Am Freitag, den 21.8.2020, besetzte ein autonomes Bündnis ein leerstehendes Gebäude in der Leipziger Ludwigstraße und schob mit diesem „Akt des zivilen Ungehorsams“ wichtige Debatten an. Ein Abriss der Ereignisse.
Am 21. August 2020 besetzte das autonome Bündnis „Leipzig besetzen“ das seit Jahrzehnten leerstehende Gebäude in der Ludwigstraße 71. Die Besetzung erfolgte mit dem konkreten Ziel, das Gebäude im Leipziger Osten neu zu beleben. Ein entsprechendes Nutzungskonzept stellte das Bündnis auf seiner Website online. Unter anderem gegenüber der LVZ erklären die Besetzer, dass sie mit der Aktion zudem sowohl auf den Leerstand und die steigenden Mieten in Leipzig als auch auf die zunehmende Gentrifizierung in der Messestadt aufmerksam machen wollen. Für sie sei das jahrzehntelange Leerstehenlassen kaum mehr als Spekulation mit Leerstand.
Reaktionen auf die Hausbesetzung in der Ludwigstraße 71 in Leipzig
Die Leipziger Politik reagierte sehr unterschiedlich auf den medienwirksamen Besetzungsakt. Matthias Jobke, Vorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen Leipzig nannte ihn einen „Akt des zivilen Ungehorsams“. Dennoch werfe die Aktion angesichts vorhandenem Leerstandes bei gleichzeitigem Wohnungsmangel und steigenden Mieten wichtige Fragen auf.
Die Leipziger CDU erklärte dagegen: „Das Vorgehen dieser Menschen ist inakzeptabel! Auch wenn diese Personen manche Probleme in unserer Stadt thematisieren. Ja, viele Menschen leiden unter steigenden Mieten und ja, es gibt Verdrängungsprozesse in manchen Stadtteilen. Aber die Antwort darauf kann nicht sein, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen und anderen einfach das Recht auf ihr Eigentum abzuerkennen.“ Die CDU Leipzig forderte dementsprechend von der Stadt und dem Oberbürgermeister, dass sie sich eindeutig gegen Hausbesetzungen einsetzen.
DIE LINKE Leipzig sah das ganz anders: „Wir solidarisieren uns mit dem sozialen Ziel, das Wohnraum zum Wohnen sein soll und nicht sinnlos leerstehen darf. Die Hausbesetzung in der Ludwigstraße 71 kommt zu einem Zeitpunkt, wo Wohnraum in Leipzig im einfachen Ausstattungssegment so knapp ist wie seit 25 Jahren nicht mehr. Für Menschen, die sich nur eine preisgünstige Wohnung leisten können und umziehen müssen, ist die Not zum Teil riesig. Der hohe spekulative Leerstand in Leipzig ist für viele Menschen, die gerade dringend eine Wohnung suchen, ein Hohn.“
„Leipzig besetzen“ und Eigentümer wollen verhandeln – Stadt verweigert Unterhändlerrolle
Zudem forderte DIE LINKE Gesprächsbereitschaft des bis dahin unbekannten Eigentümers ein – notfalls vermittelt durch Oberbürgermeister Jung. Doch die Stadt sah sich nicht in der Vermittlerrolle: „Im Fall des besetzen Hauses im Leipziger Osten stellt das Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung klar, dass es keine Vermittlerrolle zwischen den Parteien einnimmt. Entsprechende Behauptungen seitens einiger Beteiligter in den vergangenen Tagen werden deutlich zurückgewiesen. Die Stadt Leipzig verweist hingegen auf die allgemeinen städtebaulichen und baurechtlichen Rahmenbedingungen, die in dem Gebiet gelten. Vor allem wird betont, dass es sich bei der Besetzung um ein illegales Vorgehen handelt, das juristische Folgen haben kann.“
Kurz nach der Besetzung signalisierte der Eigentümer Gesprächsbereitschaft. Am Mittwoch, den 26. August 2020, wollte der aus Frankfurt am Main stammende Künstler mit den Besetzern reden. Er habe gar angefragt, ob diese das Haus eventuell mieten oder kaufen wollten. Was von den Besetzern nicht abgelehnt wurde. Dennoch sollte es dazu nicht kommen. Am Vortag des Treffens zog der Besitzer das Gesprächsangebot zurück.
