Die Politiker von SPD, den GRÜNEN und der LINKEN haben in Berlin gemeinsam viel vor. Ihr Koalitionsvertrag trägt im Entwurf zur Beschlussfassung den kraftvollen Titel „Zukunftshauptstadt. Sozial. Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark“. Was die Koalition in Berlin für den Bereich Bauen und Wohnen plant, das erfahren Sie hier.
20.000 neue Wohnungen für Berlin - pro Jahr
Der Punkt „Stadtentwicklung, Bauen, Mieten“ folgt gleich nach der Präambel und signalisiert damit den Stellenwert. Kernthemen sind Wohnungsbau und Mieterschutz. Um den Wohnungsmangel zu beheben, sollen 20.000 neue Wohnungen pro Jahr geschaffen werden, davon die Hälfte im „gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment“, wie es in dem Dokument heißt. Die von der SPD vorgegebene Zielmarke von 200.000 neuen Wohnungen bis 2030 findet sich im Vertrag wieder. Um dieses Ziel zu erreichen, soll der „Stadtentwicklungsplan Wohnen“ (StEP Wohnen) überarbeitet und mit Stadtquartieren und Wohnbaupotenzial untersetzt werden. Um einen Überblick zu gewinnen, werde in den ersten 100 Tagen ein Bericht über alle derzeit laufenden Bauprojekte in der Stadt vorgelegt.
Das Tempelhofer Feld bleibt als Baufläche trotz Wohnungsmangel tabu. Die SPD hatte zumindest eine Randbebauung für möglich gehalten. Mit ihrem strikten Nein haben sich die LINKEN und die GRÜNEN durchgesetzt. Auch ohne das ehemalige Flugfeld sei ein Potenzial für 212.000 Wohnungen vorhanden: Davon könnten rund 30.000 Wohnungen durch Nachverdichtung, Aufstockung und Transformationen im bebauten Bereich geschaffen werden, zum Beispiel durch das Überbauen von Parkplätzen.
Die landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWUs) haben den Auftrag, in den nächsten fünf Jahren 35.000 Wohnungen zu bauen. Dafür werden ihnen landeseigene Baugrundstücke unentgeltlich übertragen: Der Wert müsse als Mietsubvention eingesetzt werden. Auch der Ankauf von Bestandswohnungen steht weiter auf dem Plan. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zum Vorkaufsrecht fordert die Koalition rechtsichere Regelungen dazu vom Bund. Derzeit verwalten die sechs LWUs rund 330.000 Wohnungen. Bis 2026 sollen insgesamt mindestens 400.000 Wohnungen in öffentlicher Hand sein.
Wechselt Stadtentwicklung und Wohnen zur SPD?
Pressemeldungen zufolge wird das Schlüsselressort Stadtentwicklung und Wohnen an die SPD gehen und nicht wieder an die LINKE. Die voraussichtlich künftige Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat bereits angekündigt, dass die Wohnraumförderung um 500 Millionen Euro aufgestockt werde. Rund 5.000 Sozialwohnungen sollen pro Jahr gebaut und damit zumindest deren Gesamtzahl stabil gehalten werden. Denn nach wie vor fallen jährlich tausende Wohnungen aus der Sozialbindung.
Novellierung der Bauordnung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren
Immer wieder war von Vertretern der Immobilienwirtschaft in den vergangenen Jahren die enorme Genehmigungsdauer von Projekten kritisiert worden. Im Koalitionsvertrag findet sich das Versprechen, die Berliner Bauordnung mit dem Ziel zu novellieren, die Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Die Novelle war kurz vor der Wahl von der SPD mit der Begründung abgesagt worden, es fehle Personal zur Umsetzung in den Bezirken.
Die bereits vorgesehenen Änderungen für mehr Barrierefreiheit wird es laut Koalitionsvertrag bald geben. Auch Vorgaben für mehr Nachhaltigkeit wie der qualifizierte Freiflächenplan, die Dach- und Fassadenbegrünung, der Schutz erhaltenswerter Bausubstanz, die Holzbauweise und die Typengenehmigungen sollen sich in der Bauordnung wiederfinden und ein Biotopflächenfaktor geprüft werden.
Susanne Klabe, Chefin des Landesverbandes Berlin/Brandenburg vom Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), reagierte auf diese Ankündigung mit einem Statement: „Gefühlt gibt es diesen Ruf nach Verfahrensbeschleunigung seit vielen Jahrzehnten. Es mangelte immer an Konkretisierung und Umsetzung, trotz vieler Vorschläge in der Vergangenheit von den verschiedenen Institutionen. Die Realisierung von Verbesserungen führt über die Mühen der fachlichen Ebene.“ Und weiter betonte sie: „Nimmt man diesen Punkt nicht ernst, wird es im Wohnungsneubau nicht weiter gehen, egal, ob man verdichten, Supermärkte überbauen oder neue Quartiere bauen will.“
Einar Skjerven kommentiert den Entwurf zur Beschlussfassung des Koalitionsvertrages
Kooperatives Baulandmodell wird fortgesetzt
Das Kooperative Baulandmodell wird fortgeführt. Wer als privater Investor in Berlin Wohnungen bauen will, muss 30 Prozent an Sozialwohnungen errichten. Neu: Es kommt wieder ein zweiter Förderweg hinzu, um Wohnungen im mittleren Preissegment anbieten zu können. Die konkrete Ausgestaltung werde im Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen abgestimmt, an dem auch private Wohnungsunternehmen beteiligt sein sollen. Neben der Refinanzierung durch Fördergeld sei eine Refinanzierung durch einen Anteil an Eigentumswohnungen möglich. Das Bündnis soll bereits im ersten Halbjahr 2022 geschmiedet sein.
