Am 26. September 2021 haben sich die Berliner in einem Volksentscheid für eine Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen. Im Mai 2022 begann eine 13-köpfige Expertenkommission unter Leitung der früheren Bundesjustizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) zu prüfen, ob ein Enteignungsgesetz verfassungskonform wäre. Am 28. Juni 2023 hat nun das Gremium seinen 153-seitigen Abschlussbericht zum Volksentscheid „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ an den Senat von Berlin übergeben.
Im Rahmen der Übergabe im Roten Rathaus hat die Kommissionsvorsitzende den Bericht dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler überreicht.
Abschlussbericht der Expertenkommission zum Volksentscheid „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“
Der Abschlussbericht fasst die Beratungsergebnisse der Kommission zusammen. Die wesentlichste Erkenntnis: Eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen ist aus juristischer Sicht grundsätzlich möglich. Eine Vergesellschaftung werde weder durch die Gesetze des Landes Berlin noch durch die europäische Gesetzgebung ausgeschlossen.
Besonders intensiv seien das Gebot der Verhältnismäßigkeit und die Frage der Entschädigung im Falle einer Vergesellschaftung diskutiert worden. Kai Wegner erklärte bei der Übergabe, dass sich nun der Senat den Bericht genauer anschauen und hernach ein entsprechendes Rahmengesetz entwerfen werde. Er bekräftigte zudem seinen bereits im Vorfeld geäußerten Standpunkt, dass er die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen kritisch sehe und für den falschen Weg halte.
Der Abschlussbericht ist auf der Webseite der Kommission abrufbar:
Reaktionen aus Politik und Branche
Frontalangriff auf die Eigentumsgarantie
Jacopo Mingazzini, Vorstand der The Grounds Real Estate Development AG: „Der von der Kommission vorgelegte Abschlussbericht enthält einen Frontalangriff auf die Eigentumsgarantie und auf die Wirtschaftsverfassung unseres Landes. Stellenweise liest es sich eher wie Floskeln aus einem Marxismus-Leninismus-Seminar, wenn beispielsweise eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder der Auffassung ist, die Vergesellschaftung könne auf sämtliche Bestände sogenannter kapitalmarktorientierter Unternehmen ausgerichtet werden, und gleichzeitig erklärt, die damit verbundene Ungleichbehandlung lasse sich durch die besondere Form der Wertschöpfung durch solche Unternehmen rechtfertigen.
Im Prinzip heißt das nichts anderes, als Unternehmen bewusst wegen der Wahl ihrer Rechtsform und ihrer Finanzierungswege zu diskriminieren, die bewährt, völlig legal und aus gutem Grund auch von den entsprechenden gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen sind. Sollte sich die Berliner Landesregierung oder irgendeine andere Regierung in Deutschland diese Auffassung zu eigen machen, wäre dies ein fataler und durch nichts zu rechtfertigender Nackenschlag für große Teile der Wirtschaft unseres Landes. Schlimmer ließe sich die Bedeutung Deutschlands als Wirtschaftsstandort kaum unterhöhlen."
