„Insolvenzen, Filialschließungen und Entlassungen stehen weiterhin auf der Tagesordnung – die Auswirkungen auf die Innenstädte sind immer noch dramatisch und reißen Lücken ins Stadtbild.“ So eindringlich warnt ZIA-Präsident Dr. Andreas Mattner vor den aktuellen Auswirkungen der Coronapandemie auf den innerstädtischen Einzelhandel und die dahinterstehende Immobilienwirtschaft.
Auch das Frühjahrsgutachten des Rats der Immobilienweisen, welches vor kurzem an den Staatssekretär des Bundesbauministeriums Sören Bartol übergeben wurde, kommt zu dem Schluss, dass Lockdowns und strikte Zugangsbeschränkungen auch weiterhin eine große Belastung für den deutschen Einzelhandel darstellen. Die zentralen Forderungen und Kennzahlen des Frühjahrsgutachtens 2022 im Überblick.
Zentraler Immobilien Ausschuss fordert Erleichterungen
Aus dem von der ZIA in Auftrag gegebenen Positionspapier leitet Dr. Mattner eine zentrale Forderung an die Ministerpräsidentenkonferenz ab: „Es muss Schluss sein mit rechtswidrigen Sonderopfern für den Handel. 2G gehört bundesweit abgeschafft und es braucht einen unbürokratischen Schadensersatz für die immensen entstandenen Kontrollkosten – etwa pauschal pro Eingang und Monat – unabhängig von sonstigen Wirtschaftshilfen“. In Hinblick auf die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgelegten 400.000 Neubauwohnungen fordert er „keine Manipulationen an Mietenspiegeln, Hände weg vom Mietrecht, sofortiger Regulierungsstopp und den Turbo einlegen beim Bau“.
Wirtschaftswachstum befindet sich laut Frühjahrsgutachten der Immobilienweisen auf Erholungskurs
Diese Forderungen sind nicht aus der Luft gegriffen: Auch wenn das BIP der deutschen Wirtschaft im Jahr 2021 ein reelles Wachstum von 2,7 Prozent verbuchen konnte, wurde das Vorkrisenniveau noch lange nicht wieder erreicht. Trotz Versorgungsengpässen auf dem Rohstoffmarkt bildet der Bausektor dabei auch in Krisenzeiten einen verlässlichen Pfeiler für das binnenwirtschaftliche Wachstum der Bundesrepublik.
Mit einer Erholung der Situation und weiterem Wachstum wird jedoch im kommenden Jahr gerechnet. Gebremst wird der Aufschwung laut Gutachten hingegen durch Umweltvorgaben, bürokratische Hürden und den anhaltenden Fachkräftemangel. „Im Rahmen der im Koalitionsvertrag angekündigten Bau-, Wohnkosten- und Klimachecks muss die Politik diese Zielkonflikte auflösen, damit Regulierung und Bürokratie die angestrebte Dynamik im Wohnungsbau nicht bremsen,“ fordert Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld von der Universität Freiburg, denn nur so könne man den wachsenden städtebaulichen Anforderungen gerecht werden.
Weitere zentrale Forderungen und Kennzahlen zu den zentralen Themen des Gutachtens, haben wir für Sie stichpunktartig zusammengefasst:
Immobilienmarkt: Wachstum bleibt trotz Belastungen stabil
- Wirtschaftsimmobilien sind Wachstumsträger - insbesondere in der zweiten Jahreshälfte
- Reise- und Kontaktbeschränkungen sind weiterhin spürbar - insgesamt jedoch weniger belastend als noch 2020
- Transaktionsvolumen von 60,4 Milliarden Euro übersteigt Zehnjahresmittel von 52 Milliarden Euro um 16 Prozent
- etwa 21,8 Milliarden Euro Umsatz allein im vierten Quartal
- Büromarkt mit 46 Prozent Anteil am Gesamtvolumen leicht besser als im Vorjahr
- Logistik wächst um eine Milliarde Euro und verdrängt Einzelhandel auf den dritten Platz
- Hotelimmobilien mit knapp zwei Milliarden Euro weiter schwach aufgestellt
- Transaktionsvolumen von Pflegeimmobilien steigt hingegen auf 3,7 Milliarden Euro
Einzelhandelsimmobilien: Starke Belastung trotz Unterstützung
- 2021 bleibt das Konsumklima getrübt durch Corona
- für Anfang 2021 wird durch Inflationssorgen mit rückläufiger Entwicklung gerechnet
- erwarteter Gesamtumsatz liegt 2021 bei 594,4 Milliarden Euro - das entspricht einem Plus von 3,1 Prozent gegenüber 2020
- 13,8 Prozent (82,2 Milliarden Euro) entfallen auf Onlinesegment
- Umsatzeinbußen des innenstadtrelevanten Einzelhandels liegen bei -36 Prozent
- trotz Unterstützungsmaßnahmen drohen Insolvenzen und Schließungen
- hohe Flexibilität ist Voraussetzung angesichts unsicherer Perspektiven
- Wissenschaftler fordern „neue, belebende Frequenzbringer, verkehrsartenübergreifende Mobilitätskonzepte und einen lokal angepassten, vielfältigen Nutzungsmix unter Berücksichtigung bislang weniger in den Innenstädten vertretener Funktionen“
- Klimaschutz, Flexibilität und Partnerschaftsaspekte ebenfalls im Fokus
- Branche reagiert mit Entwicklung in Richtung Mixed-Use-Immobilien
Hotelimmobilien: Besorgniserregende Situation