Die GRÜNEN bringen damit Ideen aus dem vorgeschlagenen Mietenschutzschirm“ unter, den sie vor der Wahl vorgestellt hatten. Die Vereinbarungen im Bündnis sollen Maßnahmen wie ein freiwilliges Mietenmoratorium enthalten, also die Miethöhen im Bestand und nach Modernisierungsmaßnahmen, zum Beispiel für den Klimaumbau, weniger erhöht werden als gesetzlich derzeit vorgeschrieben. Ein Anteil von Wohnungen für Wohnungslose soll vereinbart werden, Wohnungstausch unterstützt, Flächen für langfristig preisgebundenen Wohnraum bereitgestellt werden.
Der Erwerb von landeseigenen Grundstücken wird kein Thema im Bündnis sein. Der Koalitionsvertrag schließt den Verkauf grundsätzlich aus. Landeseigene Grundstücke werden nur mit Erbbaurecht vergeben und das maximal für 99 Jahre. Genossenschaften sollen mit mindestens 25 Prozent der Flächen bedacht werden. Über die Vergabe wird mittels Konzeptverfahren entschieden, die aber schneller und weniger aufwändig abgewickelt werden sollen. Direktvergaben seien nicht ausgeschlossen, darüber werde das Parlament entscheiden.
Zweckentfremdungsverbot und Wohnraumschutzgesetz
Ebenfalls geplant ist, das Zweckentfremdungsverbot in Bezug auf den Abriss von bezahlbarem Wohnraum, gewerbliches Wohnen und Leerstand zu verschärfen, ebenso die Sanktionen bei Verstößen. Zusätzlich soll die Wohnungsaufsicht gestärkt werden. Die Bezirke werden dafür Personal erhalten. Die Vorgaben sollen möglichst in einem Wohnraumschutzgesetz vereint werden. Viele Vermieter weichen inzwischen auf das Vermieten möblierter Wohnungen und Wohnen auf Zeit aus, um jenseits der Mietpreisbremse eine Marktmiete für ihre Wohnungen erzielen zu können. Die neue Koalition will prüfen, wie diese Vermietungsarten reguliert werden können.
Mietkataster und Milieuschutz
Eine Forderung aller drei Parteien war ein Mietkataster. Das findet sich nun im Koalitionsvertrag als Aufgabe wieder: Binnen eines halben Jahres sei zu prüfen, wie ein Mietkataster für Wohnen und Gewerbe rechtssicher umgesetzt werden könne, das dann zügig in einen Gesetzentwurf umgesetzt werde. Ziel sei es, den Leerstand, die Eigentümer und die Struktur der Besitzverhältnisse zu erfassen – sowie die Mieten. Sie sollen als Basis für den Mietspiegel dienen. Auch Milieuschutz steht weiter auf der Agenda. Die Bezirke erhalten Unterstützung beim Ausweisen von Milieuschutzgebieten, neue Gebiete können auch auf Landesebene festgesetzt werden.
Etablierter Regulierungskurs bleibt erhalten
Der eingeschlagene Konfrontations- und Regulierungskurs in Bezug auf die privaten Wohnungsunternehmen und Vermieter setzt sich fort. Auf der Liste stehen die Verbesserung des Schutzes vor Eigenbedarfskündigungen auf Landesebene, die steuergeldfinanzierte Mieterberatung in den Bezirken und eine Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt. Die Datenabfrage und -weitergabe an die Bezirke zu Wohnungskündigungen und Zwangsräumungen und die Anwendung des Wucherparagrafen sollen verbessert werden. Es findet sich die Ansage, den Umwandlungsvorbehalt von Miet- in Eigentumswohnungen über das Jahr 2025 hinaus zu verlängern. Die neue R2G-Koalition will sich dazu für eine begrenzte Umlagefähigkeit von Betriebskosten einsetzen.
Susanne Klabe vom Landesverband des BFW erklärte mit Blick auf die geplanten Vorgaben und Regulierungen in Berlin und im Bund: „An die wohnungswirtschaftlichen Vermieter werden in den kommenden Monaten und Jahren eine Fülle von Anforderungen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene gestellt, die sich wirtschaftlich teilweise maßgeblich auswirken werden: CO2-Abgabe und energetische Sanierung sind nur einige Beispiele. Die privaten Unternehmen haben die Investitionsbereitschaft und die Kompetenz zur Lösung dieser Zukunftsaufgaben. Die Bestrebungen, alle diese Kosten auf den Vermieter zu verschieben, nehmen vorhersehbar immer mehr zu. Wir fragen uns deshalb, wie die Vermietung auf diese Weise künftig wirtschaftlich möglich bleiben soll.“
Thema Enteignung
In Berlin steht jenseits der Wirtschaftlichkeit noch ein Thema an, das weitreichende Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen in den Wohnungsbau haben wird: Die Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen. Dazu heißt es im Vertrag: „Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des ‚Volksentscheides über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen‘ und wird verantwortungsvoll damit umgehen.“ Bis 2023 sollen Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vorliegen, danach wird der Senat entscheiden.
Maren Kern, Vorstand des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), betonte: „Wichtig wird dazu aber die Auflösung von Zielkonflikten sein. So soll das von uns unterstützte Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen innerhalb eines halben Jahres auf den Weg gebracht werden, während man gleichzeitig die Möglichkeit von Enteignungen großer Wohnungsunternehmen diskutiert. Wir stehen für Gespräche bereit, um hier nach dem Prinzip ‚Kooperation statt Konfrontation‘ Brücken zu bauen.“