Dr. Clemens Paschke, CEO der Ziegert EverEstate, der digitalen Vermittlungsplattform der Ziegert Group, spricht im Interview mit IMMOBILIEN AKTUELL über Angebot und Nachfrage, begehrte Lagen, Preise und die Dynamik am Immobilien-Markt der Hauptstadt.
In der Ziegert EverEstate hat die Ziegert Group mehr als 35 Jahre Erfahrung im Maklergeschäft und der Immobilienberatung mit der Digitalisierung des Verkaufsprozesses kombiniert. Ihr Unternehmen hat damit langjährige Erfahrungen mit dem Immobilienmarkt in Berlin. Sie wissen, was Verkäufer, Käufer haben wollen und zu welchem Preis. Wie schätzen Sie die Situation auf dem Markt derzeit ein?
Dr. Clemens Paschke: Die Wohneigentumsquote in Deutschland beträgt derzeit 46,5 Prozent, in Berlin etwas über 17 Prozent. Die Hauptstadt bildet damit beim Wohnungseigentum das Schlusslicht. Es gibt einen enormen Nachholbedarf, man hat also eine Grunddynamik im Markt. Dazu kommt, dass die Stadt wirtschaftlich wächst. Die Einkommen steigen, die Kaufkraft nimmt zu. Das Angebot an Eigentumswohnungen dagegen ist knapp, knapper als es sein könnte. Das hat viele Gründe: vom ausufernder Milieuschutz über das Baulandmobilisierungsgesetz bis zum Mangel an geeigneten Grundstücken für den Neubau. All das führt zu einer Unwucht zwischen Angebot und Nachfrage. Und jetzt haben wir noch Einzeleffekte, die die Nachfrage befeuern: die Inflationsangst und die Sorge vor steigenden Zinsen.
Besonders begehrt, aber rar und teuer: Vier-Zimmer-Wohnungen
Welche Wohnungen sind besonders gefragt?
Dr. Clemens Paschke: Das sind Drei-Zimmer-Wohnungen. Aber das größte Missverhältnis von Angebot und Nachfrage besteht bei Vier-Zimmer-Wohnungen für Familien mit zwei Kindern oder mit einem Kind und dem Wunsch nach einem zusätzlichen Arbeitszimmer. Sie sollen gern auch einen Balkon oder Garten haben, aber möglichst verkehrsgünstig liegen, also mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut angebunden sein. Da gibt es eine totale Schieflage und einen hohen Druck auf dem Markt.
Wir haben in den vergangenen Jahren rasant steigende Preise gesehen. Der Medianpreis über alle Kaufangebote liegt derzeit bei rund 5.230 Euro. Wer zahlt diese Preise? Gibt es eine Grenze, wo Schluss ist und die Leute sagen, das geht nicht mehr, das ist zu teuer?
Dr. Clemens Paschke: Nach unserer Erfahrung gehen viele Leute für ihre Traumwohnung zwischen 750.000 und einer Million Euro noch mit. Wenn Sie sich die Angebote anschauen, werden sie aber in diesem Bereich nur wenige Angebote für Vier-Zimmer-Wohnungen finden. Darunter ist die Luft dann ganz dünn, jedenfalls bei bezugsfreien Wohnungen im sanierten Altbau oder Neubau. Eine magische Schwelle ist die Million, darüber ändert sich dann die Käuferklientel. Für viele klingen diese Summen utopisch, aber es gibt in Berlin eine ganze Menge gutverdienender Menschen. Wir haben nicht nur eine Startup-Szene hier, sondern inzwischen auch die großen Digitaltech-Unternehmen wie Zalando oder Amazon, wir haben also gut verdienende Angestellte und Führungskräfte. Und nicht zu vergessen, die gutverdienenden Beamten in der Hauptstadt.
Käufer, Spitzenpreise und Eigentumswohnungen für Normalverdiener
Wer kauft und wo?
Dr. Clemens Paschke: Wir haben drei Käufergruppen. Das sind natürlich die Berliner. Dann gibt es Leute von außerhalb, die hier einen Zweitwohnungssitz wollen. Und Kapitalanleger aus dem In- und Ausland. Auch wenn es merkwürdig klingt, im Vergleich zu Metropolen wie Paris, London oder Shanghai ist Berlin immer noch billig. Investoren und ausländische Käufer bevorzugen Innenstadt-Lagen. Besonders begehrt sind Mitte und gehobene Viertel in Tiergarten, dann natürlich der Prenzlauer Berg. Hier werden bis zu 11.500 Euro pro Quadratmeter aufgerufen. Noch teurer ist es in Charlottenburg, da werden auch 12.000 Euro bezahlt. Und das zieht sich bis Grunewald, Dahlem und Kleinmachnow.
Welche Spitzenpreise sehen Sie derzeit bei Luxuswohnungen?
Dr. Clemens Paschke: Im Luxussegment hat sich der Preisanstieg etwas verlangsamt. 30.000 Euro habe ich in Berlin noch nicht erlebt, 25.000 Euro für Neubau jedoch schon. Das sind dann aber absolute Raritäten: zum Beispiel ein Penthouse in begehrter City-Lage mit großer Terrasse und einem atemberaubenden Blick über die Stadt. Und wer in dieser Preisklasse kauft, der erwartet auch eine besondere Ausstattung, nicht nur beim Material. Der will Smart-Home, Sicherheitstechnik, Concierge-Service, Sauna und vieles mehr.
Wohin weichen Normalverdiener aus, die sich den Traum vom Wohneigentum erfüllen wollen?
