187 Maßnahmenvorschläge, 35 Partner, ein Dokument: Die Abschlusserklärung des Bündnisses für bezahlbares Wohnen thematisiert nahezu alle bisherigen Hemmnisse im bundesdeutschen Wohnungsbau. Ein Achtungserfolg des Bundesbauministeriums – so könnte man meinen. Doch die Heterogenität der Unterzeichner verheißt wenig Gutes für die Erreichung der Zielmarke von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr.
Gut ein Jahr ist es her, dass die Ampelkoalition das ambitionierte Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr verkündete. Schon damals war die Schnittmenge mit der Realität in der Immobilienwirtschaft und den Genehmigungsbehörden gering. Horrende Baukosten, steigende Zinsen und Personalmangel belasten bis heute die Branche. In den kommunalen Ämtern wiederum stellen die mangelnde Digitalisierung und die allzu lange Dauer der Genehmigungsverfahren eine langfristige Aufgabe dar.
Zielsetzung für Wohnungsbau „utopisch hoch“
Dennoch hält die Bundesregierung an ihren Zielen im Wohnungsbau fest – trotz aller Kritik. So stellte die DZ Bank Ende November fest, dass die Mietpreise in den Ballungsregionen aufgrund der geringen Neubaudynamik flächendeckend steigen werden. Die 400.000er-Marke sei in diesem Zusammenhang „utopisch hoch“. Aus dem Bundesbauministerium hieß es zudem ebenfalls Ende November 2022, dass die auch im Maßnahmenpaket enthaltene Förderkulisse von einer Milliarde Euro für private Wohnungsbauer erst innerhalb der ersten Jahreshälfte 2023 starten kann.
Beteiligte Akteure ziehen an unterschiedlichen Strängen
Dass es beim Wohnungsbau hapert, ist nicht nur den „außerordentlich schwierigen Rahmenbedingungen“ auf makroökonomischer Ebene zuzuschreiben, wie die Abschlusserklärung des Bündnisses konstatierte. Die 35 „Partner“ im Bündnis verfolgen zudem unterschiedliche Ziele. Vorgaben von höheren Instanzen wie etwa dem Bund werden nicht ernst genommen. Die Bauministerkonferenz der Länder ging Ende November ohne konkrete Ergebnisse zu Ende. Länder wie Bayern sehen sich von der Mehrzahl der knapp 100 geplanten, sie betreffenden Maßnahmen des Bündnisses nicht tangiert, da die Forderungen größtenteils schon umgesetzt seien.
Der Städtetag setzt ganz auf Kontrolle des Wohnungswesens beziehungsweise noch mehr öffentliche Partizipation. Von Vertrauen in die Immobilienwirtschaft ist in Deutschlands höchstem Kommunalgremium wenig zu lesen. Der Heidelberger Oberbürgermeister Eckart Würzner gab für den gesamten Städtetag zu Protokoll, dass das kommunale Vorkaufsrecht ausgeweitet werden müsse. Kommunale Grundstücke sollten vornehmlich für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen.
Ihre jeweiligen Hauptanliegen stellen auch weitere Bündnismitglieder in den Vordergrund. Pragmatismus oder gar Kooperationen mit Vertretern der Immobilienwirtschaft sind in ihren Verlautbarungen nicht zu erkennen. Die Bundesarchitektenkammer sorgt sich in erster Linie um die baukulturelle Qualität der neuen Wohnungen. Die Deutsche Umwelthilfe fordert noch mehr klimapolitischen Druck auf den Immobiliensektor angesichts des „verheerenden Status Quo“ im Gebäudebestand. Auch der Mieterbund zeigt sich unversöhnlich: Ein Großteil des Neubaus, so der Verband, sei für die meisten Mieter ohnehin nicht bezahlbar.
Geförderter Wohnraum im Fokus des politischen Diskurses
Preisgedämpfte Wohnungen stehen nicht nur oben auf der Agenda des Mieterbundes, sondern bilden für die Mehrheit der Bündnismitglieder ein Hauptanliegen. Mittelstandsförderung findet sich hingegen kaum. Die Aufstockung der Bundesfinanzhilfen, die neue Kategorie des sektoralen Bebauungsplanes für Innenstädte und eine mögliche Stundung der Grunderwerbssteuer sind Maßnahmen des Bündnisses, die sich vornehmlich auf sozialen Wohnraum beziehen sollen. Ein Viertel der jährlichen neuen Wohnungen sollen Sozialwohnungen sein. Aufgrund bestehender staatlicher Zuschüsse ist sozialer Wohnraum sogar für Investoren attraktiver, wie INDUSTRIA Ende November bekanntgab. Renditen von vier Prozent seien so wieder möglich, bei einer bundesweit einheitlichen Förderkulisse sogar mehr.
So scheint das Neubauziel im Bezug auf Sozialwohnungen sogar erreichbar, da hier ein seltener Schulterschluss zwischen Immobilienwirtschaft, Sozialträgern und Öffentlicher Hand vorliegt. Das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum trägt jedoch ein zweifaches Handicap: der Prüfvorbehalt bei den meisten der 187 Maßnahmen und die Fokussierung auf Partikularinteressen seitens der Mitglieder. Dass unter günstigen wirtschaftlichen Bedingungen die Zahl von 400.000 Wohnungen wiederum durchaus realistisch ist, zeigt ein Blick in das Jahr 1994: Vier Jahre nach der Wiedervereinigung entstanden im ganzen Bundesgebiet rund 583.000 Wohnungen.