Hohe Baupreise, steigende Zinsen und Materialengpässe machen laut dem Verband der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt die Errichtung von Neubauten unrentabel. Verbandschef Ronald Meißner spricht von „schwierigster Situationen in der Wohnungswirtschaft seit 30 Jahren“.
Die Wohnungsgenossenschaft Bernburg hat in den vergangenen Jahren einige Neubauprojekte gestemmt. Noch im April 2022 stellte Vorstandschef Peter Arlt zwei weitere vor: Bis Ende 2024 wollte das Wohnungsunternehmen einen großen Gebäudekomplex errichten, der einen Penny-Markt, 27 Hotel-Apartements, 25 Wohnungen, fünf Penthouse-Quartiere und eine Tiefgarage mit 60 Stellplätzen samt E-Ladeplätzen beheimaten sollte.
Mit 20 Millionen Euro wäre es die größte Einzelinvestition gewesen, die die Wohnungsgenossenschaft bisher durchgeführt hat. Zudem wollte Vorstand Peter Arlt unter dem Arbeitstitel Saalestrand einen Neubau mit acht Luxuswohnungen bauen lassen. Keine zwei Monate später sagt er nun: „Die beiden Projekte legen wir jetzt auf Eis, bis sich die Baupreise wieder normalisieren.“ Kosten und Ertrag müssten in einem vertretbaren Verhältnis zueinanderstehen.
Sachsen-Anhalts Wohnungsbauer ziehen vermehrt die Reißleine
So wie Peter Arlt ziehen immer mehr Wohnungsbauchefs in Sachsen-Anhalt die Reißleine bei Neubauprojekten. „Laufende Projekte werden noch zu Ende gebracht. Neues fangen wir nicht an“, sagt Ronald Meißner, Vorstand des Verbandes der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt. Das sei die Botschaft einer bundesweiten Umfrage unter 3.000 genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen. Der Genossenschaftsverband vertritt in Sachsen-Anhalt zusammen mit den kommunalen Wohnungsunternehmen 191 Firmen, die knapp 330.000 Wohnungen verwalten. Ihre Entscheidung hat also Gewicht im Land.
Ronald Meißner spricht von der „schwierigsten Situationen in der Wohnungswirtschaft seit 30 Jahren“. Er habe noch nicht erlebt, „dass so viele negative Effekte unsere Investitionsentscheidungen beeinflusst haben“. Das größte Investitionshindernis sieht der Verbandschef in den hohen Baukosten. Doch auch steigende Zinsen, Personalnot bei Baufirmen, Materialengpässe und eine abnehmende Nachfrage in den ländlichen Regionen würden dazu führen, dass Neubauten nur noch schwer umsetzbar seien.
Er erläutert das konkret an einem Beispiel: „Die Baukosten sind in den vergangenen zwei bis drei Jahren teilweise um 50 Prozent gestiegen. Im Neubaubereich von Mehrfamilienhäusern kostete der Quadratmeter etwa 2.000 Euro. Jetzt sind es 3.000 bis 4.000 Euro. Da die Baukosten über die Miete refinanziert werden, müssten die Mieten sehr hoch sein. Früher haben wir mit einer Kaltmiete von zehn Euro je Quadratmeter kalkuliert, jetzt wären es 15 bis 20 Euro. Das kann aber niemand mehr bezahlen.“ Zum Vergleich: Die Durchschnittsmiete (kalt) in Sachsen-Anhalt liegt laut mehreren Immobilien-Vergleichsportalen bei Bestandsimmobilien bei etwa sechs Euro je Quadratmeter. Halle (Saale) ist die teuerste Stadt im Bundesland mit etwa sieben Euro im Schnitt, die günstigste Kommune Bernburg mit 5,70 Euro Durchschnittsmiete.
Wohnungsunternehmen werden sich auf Modernisierungen konzentrieren
Komplett aufgegeben, hat die Wohnstättengenossenschaft Bitterfeld-Wolfen das Projekt Mehrgenerationenpark Alte Kämmerei in Greppin mit 120 Wohnungen. „Nicht nur die steigenden Baupreise haben zu der Absage geführt“, sagt Vorständin Andrea Dittmann. Auch steigende Zinsen, eine unsichere Förderung für Energiesparhäuser und fehlende Handwerker hätten eine Rolle gespielt. Die Zinsen seien laut Andrea Dittmann langsam auf zwei, 2,5, dann drei Prozent gestiegen. Das sei zwar immer noch günstig. Dennoch sorge es für eine höhere Finanzierungslast.