Dr. Clemens Paschke: Wir sehen die Ausweichbewegung deutlich am Stadtrand und im Umland. Ganz dynamisch hat sich der Markt in Berlin-Köpenick entwickelt. Da gibt es viel Wald und Wasser, der Flughafen BER liegt nah. Da lässt es sich gut wohnen. Und wir hatten Nachfragen von Leuten, die bei Tesla in Grünheide arbeiten. Auch Marzahn-Hellersdorf entwickelt sich. Viele assoziieren damit Plattenbauviertel. Das ist aber nicht richtig. Es gibt dort Alt-Marzahn, Einfamilienhaus-Viertel und interessante Neubauprojekte. Im Norden der Stadt gewinnt zum Beispiel Französisch-Buchholz. Reinickendorf kommt ebenfalls, unter anderem weil der Flughafen Tegel geschlossen ist.
Käufer erwarten meist mehr, als sie sich leisten können
Projektentwicklung ist ja nicht ohne Risiko. Welche Ausstattung erwarten die Leute heute für ihr Geld? Was ist gefragt?
Dr. Clemens Paschke: In der Regel erwarten die Leute mehr als sie sich für das Geld leisten können. Wir haben in Berlin die Situation, dass Sie am Ende alles verkaufen können, sofern es anständig gebaut ist. Auch wenn Sie die Marktnachfrage nicht perfekt getroffen haben. Das ist nach zehn Jahren Wohnungsnotstand die Realität. Aber ist gibt natürlich Projekte, die die Nachfrage besser treffen und sich besser verkaufen. Das sind tatsächlich nachhaltige Projekte, Holzbau, barrierefreie Projekte und affordable Living, also bezahlbares Wohnen für Familien. Es gibt wohl kaum einen Bauträger, der sich darüber keine Gedanken macht. Der Eindruck, es wird nur Luxus gebaut, ist nicht richtig. Das gilt mit Blick auf den Innenstadtbereich, wo die Grundstücke extrem teuer geworden sind.
Werden sich Käufer in zunehmend kleineren Wohnungen einrichten? Ein großes Thema der letzten Jahre war Micro-Living, möbliertes Wohnen in Kleinstwohnungen? Wie sehen Sie den weiteren Bedarf?
Dr. Clemens Paschke: Bei steigenden Preisen wächst der Druck auf das Portemonnaie, ganz klar. Die Folge ist, dass Käufer für mehr Zimmer inzwischen auf Großzügigkeit verzichten, die teuer bezahlt werden muss. Micro-Living ist vor allem ein Thema für Investoren, die flexibles Wohnen anbieten. In dem Bereich hatten wir in den letzten Jahren große Aktivität, da ist das Angebot in Berlin besser als bei anderen Wohnkonzepten. Es herrscht immer noch Mangel, aber nicht so stark wie in anderen Bereichen. Die Pandemie hat zu Einbußen geführt, weil weniger Leute kurzfristig in die Stadt kamen.
Aber ich halte dieses Segment für eine zeitgemäße Antwort auf den Wohnungsmangel. Es gibt in Berlin viele Studenten, Berufsanfänger und immer mehr Singles, dazu einen Bedarf an Zweitwohnungen für Fernpendler – auch als Alternative zum Hotel. Wir haben aktuell zwar kein reines Micro-Living Projekt bei Ziegert EverEstate im Portfolio, aber vereinzelte Einheiten. Wenn wir Micro-Living definieren als Wohnungen mit maximal 35 Quadratmetern, bieten wir derzeit im PURE in Friedrichshain kompakte Neubau-Einheiten. In Leipzig im Neubau-Projekt Tollkühn in Neustadt-Neuschönefeld hatten wir mehrere Micro-Living Wohnungen im Angebot, die sind sehr schnell abverkauft worden. Einige davon waren unter 100.000 Euro zu haben – sehr attraktiv für den Einstieg in den Immobilienmarkt.
Berlin als Blaupause für Leipzig
Sie haben es schon angesprochen: Mit Ihrem Unternehmen engagieren Sie sich auch in Leipzig und Frankfurt am Main. Was macht diese Städte für Sie interessant?
Dr. Clemens Paschke: Berlin ist aus unserer Sicht eine Blaupause für Leipzig, wo sich zeitverzögert eine ähnliche Entwicklung anbahnt. Die Stadt wächst stetig. Sie zählt derzeit rund 610.000 Menschen. Bis 2040 ist von den Statistikern ein Wachstum auf 665.000 Einwohner prognostiziert. Es kommt an Einwohnern also eine Mittelstadt dazu. Da steht der Wohnungsmarkt vor großen Herausforderungen. Frankfurt am Main ist und bleibt als Bankenmetropole interessant, auch mit Blick auf die weitere Entwicklung nach dem Brexit.
Kommen wir noch einmal auf Berlin zurück. Was müsste die Politik aus Ihrer Sicht tun, um die Unwucht auf dem Immobilienmarkt zu beenden?
Dr. Clemens Paschke: Das Fördern von Wohneigentum steht in der Berliner Verfassung. Und es gäbe eine ganze Palette an Maßnahmen, um da etwas zu tun. Das Bauen erleichtern, das Beenden der Milieuschutzpraxis oder das Senken der Kaufnebenkosten zum Beispiel durch eine geringere Grunderwerbssteuer beim Erstkauf. Dass die Menschen beim Erstkauf im Durchschnitt bereits 39 Jahre alt sind, das ist kein gutes Zeichen. Auch das Fördern von Mietkaufmodellen wäre eine Möglichkeit. Von all dem ist derzeit wenig in Sicht.