Die Immobilienbranche in Deutschland durchlebt turbulente Zeiten. Dies führte dazu, dass Projektentwickler im zweiten Quartal 2023 laut Marktreport von bulwiengesa mit dem Bau von nur noch 8.000 Wohnungen begonnen haben. Davor waren es bis Ende 2022 pro Quartal noch etwa 30.000 neue Wohnungen. Zudem mehren sich die Insolvenzmeldungen. Was ist los bei den Projektentwicklern? Der Berliner Wohn- und Gewerbemakler QUIN Investment hat 25 Projektentwickler befragt, um ein klares Bild der aktuellen Lage zu zeichnen.
Zinsanstieg als treibende Kraft hinter der Krise der Projektentwickler
Die Immobilien- und Baubranche spürt den Zinsanstieg deutlich. Eine signifikante Anzahl der befragten Unternehmen, etwa 66 Prozent, gibt an, dass die stark gestiegenen Zinsen großen Einfluss auf ihre aktuellen Investitionsentscheidungen haben. Dabei betrachten rund elf Prozent den Zinsanstieg als sehr starken Faktor bei ihren Entscheidungen, während rund 22 Prozent den Einfluss als moderat einschätzen.
Die Hauptursachen für die Krise
Die Baubranche steht von vielen Seiten unter Druck. Neben dem anhaltenden Fachkräftemangel belasten hohe Baukosten und eine unzureichende staatliche Förderung die Branche. Weitere Problemlagen:
Laut Sebastian Skowronski, Head of Commercial Development der GBI AG, liegt der Hauptgrund für die angespannte Lage in einer Mischung von mehreren Faktoren: „Es ist ein bisschen von allem. Einer der Hauptpunkte ist sicherlich, dass durch die Zinserhöhungen die Renditeerwartungen für Endinvestoren gestiegen sind, was wiederum die Kaufpreisfaktoren reduziert. Die in den letzten Jahren stark gestiegenen Baukosten belasten unsere Kalkulationen weiterhin. Als letztes sind die Kaufpreiserwartungen bei Grundstücken in vielen Fällen noch zu hoch für ein wirtschaftliches Projektergebnis.“
Diese Faktoren bringen einige Projektentwickler in ernsthafte Schwierigkeiten. Beispielsweise haben allein im Monat August Unternehmen wie der Düsseldorfer Projektentwickler Development Partner, die Project Immobilien Gruppe aus Nürnberg oder die Euroboden GmbH aus München Insolvenz anmelden müssen.
Profi Select, ein Unternehmen, das sich auf die Entwicklung und den Vertrieb von hochwertigen Neubauprojekten spezialisiert hat, beschreibt die Situation wie folgt: „Zahlreiche Marktteilnehmer haben ihre Projekte gestoppt. Die Unsicherheiten aus der Politik und das Eingreifen in laufende Projekte im Rahmen des GEG-Gesetzes, gepaart mit dem Zinsanstieg und den anhaltend hohen Baukosten, erschweren die Umsetzung der Projekte.“ Damian Speidel - Leiter Vertrieb & Projektsteuerung von Profi Select führt weiter aus: „Die größte Herausforderung ist die Finanzierbarkeit der Wohnungen für die Endkunden. Hohe Zinsen und unzureichende Förderungen im Neubaubereich machen die Haushaltsrechnung untragbar.“
Wie reagiert die Branche auf diese Situation am Immobilienmarkt?
Die Immobilienbranche muss sich anpassen. Projektentwickler fassen laut der Umfrage von QUIN Investment besonders effizientere Prozesse und geänderte Geschäftsstrategien ins Auge. Zudem wird vermehrt nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten Ausschau gehalten:
Größte Herausforderungen für Projektentwickler
Die Antworten auf die Frage, welche Herausforderungen die Unternehmen in den nächsten zwölf Monaten als am größten einschätzen, waren recht gleichmäßig verteilt. An erster Stelle steht der Fachkräftemangel, der von etwa 32 Prozent der Befragten als größte Herausforderung gesehen wird. Dieser Mangel beeinträchtigt die Fähigkeit der Branche, den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden und qualitativ hochwertige Projekte rechtzeitig und im Budgetrahmen zu liefern. Die gestiegenen Zinsen wurden von 26 Prozent weiter als bedeutende Hürde genannt.
Die hohen Baukosten, die in den letzten Jahren rapide gestiegen sind, wurden von 21 Prozent der Befragten hervorgehoben. Diese Kosten belasten nicht nur die Profitabilität von Bauprojekten, sondern führen auch zu höheren Kaufpreisen für Endverbraucher. Schließlich sehen 16 Prozent der Befragten die anhaltend hohe Inflation als große Herausforderung an. Die Inflation erhöht die Betriebskosten und beeinflusst die Kaufkraft der Verbraucher, was wiederum Auswirkungen auf die Nachfrage am Immobilienmarkt hat.