Linke Phantasten legen Axt an die Wurzel des Wirtschaftsstandorts Berlin
Christoph Meyer MdB, Landesvorsitzender der FDP Berlin: „Die mit linken Phantasten besetzte Enteignungskommission kommt zum wenig überraschenden Ergebnis, dass ein Frontalangriff auf unsere Wirtschaftsordnung möglich sei. Dies wäre ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte und legt die Axt an die Wurzel des Wirtschaftsstandorts Berlin. Dazu kommt auch noch, dass die CDU Berlin im Koalitionsvertrag Enteignungen im Grunde zugestimmt hat. Damit ebnet sie dem Gedankengut von SED und Alternativer Liste den Weg. Jetzt muss der Regierende Bürgermeister endlich Führung beweisen und ein Machtwort sprechen, sonst sind die Hauptstadt und die Berliner CDU endgültig im „links-sozialistischen Weiter-so“ angekommen. In Berlin darf es keine solchen Eingriffe in Privateigentum geben. Die katastrophale Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist überwiegen hausgemacht, da in diesem toxischen Investitionsklima nicht genug gebaut wurde. Wenn die Koalition sich jetzt nicht um 180 Grad dreht, dann wird Berlin zur Hauptstadt des Volkeigentums. Das kann und darf nicht im Sinne von Schwarz-Rot sein.“
Vergesellschaftung ist unverhältnismäßig, verfassungswidrig und teuer
Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW: „Die Einschätzung der Kommission ändert nichts an der Tatsache, dass wir eine Vergesellschaftung für unverhältnismäßig und verfassungswidrig halten. Zudem wären die Pläne der Initiative vor allem eines: teuer für alle Berlinerinnen und Berliner. Erneut muss nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob ein politisches Experiment in Berlin zulässig ist. Fest steht: Nicht alles, was theoretisch rechtlich möglich ist, ist gleichzeitig auch sinnvoll. Die Vorhaben der Enteignungsinitiative bedeuten eine massive Verunsicherung aller Investoren und schaden ganz Deutschland als Wirtschaftsstandort. Diese negative Strahlwirkung beschränkt sich nicht nur auf den Bereich des Wohnens, sondern wirkt sich negativ auch auf ganze Industriezweige und damit auf die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität unseres Landes aus. Nicht nur, dass die Bezahlbarkeit des Vorhabens grundsätzlich anzuzweifeln ist. Viel schlimmer noch: Die finanziellen Möglichkeiten für den Bau bezahlbarer Wohnungen und die notwendige klimaschonende Modernisierung bestehender Wohnungen würden sich schlagartig in Luft auflösen.“
Gerichtlich eindeutige Klärung unbedingt notwendig
Uwe Bottermann, Partner und Rechtsanwalt bei Bottermann Khorrami: „Die neue Berliner Regierung wird nun auf Basis der Empfehlungen der Kommission ein Vergesellschaftungsrahmengesetz planen und gegebenenfalls verabschieden. Das Gesetz soll dann erst nach zwei Jahren in Kraft treten, damit es noch vor Gericht überprüft werden kann. Dieser Weg ist richtig. Denn der Segen der Kommission kann die notwendige gerichtliche Klärung nicht ersetzen. Jedenfalls die dem Vernehmen auch in der Kommission umstrittenen Themen wie Sperrwirkung der Berliner Landesverfassung, Verhältnismäßigkeit oder Entschädigungshöhe werden nicht ohne Gerichtsentscheidung auskommen. Diese und andere Aspekte müssen vor der ersten Enteignung belastbar geklärt sein. Sonst entsteht während der gerichtlichen Verfahrensdauer für alle Beteiligten erheblicher Schaden, der nicht mehr rückgängig zu machen wäre.
Die Entscheidungsträger haben daher offenbar aus den Fehlern beim Mietendeckel oder den Vorkaufsrechten gelernt und wollen juristisches Neuland erst dann betreten, wenn dessen Tragfähigkeit gerichtlich feststeht. Unabhängig davon dürften Enteignungen die tatsächlichen Probleme nicht lösen. Stattdessen schreckt die Möglichkeit von Enteignungen wichtige Akteure im Wohnungsmarkt weiter ab, obwohl diese sich für die kooperative Lösung der Wohnungsnot einsetzen."
