Die Europäische Zentralbank hebt die Zinsen an. Welche konkreten Auswirkungen hat das auf die Immobilienbranche? IMMOBILIEN AKTUELL analysiert die aktuelle Lage hinsichtlich Neubau, Investmentfreudigkeit, Transaktionsgeschehen und Finanzierung von Projekten.
Als Folge der Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) hat der sich seit Jahresbeginn vollziehende Trend ansteigender Zinsen an den Geld- und Kapitalmärkten zum Anfang des vierten Quartals 2022 seinen zwischenzeitlichen Höhepunkt erreicht. Nachdem die EZB bereits im September den Zins um 75 Basispunkte (bp) erhöht hat, beschloss die Notenbank in der letzten Sitzung vom Oktober nochmals eine Anhebung um 75. Als Folge dessen sind die langfristigen Zinsen im September erneut stark gestiegen. Während der Zehn-Jahres-Zinsswap im August noch bei 1,50 Prozent lag, stieg der Swap im Lauf des Folgemonats bis auf 3,21 Prozent. Da die Notenbank weitere Zinserhöhungen avisiert hat, dürfte sich der Zinserhöhungszyklus weiter fortsetzen. Würgt die EZB damit die Immobilienhausse ab – oder wird die Branche mit dem gestiegenen Zinsniveau leben können?
EZB mit Zinserhöhungen erst am Anfang?
Die Notenbanker begründen ihre Zinsschritte damit, dass die Teuerungsrate bei den Verbraucherpreisen deutlich zu hoch seien und für längere Zeit über dem Zielwert bleiben werden. Insgesamt fokussieren sie im Rahmen der geldpolitischen Ausrichtung also weiterhin darauf, die Unterstützung der Nachfrage – und damit die Gefahr, dass sich die „Inflationserwartungen dauerhaft nach oben verschieben“ – zu reduzieren. Einer der Gründe liegt in der historisch hohen Inflationsrate im Oktober von 10,7 Prozent in der Eurozone. Im Juli hatte die Rate noch bei 8,9 Prozent gelegen. Die Rate fiel damit einmal mehr deutlich höher aus als von der Mehrheit der vorab befragten Volkswirte erwartet.
Fakt ist, dass die rasch angestiegenen Zinsen die Immobilienwirtschaft zunehmend vor Herausforderungen stellen: Auf dem Wohnungsmarkt brechen Käuferschichten weg, institutionelle Investoren warten ab, die Preise gehen erstmals seit langem zurück, gleichzeitig wächst der Druck auf dem Wohnungsmietmarkt. Die schlechte Stimmung in der Branche lässt sich anhand einzelner Indikatoren wie dem Immobilienklima-Index ablesen: Nach dem starken Rückgang im September um 9,4 Prozent sank der Index der Deutschen Hypo im Oktober noch stärker um 13,1 Prozent auf nur noch 64,8 Punkte. Stärkere Rückgänge gab es beim Büroklima (minus 16,4 Prozent auf 59,6 Punkte) und beim Handelsimmobilienklima (minus 28 Prozent auf 37,1 Punkte).
Folgen für den Immobilienmarkt: Neubaugeschäft bricht ein
Die EZB hat bereits im Mai bei der Vorlage des Finanzstabilitätsberichtes vor Korrekturen am Immobilienmarkt gewarnt und darauf hingewiesen, dass die ohnehin überhitzten Preise an den Häusermärkten bei abrupt steigenden Hypothekenzinsen fallen können. Danach seien Häuser in der Eurozone im Schnitt um fast 15 Prozent überbewertet und in einigen Ländern sogar um bis zu 60 Prozent. Die EZB bekräftigte ihre Aufforderung, dass Banken entsprechend ihrem Engagement im Immobiliensektor mehr Kapital vorhalten sollten.
Von den Veränderungen besonders betroffen ist der Neubau. Die gestiegenen Zinsen, die hohen Baukosten, die ausgelaufene KfW-Förderung machen den Neubau an vielen Standorten unrentabel. Die Anzahl der Baugenehmigungen sank im ersten Halbjahr 2022 in Deutschland bereits um 17 Prozent. Ein weiterer Rückgang der Bautätigkeit ist zu erwarten; viele Projekte sind bereits eingestellt. Parallel dazu fiel im August das Neugeschäft im Bauhauptgewerbe um 6,0 Prozent zum Vormonat, im Vergleich zum Vorjahresmonat gab es inflationsbereinigt sogar ein Minus von 15,6 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt (Destatis) mit.
Entwicklung künftiger Projekte stockt
Massive Auswirkungen hat die „neue Normalität“ an den Finanzmärkten auf die Projektentwicklung. Aufgrund der höheren Zinskosten steigt entsprechend auch bei Bauträgern der Bedarf nach Zinsbindung, sagt Helge Scheunemann, Researcher bei JLL. Hinzu komme, dass die Kosten für Fremdkapital unerschwinglich im Vergleich zu den Renditen seien und als Folge dessen Fremdfinanzierungen fast ganz ausfallen. Nur wer auskömmlich Eigenkapital habe, gehe noch Projekte an; wenn überhaupt, dann nur mit ganz geringer Fremdkapitalquote, betont Helge Scheunemann. Da es der Zielgruppe an Geld fehle, verfügten potenzielle Käufer über weniger Kaufkraft – was sich direkt auf dem Immobilienmarkt bemerkbar mache. Insgesamt gebe es auch ein limitiertes Transaktionsgeschehen. Da sichdie Zeit bis zum Abschluss einer Transaktion verdoppelt habe, würden Prozesse abgebrochen, so Helge Scheunemann. Infolgedessen hat sich der Anstieg der Finanzierungskosten stärker auf die Investment- als auf die Vermietungsmärkte ausgewirkt.
Die Beziehung zwischen Immobilienpreisen und Zentralbankzinsen
Häufig werden steigende Zinsen mit niedrigeren Immobilienpreisen in Verbindung gebracht. Die Logik hinter dieser umgekehrten Beziehung ist folgende: Privatkundenbanken passen ihre Hypothekenzinsen an die Leitzinsen der Zentralbank an. Steigt der Leitzins der Zentralbank, verteuert sich die Immobilienfinanzierung, was zu einer geringeren Nachfrage und letztlich zu einem Preisrückgang führt.
Die von der FED ergriffenen Maßnahmen sind eine direkte Reaktion auf das starke Wirtschaftswachstum in den USA und sollen eine Überhitzung der Wirtschaft verhindern. Auch die europäische Wirtschaft mit ihrem langsameren, aber dennoch vorhandenen Wachstum ist nicht immun gegen eine Zinserhöhung durch die EZB.
Betrachtet man die Zeiträume, in denen die FED die Zinssätze aufgrund einer guten Konjunktur anhob, beispielsweise von Dezember 1995 bis April 1997, als die zehnjährige Rendite um 118 Basispunkte stieg, waren die Auswirkungen auf die Immobilienwerte und die Gesamtrendite von Immobilieninvestitionen in den USA nicht negativ. Ganz im Gegenteil: Preise und Renditen stiegen im gleichen Zeitraum um zehn Prozent. In Europa ist die gleiche Entwicklung zu beobachten, wobei die Immobilienpreise von 1999 bis 2002 trotz steigender Zinssätze zunahmen.
Selbst wenn die Zinsen im ersten Quartal 2023 auf oberhalb von vier Prozent steigen sollten, dürften der Zehn-Jahres-Zinsswap im Jahresverlauf wieder zurückkommen und somit Immobilieninvestitionen attraktiver machen.