Dr. Jürgen Schneider und René Benkos Signa: Zwei Pleiten – ein Muster?

Dr. Jürgen Schneider und René Benkos Signa: Zwei Pleiten – ein Muster?

Dr. Jürgen Schneider und René Benkos Signa: Zwei Pleiten – ein Muster?
So sollte der Elbtower aussehen. Foto: picture alliance / SIGNA_Chipperfield/HafenCity Hamburg GmbH

Prof. Dr. Susanne Ertle-Straub, Professorin für Immobilienwirtschaft an der HAWK in Holzminden, hat gemeinsam mit Lea Aldag, Brendan Lubs, Lisa Mertensmeier sowie dem 3. Mastersemester Immobilienmanagement der HAWK Holzminden die beiden Unternehmungen untersucht. Das Institut für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft hat IMMOBILIEN AKTUELL diesen Artikel zur Verfügung gestellt.

IMMOBILÉROS - Der Podcast für die Immobilienbranche

Die Studierenden gingen der Frage nach, ob sich Parallelen zwischen dem einstigen „Baulöwen“ Jürgen Schneider und der Signa-Gruppe von René Benko ziehen lassen. In Gruppenarbeit setzten sie sich dabei mit unterschiedlichen Aspekten auseinander: Sie analysierten und verglichen die Unternehmens- sowie Finanzierungsstrukturen beider Akteure, untersuchten die Bewertungsverfahren der jeweiligen Immobilienportfolios und beleuchteten die Rolle der Medien in beiden Fällen. Ergänzend wurde das Verhalten der Gründer einer Behaviour-Analyse unterzogen. Abschließend standen die Auswirkungen der Insolvenzen auf verschiedene Stakeholder im Fokus der Betrachtung.

Die spektakulären Insolvenzen von René Benkos Signa Holding (gegründet im Jahr 2000) und Dr. Jürgen Schneiders Immobilienimperium (gegründet im Jahr 1981) liegen Jahrzehnte auseinander, doch ihre Strukturen weisen zahlreiche Ähnlichkeiten auf. Sie sind nicht nur Beispiele für gescheiterte Geschäftskonzepte, sondern auch Lehrstücke über intransparente Finanzkonstruktionen, unreguliertes Wachstum und die fatale Wirkung von blindem Vertrauen. Beide Unternehmer wendeten verschiedene Methoden an, um ein System aufzubauen, das auf der Täuschung von Investoren und Banken beruhte.

Unternehmensstruktur

Schon bei der Unternehmensstruktur zeigt sich ein Muster. Jürgen Schneider gründete mehr als 200 Strohmann- und Treuhandfirmen, um seine Finanzierungsstrukturen zu verschleiern. René Benko übertraf dies mit einem Firmengeflecht aus über 1.000 Firmen, über das nur er selbst den Überblick behielt. Besonders deutlich wurde dies durch das Organigramm, welches in vereinfachter Darstellung bereits 46 DIN-A3-Seiten umfasste. Beide nutzten Tochter- und Scheinfirmen, um die mangelnde Kreditwürdigkeit zu verschleiern und Steuern zu optimieren.

René Benko nutzte gezielt 130 Firmen in Luxemburg, um Gewinne deutscher Gesellschaften nahezu steuerfrei ins Ausland zu transferieren. Gesetzeslücken ermöglichten die Umgehung von Transparenzpflichten. Durch den Status einer „kleinen GmbH“ nach österreichischem Recht war er, trotz Milliardenumsätzen, nicht zur Erstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet. Offenlegungspflichten wurden ignoriert. Verspätete Bilanzen führten zu Geldstrafen, die als steuerlich absetzbare Personalkosten deklariert wurden. Außerdem sicherte René Benko Teile des Unternehmenskapitals in Privatstiftungen für seine Familienangehörigen. Zum Beispiel erwarb die INGBE Stiftung im Gegenzug zu de facto wertlosen Aktienanteilen der Signa Prime, die Luxusimmobilie Villa Eden (Wert: 46,3 Millionen Euro) von der Signa Holding. Share Deals halfen dabei, Grunderwerbsteuern zu umgehen. Im Aufsichtsrat der Signa Holding GmbH kam es zu einer Fluktuation bekannter Mitglieder, was die Instabilität des Unternehmens unterstrich.

Jürgen Schneider versteckte ebenfalls mindestens 45 Millionen DM in Trusts für seine Geschwister und Kinder auf der Kanalinsel Jersey. Hierdurch konnte er den Gläubigern und Finanzämtern den Zugriff auf das Vermögen entziehen. Bei der Dr. Schneider AG bestand der Vorstand aus vertrauten Personen und somit mangelnder Kontrolle. Ein Aufsichtsrat existierte nicht. Die „Ära Schneider“ war stark geprägt von nationalen Regelungen, während Signa in einem globalisierten und stärker regulierten Umfeld operierte.