- halbjähriger Lockdown sorgt für hohe Verluste der Branche
- Übernachtungen auf ähnlich niedrigem Niveau wie 2020
- Übernachtungsvolumen wird bis Ende 2021 auf rund 315 Millionen geschätzt
- 13 Millionen Übernachtungen mehr als im Vorjahr
- jedoch 180 Millionen weniger als im Jahr 2019
- Hotelbetreiber blicken mit Sorge in die Zukunft
- Transaktionsgeschehen in der Assetklasse Hotel weitestgehend am Stagnieren
- Volumen lag zum Jahresende bei etwas über zwei Milliarden Euro - somit etwa nur auf halbem Niveau zur Vorkrisenzeit
- Augenmerk liegt auf innovativen Hotelkonzepten und Wiederaufbau
- erwartete Masseninsolvenz bleibt vorerst aus
- touristische Nachfrage steigt mit Rücknahme der Einschränkungen
- Personalmangel sowie steigende Bau- und Betriebskosten stellen Inhaber vor zusätzliche Herausforderungen - diese bremsen neue Projekte und führen zu weiteren Übernahmen
Wohnimmobilien: Bedarf nach Wohnraum steigt stetig
- Mieten steigen auch 2021 und erreichen Durchschnitt von 8,46 Euro pro Quadratmeter - entspricht einem Anstieg zum Vorjahr um 3,7 Prozent
- Kaufpreis für Eigentumswohnungen steigt auf 3.140 Euro pro Quadratmeter - entspricht einer Preissteigerung von 14,3 Prozent im Vergleich zu 2020
- Fertigstellungen übersteigen erstmalig seit Jahrtausendwende die 300.000
- Zielmarke von 400.000 Wohnungen pro Jahr bleibt jedoch trotz Überhang unrealistisch
- Zahl der Haushalte mit mehr als drei Personen seit 2010 um 6,6 Prozent gestiegen
- Anzahl kleiner Haushalte steigt hingegen nur um 3,1 Prozent
- Fokus bei Neubauten lag auf kleineren Geschosswohnungen
- mehr als 40 Prozent aller einkommensschwachen Vierpersonenhaushalte in Großstädten wohnt auf unter 80 Quadratmetern
- fast 20 Prozent sogar auf unter 65 Quadratmetern
- Bedarf nach größeren Wohneinheiten steigt
Der Immobilienweise Professor Harald Simons im Immobiléros-Podcast über das Ende der Schwarmstadt:
Büroimmobilien: Fertigstellungsvolumen auf höchstem Stand seit zehn Jahren
- Markt geprägt von Coronakrise, ESG und EU-Taxonomie
- Diskussionen um Flächenreduktionen bereits rückläufig
- Transaktionsvolumen auf Investmentmarkt steigt um zehn Prozent auf etwa 27,8 Milliarden Euro
- A-Standorte gewinnen an Bedeutung und vereinen 83 Prozent des Volumens unter sich
- andere Städte bleiben mit Anteilen von 0,7 bis 2,8 Milliarden Euro zweitrangig
- Neubau mit rund 2,8 Millionen Quadratmetern auf höchstem Niveau seit zehn Jahren
- davon entfällt knapp über die Hälfte auf die A-Standorte (+14 Prozent gegenüber 2020)
- mittelfristig unwahrscheinlich, dass Büroflächenbedarf abnimmt
- qualitative Ansprüche werden weiter wachsen
- starke Konkurrenz durch Remote Work
- Büroflächen müssen deshalb zunehmend flexiblen Anforderungen gerecht werden
Logistikimmobilien: Erhöhte Nachfrage treibt Mietpreise in die Höhe
- Nachfrage nach Logistikimmobilien ungebrochen
- weitere Verstärkung durch E-Commerce Boom
- gesellschaftliche Nutzenwahrnehmung ist im Kontext der Pandemie gestiegen
- Transaktionsvolumen mit rund 5,8 Milliarden Euro wieder auf Vorkrisenniveau
- Nachfrage nach attraktiven Lagen und hoher Qualität führt zu Wertsteigerung
- Spitzenmieten in den Top-Regionen seit 2016 um 14,1 Prozent gestiegen
- Brownfield-Standorte und Speckgürtel nehmen ebenfalls an Bedeutung zu
Unternehmensimmobilien: Rekordverdächtiges Investitionsvolumen
- Investmentmarkt erreicht im ersten Halbjahr 2021 mit 2,9 Milliarden Euro neue Rekordmarke - entspricht einem Anstieg von etwa 87 Prozent im Vergleich zur zweiten Jahreshälfte 2020
- mit fast 1,2 Milliarden Euro (fast 40 Prozent des Gesamtvolumens) haben Transformationsimmobilien den größten Anteil am Wachstum
- Lager- und Produktionsimmobilien wachsen auf 350 Millionen Euro (+48 Prozent) beziehungsweise 922 Millionen Euro (+68 Prozent) an
- Gewerbeparks hingegen mit rund 490 Millionen Euro (-23 Prozent) aufgrund Angebotsknappheit rückläufig
Pflegeimmobilien: Anlegerinteresse und Pflegebedarf steigen stark
- Anlageinteresse seit Jahren stark steigend
- Transaktionsvolumen stieg in den letzten zehn Jahren um 780 Prozent auf etwa 3,1 Milliarden Euro
- Pflege durch Hygieneanforderungen und Arbeitsbelastung unter Druck
- jedoch keine spürbaren Auswirkungen auf die Assetklasse
- demographischer Wandel führt zu steigendem Bedarf
- Diversifizierung der Anbieterstruktur sowie zugeschnittene Angebote werden benötigt
- Wissenschaftler fordern barrierefreien Umbau von Privatimmobilien
- Ausbau von Fördermöglichkeiten sollte priorisiert werden
Das gesamte Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft 2022