Wunsch nach klaren politischen Rahmenbedingungen
Die Politik plant in Deutschland pro Jahr den Bau von 400.000 Wohnungen. Dieses Ziel wurde mit 295.000 Wohnungen laut Destatis (Statistisches Bundesamt) im Jahr 2022 deutlich verfehlt. Durch die angesprochenen Punkte scheint auch hier kurzfristig keine Besserung in Sicht. Dabei spielt die Politik nach Meinung der Projektentwickler eine große Rolle zur möglichen Verbesserung der Situation im Wohnungsbau. Rund 43 Prozent Prozent sehen in klaren politischen Rahmenbedingungen die Chance auf eine positive Entwicklung am Immobilienmarkt.
„Egal ob wir uns mit privaten Bauherren, mittelständischen Unternehmen oder großen Projektentwicklern unterhalten, der Wunsch nach politischer Stabilität und klaren, planbaren Rahmenbedingungen ist in der Immobilienbranche groß, vor allem in Berlin,“ sagt Stephan Brüning, Geschäftsführer von QUIN Investment. „Zudem wünschen sich viele den Abbau von Bürokratie, die Lockerung von Bauvorgaben oder dass die Verwaltung mithilfe von Digitalisierung effizienter wird,“ ergänzt Jebo Samuels, ebenfalls Geschäftsführer vom Immobilienmakler QUIN Investment.
Wie entwickeln sich die Bautätigkeit und die Zinsen?
Die Meinung der Projektentwickler hinsichtlich der zukünftigen Bautätigkeit in den nächsten zwei Jahren ist relativ eindeutig. 89 Prozent gehen davon aus, dass die Neubauaktivitäten zurückgehen werden. Nur elf Prozent glauben, dass die Neubautätigkeit gleich bleibt.
Bei der zukünftigen Zinsentwicklung sieht die Situation nicht so eindeutig aus. Lucio Geral, Baufinanzierungsspezialist der Baudarlehen24 GmbH, schätzt die Lage wie folgt ein: „Die Baubranche wurde politisch leider vergessen, obwohl sie mit knapp einer Million Mitarbeitern eine der größten Branchen in Deutschland ist. Wir erleben einen massiven Rückgang im Neubausektor und viele geplante Projekte werden abgesagt oder unterbrochen, sodass der Wohnungsmarkt sich eher verschlechtert, als erholt (trotz der jährlich geplanten 400.000 Neubauwohnungen).
Diese Situation kommt natürlich auch direkt im Finanzierungsmarkt an, sodass im Verhältnis zu Bestandsobjektfinanzierungen deutlich weniger Neubaufinanzierungen bei uns angefragt werden. Die oft unklaren und schnell vergriffenen Förderprogramme für energieeffiziente Neubauten, befeuern diese Entwicklung leider. Auf Bankenseite ist die Risikobereitschaft hinsichtlich Projektfinanzierungen ebenfalls gesunken, da häufig unklar ist, welche Margen sich im Exit ergeben - da weder für die Bank noch für den Bauträger seriös zu planen ist, wie sich der Markt in den nächsten zwei bis drei Jahren entwickelt und ob heute kalkulierte Verkaufspreise zur geplanten Fertigstellung überhaupt noch erzielbar sind.“
Für die zukünftige Zinsentwicklung ergänzt der Finanzierungsexperte: „Die Banken haben in weiser Voraussicht, dass die EZB die Leitzinsen erhöhen wird, das Baugeld in den letzten Wochen und Monaten meist schon vorgepreist, sodass wir aktuell keine weiteren Erhöhungen im Finanzierungszins zu erwarten haben. Einige Bankanalysten sehen sogar eine leichte Erholung im Zinsmarkt ab dem zweiten oder dritten Quartal in 2024. Diesen Optimismus teilen wir Finanzierungsvermittler.“
Die Meinung der vorerst stabilen Zinsen, teilt auch die Mehrheit der Projektentwickler, wobei etwa 33 Prozent in den nächsten ein bis zwei Jahren von sinkenden Zinsen ausgehen. Von weiter steigenden Zinsen wird derzeit nicht ausgegangen:
Die Branche der Projektentwickler ist im Umbruch
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Branche im Umbruch ist und eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre und Jahrzehnte meistern muss. Bei einigen führt dies zur Optimierung des Betriebes und der Prozesse. Parallel wird es zur Konsolidierung des Marktes kommen. Einige Unternehmen werden aufgeben müssen oder sich in völlig anderen Geschäftsbereichen betätigen. Wie immer in solchen Zeiten gibt es Herausforderungen, aber auch neue Chancen. Die Abnahme der Bautätigkeit, könnte zum Beispiel zumindest dazu führen, dass die hohen Baukosten sich wieder normalisieren.