Gerrit Stönner, Leiter Industrie- und Logistikflächen bei Engel & Völkers Commercial Hannover, analysiert für IMMOBILIEN AKTUELL den Immobilienmarkt der niedersächsischen Hauptstadt. Dabei werden ESG sowie der Zielkonflikt zwischen bezahlbarem Wohnen und notwendigen Gewerbeflächen thematisiert.
Hannover ist ein perfekter Mix aus Universitätsstadt und Wirtschaftsstandort (unter anderem mit der Messe) mit Naherholungsgebieten wie dem Maschsee. Dazu gesellt sich eine sehr gute Infrastruktur. Wie behauptet sich der Immobilienstandort Hannover in der derzeitigen Krisensituation?
Gerrit Stönner: Hannover erweist sich auch in einem herausfordernden Marktumfeld als robust, genau wegen der guten Voraussetzungen. Die Nachfrage nach selbstgenutzten Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen geht aufgrund der Zinsentwicklung deutlich zurück. Da jedoch weiterhin Wohnraum stark gefragt ist, richtet sich die Nachfrage auf den Mietmarkt und trifft hier auf ein knapp bemessenes Angebot. Zudem sind keine nennenswerten Zuwächse durch Neubau zu erwarten, außer den bereits im Bau befindlichen Projekten wie am Kronsberg. Daher sinken die Preise für selbstgenutzte Wohnimmobilien moderat, wohingegen die Mieten für Wohnungen zukünftig noch anziehen werden.
Bei den Büroflächen kommen einige interessante, moderne Flächen auf den Markt. Sie besitzen das Potenzial, die Expansionsnachfrage hannoverscher Unternehmen zu decken und verfügen dazu über genügend Attraktivität, um überregionale Firmen anzusprechen. Weiterhin sind Transaktionen und Anmietungen zu verzeichnen – wenn auch auf einem etwas niedrigeren Niveau. Indes kristallisiert sich ein Krisengewinner heraus: Der Light-Industrial- und Logistiksektor hat von den Entwicklungen der letzten zwei bis drei Jahre überproportional stark profitiert. In der letzten Zeit entwickelte sich diese Assetklasse als echte Anlagealternative zu Büro- und Wohninvestments.
Der große Gewinner in und um Hannover: Light-Industrial & Logistik
Gerrit Stönner, Leiter Industrie- und Logistikflächen Engel & Völkers Commercial Hannover, ist zu Gast bei IMMOCOM: Beim Hannoverschen Immobilientag am 20. April 2023 diskutieren er und zahlreiche andere Insider der Immobilienbranche die aktuelle Situation in der niedersächsischen Hauptstadt.
Warum entwickelt sich Light-Industrial & Logistik entgegen dem Trend?
Gerrit Stönner: Eine der Haupttreiber war die Corona-Pandemie. Im Lockdown stiegen die Zuwächse im Onlinehandel überproportional und damit auch die Flächennachfrage für Dienstleister auf der last mile. Die gestörten Lieferketten führten zu einem starken Wiederaufbau von Lagerbeständen in diversen Industriezweigen und dementsprechend zu einer Vielzahl neuer Gesuche für Lagerflächen. Das vorhandene Angebot passender Immobilien konnte die Nachfrage nicht mehr decken.
In der Konsequenz führte das verstärkt zu Neubauaktivitäten und, in Verbindung mit der erwähnten zugenommenen Nachfrage, zu einem Anstieg der Nettokaltmieten um 30 bis 50 Prozent in der Region Hannover und genauso deutschlandweit. Die Nachfrage ist aktuell weiterhin stark. In naher Zukunft wird der Nachfrageüberhang nicht gedeckt werden können. Daher ist eine Light-Industrial-Immobilie auch mittel- und langfristig eine attraktive sowie sichere Anlagemöglichkeit.
Sie sagen, die Mieten im Logistikmarkt seien gestiegen. Wie reagieren die Nutzer auf diese Entwicklung?
Gerrit Stönner: Die Mieter akzeptieren überwiegend die Erhöhungen. Aufgrund der allgemein immer noch guten wirtschaftlichen Lage können die meisten Unternehmen die Mietsteigerungen bedienen.
ESG als entscheidendes Anforderungskriterium für Kauf und Anmietung
Was fehlt an Industrie- und Logistikflächen in Hannover?
Gerrit Stönner: Insbesondere bei autobahnnahen, großvolumigen Logistikliegenschaften kommt es in der Region zu einem Flaschenhals. Gleichermaßen fehlen Gewerbeparks mit modernen Einheiten zwischen 1.000 und 2.500 Quadratmetern Fläche. Ein genereller Mangel besteht hinsichtlich der Nachfrage bezüglich moderner und nachhaltiger Neubauten, die den ESG-Kriterien institutioneller Investoren entsprechen.
Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Logistik- und Industrieflächen in Hannover aus?
Gerrit Stönner: Die ESG-Kriterien entwickeln sich sowohl für Nutzer als auch für Investoren zum entscheidenden Anforderungskriterium für Kauf und Anmietung. Nutzer sehen sich insbesondere seit der Ukraine-Krise mit hohen Energiekosten konfrontiert. Bei energieintensiven Betrieben können eine gute bauliche und technische Ausstattung sowie die mögliche Eigenversorgung über Photovoltaik-Anlage, Erdwärme und andere eine echte finanzielle Entlastung bedeuten. Beispielsweise für Unternehmen mit großem Fuhrpark in der Last-Mile-Delivery oder größere Handwerksbetriebe, die bereits auf E-Mobilität umgestellt haben.