Finanzierungsstrukturen

Die Banken und Investoren waren wesentlich am Aufstieg und Fall der Unternehmen beteiligt. Jürgen Schneider gelang es, bei 55 Banken insgesamt 6,7 Milliarden DM Kredite aufzunehmen, allein 1,2 Milliarden DM bei der Deutschen Bank. Der Vertrauensvorschuss war immens – Kredite wurden mit unzureichenden Sicherheiten gewährt. Besichtigungen oder Plausibilitätsprüfungen fanden nicht statt.

Bei René Benko summierten sich die Verbindlichkeiten auf etwa 9, 25 Milliarden Euro verteilt auf 94 Banken. Das „Karussell“ aus Neubewertungsgewinnen diente als Grundlage für höhere Kredite. Am „Elbtower“ in Hamburg zeigte sich exemplarisch die Rolle der Banken bei Signa. Für die Baugenehmigung war eine Vermietungsquote von 30 Prozent vor Baubeginn nötig. Benko konnte dies zunächst nicht nachweisen, präsentierte dann aber die Hamburg Commercial Bank (HCOB) als Mieter für 11.000 Quadratmeter. Problematisch war, dass die Bank bereits ein Gebäude besaß, welches Signa für 220 Millionen Euro kaufte, obwohl sie dafür 166 Millionen von der HCOB selbst dafür leihen musste. Es wurde vermutet, dass der Kaufpreis absichtlich überhöht war, um eine direkte Subvention der späteren Miete zu ermöglichen und die Quote zu erfüllen.

Bewertungsverfahren

Der Fall Jürgen Schneider steht für einen der größten Immobilienskandale der Nachkriegszeit. Sein Handeln war geprägt von systematischen Manipulationen bei der Immobilienbewertung. Er benutzte bewusst die Verwirrung verschiedener Flächenangaben, deklarierte häufig die Nettogrundfläche als Mietfläche, um den Eindruck höherer Ertragskraft der Immobilien zu erwecken. Dies wurde etwa bei der Zeilgalerie “Les Facettes”, deutlich. Anstatt 9.000 Quadratmetern Nutzfläche wies Jürgen Schneider die Bruttogeschossfläche von 20.000 Quadratmetern als Nutzfläche aus, um höhere Kredite zu erschleichen. Eine Kontrolle hätte durch einen Blick auf das Baustellenschild leicht erfolgen können. Die höhere Nutzfläche belegte er mit gefälschten Bauplänen und Mietverträgen. Diese falschen Angaben führten zu massiv erhöhten Verkehrswerten. Erfundene Größen und Geschossflächen, sogenannte „Phantomflächen“ flossen in die Kreditgewährung ein. Überhöhte Mieten weit oberhalb der Marktmieten erhöhten die Ertragswerte, die Banken von der vermeintlichen Rentabilität der Projekte überzeugte. Das eigene Gutachternetzwerk bestehend aus Tochterfirmen suggerierten eine unabhängige Überprüfung der Immobilienwerte.

Ein wesentliches Instrument bei Signa, um die Kreditsummen zu erhöhen, war die Bewertung der Immobilien nach IFSR. Das Fair-Value-Model ist marktorientiert, bringt jedoch Volatilität in die G+V. René Benkos Ansatz bei der Immobilienbewertung basiert auf einer Kombination aus prominenten Lagen, dynamischer Bewertung und einer aggressiven Mietpolitik. Der Aufwertungs-Finanzierungskreislauf kann zu einem besseren Ergebnis führen. Dieses System kippte mit dem Anstieg der Zinsen 2022.

Zur Rolle der Medien

Medien und Öffentlichkeit spielten für beide Unternehmer eine entscheidende Rolle. René Benko erkannte die Bedeutung strategischer Medienkontrolle und investierte gezielt in Verlage wie Kurier und Krone. Er wurde als “geschäftliches Wunderkind” gefeiert, bis sein Image durch die negative Berichterstattung in Folge der Insolvenzen zerfiel.

Jürgen Schneider nutzte einen subtileren Ansatz: Er lud Journalisten zu seinen Prestigeprojekten ein, lenkte den Fokus auf seine beeindruckenden Bauvorhaben und schuf damit das Bild eines visionären Stadtentwicklers. Obwohl sein Schwindel aufflog und er inhaftiert wurde, wird Jürgen Schneider durch die Aufwertung der Innenstädte zum Teil als “Deutschlands beliebtester Verbrecher” angesehen.

Neben der Rolle der Medien erkannte vor allem René Benko die Bedeutung von einflussreichen Beziehungen. Er pflegte den Kontakt zu Politikern und Geschäftspartnern auch durch Veranstaltungen wie beispielsweise das „Törggele-Fest“, welches bei bekannten Persönlichkeiten als „DAS Ereignis“ des Jahres galt. Nach den Unternehmensinsolvenzen gerieten ebenfalls Personen, die mit ihm in engem Kontakt standen in Verruf.

Jürgen Schneider pflegte seine Geschäftsbeziehungen subtiler im Rahmen von „Audienzen“ in seiner Villa André. Im Unterschied zu Benko präsentierte er sich selten vor großen Gruppen und sein Netzwerk blieb im Vergleich überschaubar. Stattdessen nutzte er seine hohe Beliebtheit bei den verschiedenen konkurrierenden Banken, um Druck auf die Bankvertreter auszuüben.