Nicht alles, was juristisch möglich ist, ist auch klug
Kerstin Huth, Vorstandsvorsitzende des IVD Berlin-Brandenburg: „Der Bericht der Expertenkommission ist kein Startschuss für Enteignungen. Auch innerhalb der Kommission gab es offensichtlich unterschiedliche Rechtsauffassungen. Deshalb halten wir den Weg, den die Berliner Regierungskoalition einschlagen möchte, für richtig: zunächst ein Rahmengesetz auf den Weg bringen und dieses dann durch das Bundesverfassungsgericht prüfen lassen. Juristisch fragwürdig erscheint uns nämlich weiterhin, ob die Höhe der Entschädigungen von der Finanzkraft des Käufers abhängig gemacht werden darf. Auch die Grenze von 3.000 Wohnungen ist rechtlich kaum zu begründen. Wir hoffen also, dass Berlin sich nicht schon wieder mit einem juristisch fragwürdigen Sonderweg lächerlich macht, sondern sehr genau prüft, was sinnvoll ist. Nicht alles, was juristisch möglich ist, ist auch klug.“
Grundlegende Zweifel an der Zulässigkeit der Vergesellschaftung bleiben
Maren Kern, Vorständin Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V.: „Die noch vom zwischenzeitlich abgewählten Vorgängersenat eingesetzte Expertenkommission hat ein erwartbares Ergebnis übergeben. Bereits seit dem Zwischenbericht vom Dezember letzten Jahres war klar, wohin die Reise gehen würde: dass die Kommission eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen für machbar hält. Der heute vorgelegte Endbericht ändert trotzdem nichts an ganz grundlegenden Zweifeln an der Zulässigkeit eines solchen Schritts. Sogar innerhalb der Kommission gab es bei zentralen Punkten Unsicherheit bis hin zum Dissens, beispielsweise bei der Frage der Entschädigungshöhe und der Verhältnismäßigkeit einer Vergesellschaftung. [...] Deshalb bleiben wir bei unserer Überzeugung: eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen ist weder mit dem Grundgesetz noch der Berliner Landesverfassung vereinbar noch wäre sie finanzierbar. [...]
Für Berlin heißt der Endbericht und die nun beginnende Arbeit an einem Vergesellschaftungsrahmengesetz vor allem: ein weiterer gravierender Zeitverlust für eine auf Neubau ausgerichtete, das Wachstum der Stadt abbildenden Wohnungspolitik sowie ein weiteres Abschrecken von Investoren mit der Folge von sinkenden Investitionen in den dringend notwendigen Neubau und Klimaschutz. Deshalb wäre eine Vergesellschaftung auch der völlig falsche Weg, um die großen Probleme am Berliner Wohnungsmarkt zu lösen. Berlin als stark wachsende Stadt braucht ein entsprechend wachsendes Wohnungsangebot. Das entsteht aber nur durch Neubau, nicht durch Enteignungen. Wir sind davon überzeugt, dass am Ende dieses Weges weniger Neubauwohnungen sowie ein weiteres verfassungsgerichtlich als klar grundgesetzwidrig verworfenes Berliner Gesetz stehen wird.“
Rahmengesetz ist vollkommen überflüssig
Constanze Kehler, Sprecherin der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen: „Heute ist ein historischer Tag für Berlin. Die Kommission stellt ein für allemal klar: Die Enteignung von Immobilienkonzernen ist rechtssicher, finanzierbar und das beste Mittel, um den Mietenwahnsinn zu stoppen! Außerdem ist eine niedrige Entschädigung, die das Land Berlin nichts kosten wird, auch machbar. Enteignung ist einfach der beste Deal für Berlin. [...] Der Abschlussbericht kann nun als Blaupause für ein rechtssicheres Vergesellschaftungsgesetz dienen. Die CDU-geführte Regierung hat aber einen anderen Plan: sie will ein sogenanntes „Rahmengesetz” schreiben – das dann aber zwei Jahre lang nicht in Kraft treten soll, weil die CDU gegen ihr eigenes Gesetz klagen will...
Die Kommission hat die Vergesellschaftung als rechtssicher bestätigt und den rechtlichen Rahmen dafür im Abschlussbericht niedergeschrieben. Ein Rahmengesetz ist damit vollkommen überflüssig. Wir fragen Sie, Herr Wegner: Respektieren Sie die Arbeit der Expert*innen und den Abschlussbericht der Kommission, die vom Senat selbst eingesetzt wurde? Dann muss Ihre Regierung jetzt ein Vergesellschaftungsgesetz schreiben, in dem ganz konkret drin steht, wann und wie die Immobilienkonzerne enteignet werden. [....]
