschlaggebende Rolle beim Erreichen des Nachhaltigkeitsziels der EU. Mit der KI-basierten Technologie kommt die Branche diesem Ziel deutlich näher. Doch nicht allein die Umwelt profitiert von dieser Innovation. Auch Immobilienentwickler und -eigentümer gewinnen durch CO2-effiziente Gebäude, denn sie werden mit stärkeren Renditen belohnt.
Zudem beeinflusst die ESG-Konformität die Kreditkonditionen und die Entscheidung darüber, ob ein Bankkredit bewilligt wird. Dementsprechend wächst das Verlangen nach ESG-konformen Immobilienprojekten unter Anlegern, Käufern und Auftraggebern zunehmend. Die auf lange Sicht höhere Bepreisung von CO2 wird CO2-armen Zement in naher Zukunft deutlich rentabler machen als seine herkömmliche Alternative.