Nach Einschätzung von Ronald Meißner werden sich die großen Wohnungsunternehmen in Sachsen-Anhalt künftig auf die Modernisierung des Wohnungsbestandes konzentrieren. Jährlich investieren die Unternehmen etwa 550 Millionen Euro. Im Neubau errichteten die kommunalen und genossenschaftlichen Firmen zuletzt im Schnitt 500 bis 600 Wohnungen im Jahr.
Private Unternehmen bauen in Sachsen-Anhalt deutlich mehr – insgesamt wurden im Vorjahr im Bundesland etwa 4.400 Wohnungen fertiggestellt. Dass die Investoren insgesamt zurückhaltender sind, lässt sich bereits anhand von Zahlen belegen. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Halle wurden in den ersten drei Monaten des Jahres in Sachsen-Anhalt 1.127 Bauvorhaben genehmigt. Das ist ein Rückgang von knapp 15 Prozent zum Vorjahresquartal, der ausschließlich auf den Wohnungsbau zurückgeht.
Keine Auftragsflaute bei Bauunternehmen in Sachsen-Anhalt
Bei den meisten Bau-Unternehmen ist von Auftragsflaute noch nichts zu spüren. Sowohl der Bauindustrieverband Ost als auch der Baugewerbeverband Sachsen-Anhalt sprechen sogar von einer Zunahme der Aufträge. Die großen Baufirmen verzeichneten im ersten Quartal 2022 im Wohnungsbau in Sachsen-Anhalt noch ein Plus von rund 14 Prozent. Wie ist das zu erklären? Der Verbandsgeschäftsführer des Baugewerbes, René Sieburg, spricht davon, dass die Handwerker auch mit den vielen Sanierungen und Modernisierungen ausreichend Aufträge hätten. Zudem würden private Immobilienentwickler trotz der galoppierenden Preise weiter bauen. „Wegen der enormen Inflation fließt weiter viel Geld in die Immobilienmärkte“, so Sieburg. Die Menschen würden in Sicherheiten investieren.
Zusätzliches Geld pumpt nun auch die Bundesregierung nach Sachsen-Anhalt. 400 Millionen Euro gibt es für den sozialen Wohnungsbau. Nach Ronald Meißners Meinung sollen in den Großstädten Halle und Magdeburg davon neue Wohnungen gebaut werden. Er plädiert aber dafür, „dass das Geld auch für die Modernisierung von Wohnraum genutzt wird“. In Sachsen-Anhalt würden aktuell etwa 120.000 Wohnungen leer stehen – das sei jedes zehnte Objekt. „Günstigen Wohnraum hat das Land genug, wir benötigen günstigen Wohnraum, der auch modern ist. Der Bestand muss unter den Gesichtspunkten Energiesparen und altersgerechtes Wohnen erneuert werden“, so Ronald Meißner.
Ukraine-Krieg hat direkten Einfluss auf das Baugeschehen
Der Ukraine-Krieg wirkt sich direkt auf das Baugeschehen aus: Die Materialknappheit auf deutschen Baustellen hat laut Ifo-Institut den Höchststand seit 1991 erreicht. Im Hochbau lag der Anteil der Unternehmen, die Knappheit meldeten, im Mai bei 56,6 Prozent, nach 54,2 Prozent im Vormonat. „Besonders merkt man das bei Baustahl, der oft aus Russland oder der Ukraine importiert wurde. Auch beim Bitumen kommt es zu Problemen. Mancherorts klagten die Betriebe über einen Mangel an Ziegelsteinen. Dämmstoffe waren bereits vor Kriegsbeginn vielerorts knapp, hier hat sich die Situation weiter verschlechtert“, sagt Ifo-Forscher Felix Leiss. Wenig Material und hohe Energiekosten treiben die Preise. Dies führt laut Felix Leiss dazu, dass erste Projekte unrentabel werden: Im Mai berichteten 13,4 Prozent der deutschen Hochbauer von Stornierungen, im April waren es 7,5 Prozent und im März erst 4,6 Prozent.