Die Expertenkommission zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen hat eine Website im Internet freigeschaltet, mit der mehr Transparenz geschaffen werden soll. Aus einem Redebeitrag des Deutsche-Wohnen-Enteignen-Sprechers Rouzbeh Taheri geht hervor, dass den Aktivisten bewusst ist, dass durch Enteignungen die Mieten nicht sinken. Doch genau damit hatten sie für die Enteignung geworben ...
Nicht hinter verschlossenen Türen sollte die Expertenkommission zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen tagen, sondern so öffentlich wie möglich. Doch erst rund sechs Wochen nach der ersten großen öffentlichen Anhörung „Aktuelle Lage des Wohnungswesens“ am 9. Juni 2022 ist die versprochene Internetseite freigeschaltet worden.
Neben Terminen und Unterlagen zum Download erfährt nun auch das verlinkte Video der vierstündigen Sitzung mehr Aufmerksamkeit und beweist bei der Diskussion am Ende Brisanz. Denn zum Thema möglicher Mietsenkungen durch Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen erklärt Prof. Harald Simons vom Forschungsinstitut empirica: Die Gewinne der börsennotierten Immobilienunternehmen kämen aus der Höherbewertung in der Bilanz, nicht aus den Mieten: „Das heißt in keiner Weise, dass sie die Mieten senken können.“ Daraufhin räumte Rouzbeh Taheri, Sprecher der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen in Bezug auf Mietsenkungen nach einer Vergesellschaftung ein: „Es stimmt, dass man die Mieten in der Fläche nicht groß senken können wird.“
Enteignungen werden die Mieten nicht absenken
Das widerspricht den Versprechungen, die den Berlinern von den Aktivisten vor dem Volksentscheid am 26. September 2021 gemacht worden sind. Die Initiative zielt auf die Enteignung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen – wie Vonovia und Deutsche Wohnen oder Adler Group – ab. Auf ihrer Webseite argumentieren die Aktivisten bis heute: „Durch die Vergesellschaftung könnten in über 240.000 Wohnungen die Mieten gesenkt werden.“ Und weiter: „Die Mietsenkungen hätten auch einen Einfluss auf den restlichen Wohnungsmarkt.“
In der Hoffnung auf billige und sinkende Mieten haben 59,1 Prozent der Berliner, die zur Wahl gegangen sind, auch das Ja für den Volksentscheid angekreuzt. Bei der Anhörung erklärte Rouzbeh Taheri nun lediglich, man wolle die Verfügungsgewalt über den privaten Wohnungsbestand, um hohe Quoten für die Belegung der Wohnungen mit Inhabern von Wohnberechtigungsscheinen zu sichern, die also Anrecht auf eine geförderte Miete haben. „Wir wollen die Bestände im Besitz des Landes, damit wir die soziale Wohnraumversorgung in dieser Stadt gewährleisten können.“
Bewusste Täuschung der Berliner Mieter durch Enteignungsaktivisten?
Björn Matthias Jotzo, Abgeordneter der Berliner FDP und Rechtsanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, sieht die Berliner getäuscht. Er twitterte: „Sowohl die Linksfraktion als auch DWenteignen bestreiten, die Wähler belogen zu haben. Dabei steht die Mietsenkungslüge weiter bei der Initiative im Netz.“ Und nicht nur dort. Die Aussagen der Enteigner sind auch in einer Sendung beim öffentlich-rechtlichen RBB mit Nils Hagemann unter dem Titel „Wie eine Initiative durch Enteignung deine Miete senken will“ vor zehn Monaten dokumentiert. Darüber hinaus ist in diversen Drucksachen der Initiative von einer Miete von 4,04 Euro pro Quadratmeter die Rede.
Die Expertenkommission muss sich nun trotz allem mit der Frage befassen, ob eine Enteignung nach dem Grundgesetz möglich und finanzierbar ist. Interessant sind dazu die Daten von empirica, die Prof. Harald Simons der Kommission vorgestellt hat. Sie lassen den Schluss zu, dass die Zeit der großen Mietsprünge in Berlin aus mehreren Gründen vorbei ist und sich die Mieten konsolidieren. Ganz ohne Enteignung. In der Diskussion wird immer wieder betont, dass die Mieten in der Hauptstadt um 94 Prozent gestiegen sind. Außer Acht gelassen wird dabei der Zeitraum – nämlich von 2005 bis 2021, also innerhalb von 16 Jahren.
In dieser Zeit sind sie von rund fünf auf rund zehn Euro gestiegen: ausgehend von einer der Historie geschuldeten niedrigen Basis. In München sind die Mieten seither von zehn auf 18 Euro gestiegen, also um 78 Prozent. „Aufgrund des Basiswertes haben wir diesen sehr viel stärkeren Anstieg.“ Der Zuwachs habe sich in Berlin seit 2018 deutlich verlangsamt, „deutlich vor der Mietendeckel-Diskussion“.
Berlin wächst langsamer - konsolidieren sich dadurch die Mieten auch ohne Enteignung?
Ursache für den Mietanstieg sei das Wachstum der Stadt von 2010 bis 2017 gewesen, auch durch den starken Zuzug von Flüchtlingen nach 2015. Seither – und nicht erst seit der Pandemie – wächst Berlin nicht mehr so stark. „Die starke Wachstumsphase ist klar zu Ende gegangen.“ Flankierend habe es ein wirtschaftliches Wachstum und ein breites Wachstum bei den Einkommen gegeben. So habe sich zum Beispiel die Zahl der sozialversicherungspflichtig angestellten Akademiker seit 2013 verdoppelt – auf rund eine Viertelmillion. Dagegen sei die Anzahl der Hartz-IV-Haushalte in Bezug auf alle Haushalte von 18 auf 13 Prozent gesunken.
Mehr Neubau habe inzwischen einen leicht steigenden Leerstand zur Folge. Fazit des Experten: Die Zeiten der stürmischen Bevölkerungsentwicklung seien vorbei und entsprechende Prognosen zu optimistisch. Der Leerstand nehme ab, aufgrund von Neubau. Die Einkommen steigen. Die Mietbelastungsquote sinkt – auch im Bestand.