Behaviour-Analyse der Gründer

Dieser Abschnitt beleuchtet das psychologische sowie soziologische Verhalten von René Benko und Dr. Jürgen Schneider, was diese zu ihren täuschenden und betrügerischen Entscheidungen und Handlungen veranlasste. Dr. Jürgen Schneider ist am 30.4.1934 in Frankfurt geboren. Nach Lehre und Studium des Bauingenieurwesens und einer Promotion in Staatswissenschaften stieg er in die Baufirma seines Vaters ein. Differenzen zwischen Vater und Sohn führten zur Gründung des eigenen Unternehmens.

René Benko wurde 1977 in Innsbruck geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Mit 17 brach er die Schule ab und machte sich mit Sanierungen von Dachgeschossen selbständig. Das Verhalten der Männer lässt sich durch die Analyse ihrer Motivation, ihres Risikoverhaltens, ihrer Selbstinszenierung, Täuschung, Netzwerke und ihres öffentlichen Auftretens besser verstehen. René Benkos Ziel war es, die spätere Signa als europäische Industrie- und Beteiligungsholding zu etablieren so „Der Standard“ 2023, vergleichbar mit bekannten Familienunternehmen wie Agnellis oder Oetkers. Jürgen Schneider hingegen wollte den Erwartungen des Vaters trotzen und diesen übertreffen.

Auswirkungen der Insolventen auf die Stakeholder

Im Falle „Schneider“ führte die Insolvenz zu rund 3.000 Arbeitsplatzverlusten. Bei Signa waren rund 46.000 Mitarbeiter betroffen. Die Forderungen von Handwerksbetrieben blieben bei Jürgen Schneider bei circa 250 Millionen DM offen. Bei Signa führten ausstehende Zahlungen von rund 8,6 Milliarden Euro zu Baustopps und Insolvenzen von Subunternehmen. Die Kreditausfälle der Banken sind bereits erwähnt. Die „Schneider-Immobilien“ führten zu städtebaulicher Aufwertungm(Mädler-Passage Leipzig, Bernheimer-Palais München). René Benko hinterließ Baustopps und Planungsunsicherheiten sowie Rufschäden der betroffenen Kommunen.

Das Ende

Jürgen Schneider trieb sein Spiel so lange, bis er schließlich am 14.04.1994 die Flucht ergriff und die Banken und Bauunternehmen auf den offenen Forderungen sitzen ließ. Er wurde nach 13 Monaten Flucht im Mai 1995 in Miami, USA, schließlich festgenommen und am 23.12.1997 zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Nach der Insolvenz der Dr. Jürgen Schneider AG wurden Regularien eigeführt wie eine strengere Kreditwürdigkeitsprüfung (§ 18 KWG), erhöhte Eigenkapitalforderungen gemäß damals den Basel II-Regeln sowie die Befugnisse der Bankaufsicht erweitert.

René Benko hingegen konnte sein „Kartenhaus“ bis zum Anstieg der Zinsen und der Krise im Einzelhandel stabil halten. Bereits 2018 überstiegen die Kreditraten der Signa den operativen Cashflow. Dies war jedoch nach außen nicht erkennbar, da die Signa Holding als “kleine GmbH” nach österreichischem Recht keine konsolidierte Unternehmensbilanz erstellen musste und Liquidität hierdurch zwischen den Firmen hin und her transferieren konnte, ohne dass die Lücken in der Finanzierungsstruktur auffielen. Als diese nicht mehr zu verbergen waren, wurde der Anstieg der Baukosten und der Zinsen als Grund für die Zahlungsschwierigkeiten vorgeschoben.

Durch den Vertrauensverlust der Gläubiger und die hohen Verbindlichkeiten rutschten die Unternehmen der Signa Gruppe nach und nach in die Insolvenz. Schließlich wurde auch René Benko am 23.01.2025 in Innsbruck, Österreich, festgenommen. Aktuell wird wegen mehrerer Insolvenzdelikte, Bestechung und Betrug gegen René Benko ermittelt.

Beide nutzten ein intransparentes Firmengeflecht und das große Vertrauen ihrer geschäftlichen Partner zu ihrem Vorteil. Während Jürgen Schneiders betrügerische Methoden primitiv, aber effektiv waren, basierte René Benkos Strategie auf der legalen aber kontroversen Überbewertung von Immobilien.

Zur Prävention solcher betrügerischer Handlungen sind Transparenz von Unternehmensstrukturen, konsolidierte Daten, Aufsichtsräte mit Branchenerfahrung und nicht zuletzt mehr Haftung von Verantwortlichen erforderlich. Die Regularien bedürfen deshalb einer stetigen Weiterentwicklung und nicht zuletzt Anforderungen an Compliance. Beide Fälle zeigen, dass Erfolg, der auf Betrug, Täuschung und Korruption basiert, letztlich zum Scheitern verurteilt ist.

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