Wie die BILD berichtete, sei der Besitzer aber dennoch vor Ort gewesen und habe sich die Situation genauer angeschaut. Er erklärte gegenüber BILD, dass die Renovierung des baufälligen Hauses, das er von einem Paar in Scheidung übernommen habe, mit 2,3 Millionen veranschlagt gewesen sei und dass er an eine private Nutzung der Räume gedacht habe.
Hausbesetzung zeitigt positive Wirkungen, wird aber dennoch „von oben“ beendet
Erste Räumungsgerüchte machten nach dem geplatzten Gespräch die Runde. Dementsprechend erklärte „Leipzig besetzen“, dass sie sich nun in dem Gebäude verbarrikadieren würden. Nach wie vor signalisierten die Aktivisten ihre Bereitschaft zu Verhandlungen. Und sie hatten geschafft, dass ihr Anliegen in die Allgemeinheit getragen wurde. Beispielsweise veröffentlichte die LVZ am 2. September 2020 einen Artikel, in dem auf eine Studie des Bonner Forschungsunternehmens Quaestio verwiesen wurde, laut der 2019 von etwa 335.000 Wohnungen in Leipzig 12.000 leer standen. Eine Quote von drei Prozent. Davon seien nur 3.000 in Gebäuden situiert, die eine grundlegende Sanierung erfahren müssten.
Quasi parallel zu dem Moment als viele LVZ-Leser diese Zahlen lasen, rückte die Polizei zur Klärung der Situation in der Ludwigstraße aus. Diese schilderte den Einsatz wie folgt: „Heute Morgen wurde durch die Polizei ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Leipzig durchgesetzt. Vorausgegangen war eine Strafanzeige wegen eines Hausfriedensbruchs. Im Einsatz eingebunden waren Kräfte der Polizeidirektion Leipzig als auch der Bereitschaftspolizei Sachsen. Einsatzbegleitend wurde in den Morgenstunden ein Sensocopter eingesetzt. Zweck der Durchsuchung war die Identitätsfeststellung der im Haus befindlichen Personen.“
Vermutlich aufgrund von „Buschfunk“ fanden die Beamten nur leere Räumlichkeiten vor. Zumindest konnten die Beamten im Umfeld der Durchsuchung rund um das Gebäude vier Personen festsetzen. Nach der Durchsuchung begann die Polizei mit der Sicherung der Fenster und Eingangstüren, um einen erneuten Zutritt durch Hausbesetzer zu verhindern.
Auf ihrer Website erklärten die Aktivisten: „Die Luwi könnt ihr uns nehmen, unsere Träume nicht“, um danach etwas weniger kämpferisch festzustellen, „es hat sich gezeigt, dass Profite und Kapital über den Bedürfnissen der Stadtbewohner*innen stehen. Das Privateigentum als höchster Wert dieses Systems hat mal wieder gewonnen. Der Staat schafft es wieder einmal nicht, Wohnraum für alle Menschen zur Verfügung zu stellen. Die Bedürfnisse der Menschen sind in diesem System Nebensache."