Auch die Finanzierbarkeit sehen die Expert*innen laut Abschlussbericht als gegeben an. Das von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen vorgeschlagene 'Faire-Mieten-Modell' hat die Kommission eingehend geprüft und validiert: Die Kommissionsmitglieder sind mehrheitlich der Meinung, dass für die Bemessung der Entschädigungshöhe 'die Erträge aus der zukünftigen gemeinnützigen Bewirtschaftung zugrunde gelegt werden' könnten. Demnach würden die großen Wohnungskonzerne nur so viel Entschädigung bekommen, wie diese über moderate Mieteinnahmen aus den vergesellschafteten Wohnungen refinanziert werden kann. Einig sind sich die Expert*innen, dass die Immobilienkonzerne unter Marktwerkt entschädigt werden können. [...] Damit bestätigt die Kommission nun schwarz auf weiß: Berlin muss keine Schulden aufnehmen und die Vergesellschaftung wird die Berliner*innen keinen Cent kosten, wenn diese aus den Mieten refinanziert wird. Für alle, die in Berlin zur Miete wohnen, ist die Vergesellschaftung ein Sechser im Lotto.”
Von Experten empfohlen: Deutsche Wohnen und Co. enteignen
Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer, Vorsitzende der Partei DIE LINKE. Berlin, sowie Anne Helm und Carsten Schatz, Vorsitzende der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: „Heute ist ein guter Tag für Berlin und die Mieterinnen und Mieter in unserer Stadt. Die Kommission bestätigt: Eine Vergesellschaftung von großen, privaten Immobilienunternehmen nach Artikel 15 des Grundgesetzes ist rechtlich möglich, verhältnismäßig, finanziell leistbar und ein gutes Instrument, um für bezahlbares Wohnen zu sorgen. Für die Giffey-SPD und Wegner-CDU gibt es jetzt keine Ausreden mehr. Berlin hat sich entschieden, die Kommission gibt grünes Licht – jetzt ist der Senat in der Pflicht und es muss zügig die Umsetzung erfolgen. Dabei ist keine Zeit zu verlieren, ist doch die Sorge vor dem Verlust der eigenen Wohnung und den immer weiter steigenden Mieten ein zentrales Problem für viele Menschen in unserer Stadt. Wohnungen sind keine Rendite-Objekte, sondern ein Zuhause. Der Senat muss schnell ein konkretes Vergesellschaftungsgesetz erarbeiten. Hierfür bieten wir gerne unsere Unterstützung und Expertise an.“
Berlin darf, kann und sollte vergesellschaften
Ulrike Hamann, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins: „Das ist ein historischer Tag. Wir haben von der Kommission ein Ergebnis mit zukunftsweisender Wirkung erhalten – ein klarer Auftrag an den Senat, ein Vergesellschaftungsgesetz und kein bloßes Rahmengesetz zu erarbeiten. Die Kommission stellt unter anderem klar: 1. Genossenschaften und andere gemeinwohlorientierte Träger mit einem Bestand von 3.000 Wohnungen oder vergleichbar können aus dem Vorhaben der Vergesellschaftung nach Art. 15 GG herausgenommen werden. 2. Es gibt kein ebenso wirksames und zugleich milderes Mittel, um dauerhaft bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Denn durch Neubauförderung könnten nicht im erforderlichen Umfang bezahlbare Wohnungen entstehen, zumal Mietpreisbindungen nach 30 Jahren enden.
Die Kommission bescheinigt dem Land Berlin außerdem, dass es die ihm zur Verfügung stehenden Instrumente ‚beinahe restlos ausgeschöpft‘ hat. Dennoch lasse sich die ‚gravierende Wohnungsmangellage‘ ohne ‚wohnungsmarktinvasive Regulierung‘ nicht lösen. Der BMV erwartet nun auch vom Senat eine solch klare Einschätzung der desolaten Lage auf dem Wohnungsmarkt. Die Frage der Entschädigung wird die Debatte bestimmen. Die Kommission macht deutlich, dass deren Höhe dabei eine Rolle spielt. Wir erinnern daher daran, zu welchem Spottpreis finanzmarktorientierte Unternehmen vom Land 2004 die 65.000 Wohnungen der GSW bekommen haben (405 Millionen Euro). Der Streit kann nun nicht mehr darum gehen, ob das Land die Wohnungen vergesellschaftet. Es hat von fast 60 Prozent der Wahlberechtigten den klaren Auftrag und von 13 Experten nun das Know-How bekommen.“