Des weiteren sind moderne und nachhaltige Arbeitsplätze ein starkes Argument in Zeiten des War for Talents. Gerade bei potenziellen Arbeitnehmern der Generation Y und Z fallen Mitarbeiterorientierung und Nachhaltigkeit bei der Wahl des Arbeitgebers ins Gewicht. Bei Kaufentscheidungen müssen Investoren die Nachhaltigkeitsstandards einer Immobilie respektive Vermietbarkeit und Wiederverkauf zu einem späteren Zeitpunkt beachten. Darüber hinaus haben insbesondere institutionelle Investoren durch Auflagen ihrer Kapitalgeber ESG-Kriterien beim Ankauf einzuhalten. Anlage in Immobilien ja – aber nur in Grüne, lautet die Devise.
Gewerbe vs. Wohnen in Hannover
Der Flächen-Konflikt zwischen Gewerbe und Wohnen ist momentan allgegenwärtig. Gibt es hierfür aktuelle Beispiele in Hannover – und wenn ja, wer setzt sich durch?
Gerrit Stönner: Ein regionales Beispiel für diesen Interessenkonflikt ist die Nachnutzung des ehemaligen Krauss-Maffei-Berstorf-Standortes in Groß-Buchholz. Durch den Umzug des Unternehmens 2022 nach Laatzen entstand hier ein vakantes Areal mit über 50.000 Quadratmetern Fläche. Das Grundstück ist an drei Seiten von einer Wohnbebauung umgeben, sodass auch eine wohnwirtschaftliche Nutzung des Gewerbestandortes denkbar ist. In der Folge entstand die Frage der Art der folgenden Bebauung.
Auf der einen Seite steht in Hannover der hohe Bedarf an neuem, bezahlbarem Wohnraum. Auf der anderen Seite haben Wirtschaftsunternehmen, aber auch Arbeitnehmer ein Interesse an stadtnahen Gewerbeflächen. Im Prozess werden zwischen den Anliegern aktuell die Pros und Contras abgewägt. Alternativ wäre auch ein gemischt genutztes Quartier vorstellbar, in dem also gewerbliche wie wohnliche Anliegen berücksichtigt sind. Es gilt dabei natürlich, die Wohnverträglichkeit des Gewerbes zu beachten.
Bisher setzte sich in vergleichbaren Entscheidungen zumeist die wohnwirtschaftliche Nutzung durch. Dem spielt auch aktuell der gesellschaftspolitische Druck hinsichtlich des Bedarfes an Neubauwohnungen in die Hände. Sollten zudem zeitnah Förderprogramme verabschiedet werden, die Wohnungsbau wieder attraktiver machen, wird die wohnwirtschaftliche Bebauung des Geländes wahrscheinlicher.
Eines der innovativsten Büroprojekte in Hannover heißt H3ö, wird von der STRABAG Real Estate realisiert und von ihren Kollegen bei Engel & Völkers vermarktet. Die drei Gebäude punkten durch Nachhaltigkeit, in dem Fall beispielsweise durch Holzhybridbauweise oder Recycling-Beton. Gibt es vergleichbare Projekte für Industrie- und Logistikflächen in Hannover?
Gerrit Stönner: Bislang ist bei Industrie- und Logistikflächen in der Region Hannover kein Objekt in der Qualität des Büroprojektes H3ö in Planung. Gleichwohl richten sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ansprüche in Sachen Nachhaltigkeit und Arbeitsplatzattraktivität auch an Neuentwicklungen in dieser Assetklasse. Wir werden zukünftig ähnlich ressourcenschonend und energieeffizient gebaute Industrie- und Logistikprojekte sehen.
Wenn Sie die aktuell von Ihnen betreuten Projekte und die Rückmeldungen aus dem Markt betrachten, wie könnte sich das Jahr 2023 für die Assetklasse Industrie und Logistik in Hannover weiterentwickeln?
Gerrit Stönner: Wir gehen aktuell von einer ungebrochen starken Nachfrage auf dem Mietmarkt im Light-Industrial- und Logistiksegment aus. Dementsprechend wird die Leerstandsquote sinken, insbesondere bei modernen Liegenschaften erwarten wir nahezu eine Vollvermietung. Aus dem anhaltenden Nachfrageüberhang resultieren zudem weiter steigende Mieten.
Die Verkaufspreise werden indes unter Berücksichtigung der aktuellen Zinsentwicklungen eher eine Seitwärtsbewegung vollziehen. Eine Ausnahme dieser Entwicklung werden Objekte in einem schlechten baulichen Zustand sein. Die Vermietbarkeit wird hier immer schwieriger und Verkaufspreise daher tendenziell sinken. Für diese Immobilien ist für eine wirtschaftliche Nutzung die Projektentwicklung in naher Zukunft ein zentrales Thema. Insgesamt blicken wir trotz möglicher Widrigkeiten optimistisch auf das Jahr 2023.