In der Nacht vom 3. auf den 4. September findet eine Demonstration gegen hohe Mieten und Verdrängung rund um das ehemals besetzte Haus im Leipziger Osten statt. Alsbald wurde die Lage unübersichtlich, Barrikaden wurden errichtet, Böller flogen - das letzte Kapitel in der Causa #Luwi71 scheint längst nicht geschrieben. Und auch in Connewitz brodelt es. Hier wurde in der Bornaischen Straße ein besetztes Haus geräumt. Am Freitag und Samstag flogen als Reaktion in dem Stadtteil Böller und Steine gegen die Einsatzkräfte. Beamte werden verletzt. Sachsens Politik reagiert hart auf die Gewalteskalationen und spricht den Demonstranen hehre Ziele wie bezahlbaren Wohnraum weitgehend ab. Letztere könnten sich und der Debatte um bezahlbaren Wohnraum mit ihren Reaktionen selbst einen Bärendienst erwiesen haben...
Wissenswertes zum Thema Hausbesetzung: Was droht Hausbesetzern, was können Besitzer tun?
Obwohl die Blütezeit der Hausbesetzungen in Deutschland schon mehrere Jahrzehnte zurückliegt, stellt die rechtliche Beurteilung ebendieser auch heute noch Gerichte und Hausbesitzer auf die Probe. Welche Möglichkeiten haben Eigentümer um widerrechtlich besetzte Häuser räumen zu lassen?
Zunächst ist die Räumung grundsätzlich eine zivilrechtliche Angelegenheit. So hat der Eigentümer nach §985 BGB einen Anspruch auf die Herausgabe seines Eigentums, zusätzlich kommen Schadensersatzansprüche in Betracht.
Theoretisch müsste das zuständige Gericht somit nur einer Räumungsklage des Besitzers stattgeben, damit zwangsgeräumt werden kann. In der Praxis ist dies jedoch nicht so einfach wie es klingt. So verweigerte die zuständige Gerichtsvollzieherin 2016 die Räumung des von Autonomen besetzten Leipziger Gleisdreiecks „Black Triangle“. Der Grund dafür lag in einer Formalie. Nach den Maßgaben des § 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO muss der Schuldner im Räumungstitel eindeutig bestimmt sein.
Der Eigentümer klagte und nach mehreren Berufungsverfahren schaffte es die Sache 2017 bis vor den Bundesgerichtshof. Dieser entschied gegen den Eigentümer. Der Schuldner muss im Räumungstitel namentlich genannt werden, eine Adressierung „an die, die es angeht“ oder ein „lagebezogener“ Titel sind unzulässig. Diese Anforderung stellt Eigentümer vor erhebliche Schwierigkeiten, da bei rechtswidrigen Besetzungen die Schuldigen regelmäßig nicht namentlich bekannt sein werden.
Gleichwohl verwies der BGH allerdings auf eine alternative Möglichkeit. Die Räumung ist im Rahmen des Hausfriedensbruchs (§123 StGB) ebenfalls nach Polizei- und Ordnungsrecht möglich. Da es sich bei Hausfriedensbruch um ein Antragsdelikt handelt, muss der Eigentümer dieses jedoch proaktiv anzeigen. Die Polizei wird von sich aus lediglich bei öffentlichem Interesse aktiv, so zum Beispiel, wenn schwerer Hausfriedensbruch (§124 StGB) vorliegt.
Auch diese Form der Räumung ist rechtstheoretisch nicht unumstritten, wird aber praktisch von den Strafvollzugsbehörden so gehandhabt. Ein prominentes Beispiel liefert dafür die Hauptstadt mit der „Berliner Linie“. Nach diesem Grundsatz wird bereits seit den Achtzigerjahren jedes Haus binnen 24 Stunden nach Eingang der Strafanzeige kompromisslos geräumt.
Den Besetzern drohen im Falle einer Verurteilung hohe Geldstrafen oder Haftstrafen bis zu einem, im schweren Fall sogar bis zu zwei Jahren. In der Praxis fallen diese aber regelmäßig geringer aus. Eigentümer überdenken deshalb oft zweimal, ob sie die Lage eskalieren wollen, auch da zukünftige Repressionsmaßnahmen aus dem autonomen Spektrum nicht auszuschließen sind.